Die wechselhaften Beziehungen der Schweiz zum Vatikan
Die Schweiz hat erst vor 30 Jahren ihren ersten diplomatischen Vertreter beim Heiligen Stuhl ernannt. Jetzt will die Schweizer Regierung eine Botschaft im Vatikan eröffnen. In der Vergangenheit waren die Beziehungen zwischen den beiden Ländern geprägt von politischen und religiösen Konflikten.
Der «Fall Wolfgang Haas» zu Beginn der 1990er-Jahre hatte die Beziehungen zwischen Bern und der Vatikanstadt erschüttert. Die Kontroverse und die Diskussionen um die Ernennung des ultrakonservativen Bischofs zum Leiter der Diözese Chur trugen aber dazu bei, dass die Bundesbehörden auf die Notwendigkeit einer diplomatischen Vertretung im Vatikan aufmerksam wurden.
1990 ernennt Johannes Paul II. Bischof Wolfgang Haas zum Leiter der Diözese Chur.
Wegen der ultrakonservativen Vorstellungen des neuen Bischofs, die vom liberalen Flügel der Diözese (speziell den Gläubigen aus dem Kanton Zürich) nicht geteilt werden, beginnt eine Zeit grosser Krisen und Konflikte in der Diözese.
Angesichts der Empörung vieler Gläubiger und trotz zahlreicher Vermittlungsversuche gibt der Papst 1997 den Protesten nach und setzt Haas ab, schafft für ihn aber eine eigene Erzdiözese (Vaduz in Liechtenstein) und ernennt einen neuen Bischof in Chur, Amédée Grab.
«Die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit zeigen, dass einerseits die schweizerische Realität nur durch die Wahrnehmung des Nuntius in Rom ankommt», heisst es in der Ernennungsurkunde vom 30. Oktober 1991Externer Link für einen Botschafter in Sondermission beim Heiligen Stuhl.
«Andererseits ist die Schweiz nicht in der Lage, sich durch Kontakte vor Ort über bestimmte Ereignisse (z.B. Reisen von Schweizer Bischöfen nach Rom) oder über die Hintergründe der päpstlichen Politik gegenüber der Schweiz zu informieren».
Der damals gewählte diplomatische Vertreter, Jenö Staehlin, blieb ein Jahr lang im Amt. Erst Ende Mai 2004, am Vorabend des zweiten Besuchs von Johannes Paul II. in Bern, wurden die diplomatischen Beziehungen mit der Ernennung eines bevollmächtigten Sonderbotschafters normalisiert.
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Die Religionszugehörigkeit bleibt ein politischer Faktor
Echos eines Konflikts
Der letzte Schritt in diesem Prozess der Konsolidierung der diplomatischen Beziehungen wurde am 1. Oktober 2021 mit dem Entscheid der Schweizer Regierung vollzogen, eine Botschaft beim Heiligen Stuhl einzurichten.
«Die diplomatischen Beziehungen zwischen Bern und der Vatikanstadt sind aber auch heute noch nicht ganz unumstritten und von Vorsicht geprägt», bemerkt der Historiker Sacha Zala, Leiter der Diplomatischen Dokumente der SchweizExterner Link (Dodis). «Das ist ein Erbe des historischen Konflikts zwischen dem liberalen Bundesstaat und dem Ultramontanismus, d.h. der Einmischung des Papsttums in die Politik der Nationalstaaten.»
Ein Widerhall dieses Konflikts findet sich auch in der Stellungnahme des Eidgenössischen Departements für auswärtige AngelegenheitenExterner Link (EDA) zur beabsichtigten Eröffnung einer diplomatischen Vertretung im Vatikan,
Dort wird bekräftigt: «Die Errichtung einer Schweizer Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom ändert nichts an den Beziehungen zwischen der Schweiz und der katholischen und der reformierten Kirche. Sie erfolgt unter Wahrung der jeweiligen Zuständigkeiten von Bund und Kantonen.»
Beziehungsstatus: «Es ist kompliziert»
Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Eidgenossenschaft und dem Vatikan haben eine lange Tradition. Nach Frankreich war der Heilige Stuhl der zweite ausländische Staat, der eine ständige diplomatische Vertretung auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft eingerichtet hatte. Die Anwesenheit eines apostolischen Nuntius in Luzern seit 1586 spielte eine wichtige Rolle bei der Konsolidierung des Katholizismus in der Schweiz im 16. und 17. Jahrhundert.
Abgesehen von einem vorübergehenden Unterbruch der diplomatischen Beziehungen während der Helvetischen Republik zwischen 1798 und 1803 setzte die Nuntiatur ihre diplomatischen Aktivitäten in der Schweiz nach der Französischen Revolution fort. Allerdings war die Nuntiatur nun bei der Eidgenossenschaft akkreditiert und nicht mehr nur bei den katholischen Kantonen.
Die Päpstliche Schweizergarde, die für die persönliche Sicherheit des Papstes zuständig ist, besteht aus Schweizern und ist seit 1506 aktiv:
Mit dem Aufkommen radikaler liberaler Strömungen in der Schweiz, welche die katholische Kirche den staatlichen Behörden unterordnen wollten, wuchs das Konfliktpotenzial. Trotz einiger Turbulenzen überstanden die Beziehungen zwischen Bern und dem Vatikanstaat auch den Sonderbundskrieg zwischen liberalen und konservativen KantonenExterner Link und die Gründung des modernen Bundesstaats im Jahr 1848.
Die Konflikte eskalierten im Rahmen des so genannten KulturkampfsExterner Link. Das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit (1870) und der Antiklerikalismus eines grossen Teils der Schweizer Radikalen treiben die Spannungen auf die Spitze.
Nach der Veröffentlichung der Enzyklika Etsi multa luctuosaExterner Link des Heiligen Stuhls, welche die Politik der Kantone und der Eidgenossenschaft gegenüber der katholischen Kirche scharf kritisierte, brach die Schweizer Regierung im Dezember 1873 die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan ab. Der Nuntius verliess die Schweiz.
Langsame Besserung
Die Kontakte zum Heiligen Stuhl sind jedoch nie ganz abgebrochen. Fragen zur Verwaltung der bischöflichen Kurien in der Schweiz erforderten immer wieder Gespräche zwischen Vertretern beider Seiten.
Während des Ersten Weltkriegs kommt es zu einer Erstarkung der Beziehungen. Die Annäherung zwischen der Schweiz und dem KirchenstaatExterner Link im Bereich der humanitären Politik zeigt sich in der Internierung von kranken und verwundeten Kriegsgefangenen in der Schweiz mit Unterstützung des Vatikans.
Die Zusammenarbeit im humanitären Bereich fördert die politische Annäherung. Im Juni 1920 beschloss die Schweizer RegierungExterner Link, die diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl wieder aufzunehmen. Von da an ist der Vatikan in der Schweiz wieder offiziell durch einen apostolischen Nuntius vertreten.
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Die Bedingung dafürExterner Link war jedoch, dass die Schweiz, «die in der Vergangenheit keine Gegenseitigkeit praktiziert hat, diese auch in Zukunft nicht praktizieren [kann]». Die Regierung fordert den Nuntius auch dazu aufExterner Link, «mit grosser Zurückhaltung jede Frage zu vermeiden, die zu Uneinigkeit zwischen Katholiken und Protestanten oder unter den Katholiken selbst führen könnte.»
Auf dem Weg zur Gegenseitigkeit
Der einseitige Charakter der diplomatischen Beziehungen wurde auch während und nach dem Zweiten Weltkrieg strikt eingehalten. Dies, obwohl die Schweizer Regierung 1939 zum ersten Mal bei der Krönung eines Papsts (Pius XII.) vertreten war.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde die Idee verworfenExterner Link, einen diplomatischen Vertreter im Vatikan zu ernennen, um «konfessionelle Kämpfe in einigen Gebieten unseres Landes» zu vermeiden und weil «dies das Problem unserer Beziehungen zur UdSSR verkomplizieren würde».
Die Diskriminierung protestantischer Minderheiten in katholischen Ländern wie Spanien und Italien führte ebenfalls dazuExterner Link, dass am Grundsatz der Nicht-Gegenseitigkeit festgehalten wurde.
Erst mit dem Klima der ökumenischen Entspannung, das durch das Zweite Vatikanische Konzil Anfang der 1960er-Jahre ausgelöst wurde, begann die Schweiz, ihre Position zu überdenkenExterner Link.
Doch bereits 1968 erkannte die Schweizer Regierung die Anomalie der einseitigen diplomatischen Vertretung anExterner Link und hoffte auf eine Normalisierung der Beziehungen zum Vatikan.
Als noch dringlicher stufte sie allerdings eine Revision der Bundesverfassung ein. Die so genannten AusnahmeartikelExterner Link, die beispielsweise den Jesuitenorden oder die Gründung neuer Klöster verboten, schränkten die Religionsfreiheit ein und mussten erst gestrichen werden.
Für die Bundesbehörden war jedoch schon seit längerem klar, dass die Überwindung des Unilateralismus nur noch eine Frage der Zweckmässigkeit und nicht mehr eine Frage des Prinzips war.
In einer Volksabstimmung wurden die problematischen Verfassungsbestimmungen 1973 abgeschafft. Die diplomatische Offensive des Pontifikats von Johannes Paul II. veranlasste die Schweiz schliesslich 1987, die Möglichkeit einer «schrittweisen Normalisierung» in Betracht zu ziehenExterner Link. Bis der Fall Haas schliesslich den entscheidenden Anstoss dazu gab.
(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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