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Schweizer Armee erklärt sich internationalen Unternehmen

Keystone

Lange wurden Kaderstellen in der Wirtschaft traditionell mit Offizieren der Schweizer Milizarmee besetzt. Diese enge Bande zwischen Wirtschaft und Militär aber löst sich auf. Gründe sind immer mehr ausländische Unternehmen und der bröckelnde Rückhalt der Armee.

Vielen ausländische Unternehmen, die sich in den letzten Jahren in der Schweiz angesiedelt haben, fehlt weitgehend das Verständnis für das Schweizer Modell der Milizarmee. Immer häufiger werden Klagen darüber laut, dass sie Führungspersonen für mehrere Wochen sozusagen an die Schweizer Armee abzutreten haben.

Nun hat die Schweizer Armee zu einer Charme-Gegenoffensive angesetzt, um den ausländischen Bossen die Vorteile des Schweizer Milizsystems näher zu bringen.

Einer, der diese Vorteile personifizieren könnte, ist Daniel Schudel. Als Oberstleutnant kennt er sich mit militärischen Operationen aus, als Manager ist er dafür verantwortlich, dass sich sein Arbeitgeber, ein multinationaler Konzern, auf dem Weltmarkt behaupten kann.

«Für die Unternehmensführung gibt es kein besseres Training als die Schweizer Armee», sagt Schudel gegenüber swissinfo.ch. Es gehe nicht darum zu lernen, mit einer Bazooka auf einen Panzer zu schiessen, sondern um den Prozess, wie man sich selbst aus einer Komfortzone abstosse.

«Seine persönlichen Gefühle zurückzustellen und sich um das Team zu kümmern, das formt den Charakter», sagt Schudel. Die Offiziersausbildung sei hart, aber ebenso das Leben in der Wirtschaft. «Das Geschäft kennt oft keine Gnade», lautet sein Fazit.

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Vor- und Nachteile einer Offizierslaufbahn

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Für ihn sei es eine gute Art gewesen, um Führungseigenschaften zu erlernen, erklärt er. Doch er befürchte, dass eine weitere Beförderung seine zivile Karriere gefährden könnte. (Julie Hunt, swissinfo.ch)

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Schwert mit zwei Schneiden

Was den Verantwortlichen der Schweizer Armee Sorgen macht, ist dass der 47-jährige Schudel, der beim US-Datenverwalter CommVault für die Schweiz, Deutschland und Österreich zuständig ist, quasi zu einer aussterbenden Spezies gehört. Denn die Unternehmen sehen die Absenzen infolge der Wiederholungskurse, die alle Wehrmänner zwischen 20 und 34 Jahre regelmässig absolvieren müssen, als zweischneidiges Schwert.

Auf der einen Seite vergrössert der Militärdienst die Fähigkeiten und Kompetenzen der jungen Mitarbeiter in den Bereichen Disziplin, Teamarbeit und Problemlösung. Der Militärdienst mit seinen Kursen und Ausbildungen bedeutet aber auch regelmässiges und längeres Fernbleiben vom Arbeitsplatz.

Der Schweizer Armeechef, Korpskommandant André Blattmann, lud deshalb Anfang Juli Bosse von ausländischen Unternehmen nach Bülach bei Zürich ein. Sein Ziel: Diese davon zu überzeugen, dass die Armee der Geschäftswelt immer noch viel Nutzen bringen könne.

Im strömenden Regen bekamen die Manager eine Gefechtsübung des 11. Panzersappeur-Bataillons zu sehen. Sie wurden darauf hingewiesen, wie wichtig es für die Armee sei, Ärzte, Ingenieure und Bauarbeiter in ihren Reihen zu wissen. Die Unternehmen ihrerseits würden vom praktischen, handfesten Führungstraining ihrer Mitarbeiter in kompromisslosen und stressigen Situationen profitieren, wie den Wirtschaftskapitänen gesagt wurde.

Das Schweizer Milizsystem sieht sich nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Wegfall des Feindbildes des Kommunismus im Osten wachsendem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt.

1961 zählte die Schweizer Armee 625’000 Angehörige (Bevölkerung: 6 Mio.). Heute ist sie auf 155’000 Angehörige geschrumpft, und das bei 8 Mio. Einwohnern.

Laut einem Vorschlag, der im Herbst vom Parlament diskutiert wird, soll sie 2020 nur noch 100’000 Angehörige zählen.

Ein radikalerer Vorschlag der «Gruppe Schweiz ohne Armee» zur Aufhebung der Wehrdienstpflicht kommt am 22. September zur Abstimmung.

Aktuell haben 17 Länder die Dienstpflicht aufgehoben oder suspendiert. Österreich sprach sich im Januar für die Beibehaltung der Milizarmee aus.

Interessenkonflikt

«Oft kennen wir den Preis einer Sache, ohne ihren wahren Wert zu realisieren», konterte Blattmann wachsende Kritik, wonach die Wiederholungskurse der Geschäftswelt in die Quere kämen. «Die Qualität des Personals, das wir hier zur Verfügung haben, ist hervorragend», lobte er.

Martin Naville, Direktor der Handelskammer Schweiz-USA, kennt das Problem. «Ich muss ausländischen Unternehmen stets das Milizsystem erklären. Der Nachteil ist, dass die Firma einen Mitarbeiter gerade während einem entscheidenden IT- oder Übernahmeprojekt ‹verlieren› kann. Aber das Militär ist auch flexibler geworden», sagt Naville.

Aber nicht alle sind vom Nutzen militärischen Trainings für die Zivilkarriere überzeugt. Peter Richner, stellvertretender Direktor der interdisziplinären Forschungs- und Dienstleistungsinstitution für Materialwissenschaften und Technologieentwicklung innerhalb des ETH-Bereichs (Empa), spricht von einem «Interessenkonflikt», Zeit entweder für Militärdienst oder für die wissenschaftliche Karriere aufzubringen.

Militärdienstpflichtige würden an der Empa keineswegs diskriminiert, so Richner, aber Jobanwärter, die sich stärker auf ihre Forschungen konzentrierten, könnten im Vorteil sein, warnt er.

«Was ist wichtiger für eine Forscherkarriere: drei Jahre beim Militär oder drei Jahre Studien an weltweit führenden Universitäten?», fragt er rhetorisch.

Alle Schweizer Männer zwischen 20 und 34 Jahren müssen per Gesetz Militärdienst leisten. Freiwillige können dies ab 18 tun. Die Armee zählt auch über 1000 Frauen, die freiwillig Dienst leisten.

2012 wählten rund 15’000 Männer die Variante Zivildienst. Entsprechende Programme werden vom Bund angeboten, dauern aber eineinhalb mal länger als der Militärdienst.

Der Militärdienst umfasst eine Grundausbildung, die Rekrutenschule, von 18 oder 21 Wochen. Sie muss bis zum 25. Altersjahr absolviert werden. Danach folgen sechs Wiederholungskurse à je 19 Tage, die bist spätestens zum 30. Altersjahr geleistet werden müssen. In einigen Fällen kann dies auch bis 34 geschehen.

Höhere Grade leisten, inkl. Ausbildungskurse und Abverdienen, längere Dienstzeiten.

Im Rahmen der Verkleinerung der Armee soll die Dienstzeit für einfache Soldaten von mindestens 260 Stunden auf 225 Stunden gesenkt werden. Dies ergäbe eine Einsparung von jährlich 100’000 Stunden im Bereich militärische Ausbildung.

Die Ausbildung der Offiziere würde gemäss dem Vorschlag nur geringfügig reduziert, das Schwergewicht aber mehr in Richtung praktische Ausbildung im Feld verschoben.

Wissenschaftler blühten in einem Umfeld auf, das im Vergleich zum Militär weniger strikt und strukturiert sei und mehr freies Denken zum Überwinden von Barrieren zulasse. Auch sei wichtig, je nach Erfordernissen zwischen unabhängiger Individual- und Teamarbeit zu wechseln, sagt Richner.

Andere Zeiten

Zwischen Armee und Schweizer Unternehmen aber sind die traditionellen Verbindungen nach wie vor intakt. Die Schweizerische Bankiervereinigung, der Zementhersteller Hocim, Swiss Life, die Zürich Versicherung oder Swissmem, der Verband der Firmen aus der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, halten in der Öffentlichkeit die traditionellen Werte von militärischen Übungen hoch.

Guy de Brabois von Robert Walters, einer Firma zur Vermittlung von Personal im Finanzbereich, stimmt überein, dass Schweizer Firmen immer noch Wert auf militärische Karrieren legten. Aber die Zeiten, in denen eine Top-Stelle mit einem Dienstkollegen besetzt worden sei, gehöre der Vergangenheit an.

Solches würde zudem dem modernen Arbeitsrecht widersprechen, weil die meisten Frauen ausgeschlossen blieben.

«Militärische Zeugnisse haben immer noch ihren Wert, wenn man im Dienst etwas erreicht hat, etwa den Erwerb eines Offiziergrades», sagte de Brabois zu swissinfo.ch. «Es zeigt, dass man Verantwortung übernehmen kann und ehrgeizig ist, statt den Militärdienst in der Kantine mit Kaffeetrinken abzusitzen.»

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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