«Schweizer Diplomatie unterstützte Franco»
Um die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Schweiz in Spanien zu verteidigen, haben Schweizer Diplomaten mit dem faschistischen Franco-Regime zusammengearbeitet – auf Kosten der Menschenrechte. Der Historiker Ralph Hug wirft in seinem neuen Buch "Schweizer unter Franco" ein neues Licht auf diese Zeit.
Ralph Hug war einer der Promotoren der Initiative zur Rehabilitierung der rund 800 Schweizer Freiwilligen, die im Spanischen Bürgerkrieg für die Demokratie und gegen die Faschisten kämpften, und er leitet die Interessengemeinschaft Spanienfreiwillige.
Der St. Galler Historiker und Journalist hat bereits mehrere Bücher über den Spanischen Bürgerkrieg verfasst. 2009 schliesslich wurden die Freiwilligen – 70 Jahre nach dem Konflikt – vollständig rehabilitiert.
swissinfo.ch: Gibt es noch unbekannte Aspekte des Franco-Regimes?
Ralph Hug: Ganz sicher, und mein Buch ist nur eines von vielen Beispielen. Das signifikanteste Resultat meiner Nachforschungen ist, dass die Schweizer Diplomatie ganz klar pro-franquistisch war und die Rechte unserer Bürger vernachlässigt hat, die aus politischen Gründen Opfer des Spanischen Bürgerkriegs wurden. Ihre Probleme wurden einfach ignoriert.
swissinfo.ch: Von wie vielen Personen reden wir da?
R.H.: Es waren einige Dutzend Schweizer, die Opfer der Diktatur wurden. Franco und jene, die ihn in seinem Kampf gegen die Demokratie unterstützten, errichteten ein Terror-Regime und versuchten, die Oppositionskräfte zu vernichten.
Ralph Hug
Das Hauptinteresse der Diplomaten war, dass Franco die Schweiz in einem guten Licht sah, damit diese Geschäfte machen konnte und in Spanien tätige Schweizer Unternehmen Vorteile erhielten.
Der Generalissimus errichtete aber nicht nur eine Militärdiktatur, sondern einen faschistischen Staat, ähnlich jenem Benito Mussolinis in Italien. Er zerstörte alle demokratischen Instrumente und sperrte all jene, die sich gegen sein Regime stellten, in den über 150 Konzentrationslagern ein, über die Spanien in jenen Jahren verfügte. Sie wurden gefoltert, und Tausende verloren ihr Leben.
Unter den Gefangenen befand sich auch der Zürcher Karl Brunner, den man in Spanien Carlos Brunner nannte. Er arbeitete als Weinhändler in Villafranca de Penedès in der Nähe von Barcelona. Während der Unruhen vom Juli 1936 war er aktiv in lokalen Revolutionskomitees, wo er die Protokolle führte.
swissinfo.ch: Was wurde aus ihm?
R.H.: Nach dem Sieg Francos wurde er denunziert. Die franquistische Polizei nahm ihn sofort fest, und nur kurze Zeit später verurteilte ihn ein Militärgericht zum Tode. Sein einziges Vergehen war, dass er die Protokolle mit der Schreibmaschine abgetippt hatte!
Der Prozess war eine Farce, ohne die Möglichkeit einer würdigen Verteidigung. Dieser Fall zeigt, dass die franquistischen Gerichte nicht unabhängig waren, sondern lediglich ein Vorwand, um die Feinde des Regimes auf scheinbar legale Art und Weise zu liquidieren.
Zu seinem Glück wurde Brunner durch die Guten Dienste des Schweizer Konsuls in Barcelona gerettet. Adolf Gonzenbach war ein liberaler Diplomat, der gar nicht einverstanden war mit dem Regime. Allerdings musste dieser ein paar Monate nach dem Putsch Francos in die Schweiz zurückkehren.
Sein Nachfolger wurde Giacomo Balli, ein erklärter Unterstützer Francos, und er unternahm wenig bis gar nichts, um Karl Brunner freizubekommen. Dieser blieb bis 1942 im Gefängnis, als die Franquisten ihn des Landes verwiesen. Es kostete ihn sehr viel, ein neues Leben anzufangen.
swissinfo.ch: Wie viele Schweizer litten unter der franquistischen Unterdrückung?
R.H.: Etwa dreissig. Ihr einziges Vergehen war, dass sie nicht einverstanden waren mit dem neuen faschistischen Regime. Anders gesagt, sie wurden verfolgt und eingesperrt, weil sie die Demokratie verteidigt hatten. Die Verteidigung demokratischer Werte war während des Franquismus sehr gefährlich und wurde als schweres Vergehen betrachtet.
Im Buch wird auch die Geschichte von elf Schweizer Brigadisten erzählt, die während langer Zeit in Gefangenschaft waren. Sie wurden unter menschenunwürdigen Bedingungen während eines Jahres im Konzentrationslager von San Pedro de Cardeña in der Nähe von Burgos festgehalten, wo sie täglicher Folter ausgesetzt waren. Diese Männer waren nie formell durch ein Gericht verurteilt worden.
Zwischen 1936 und 1937 gingen etwa 40’000 freiwillige Männer und Frauen aus 50 Ländern nach Spanien, um die Republik vor den Putschisten Francos zu schützen. Etwa die Hälfte von ihnen wurden getötet, verletzt oder bleiben bis heute vermisst.
Das grösste Kontingent mit etwa 10’000 Personen stammte aus Frankreich, 3350 kamen aus Italien, rund 800 aus der Schweiz. Proportional war das Schweizer Kontingent daher eines der wichtigsten. Etwa 170 Schweizer verloren beim Kampf gegen den Faschismus ihr Leben.
Jene, die besiegt und niedergeschlagen zurück in die Schweiz kamen, wurden von der Justiz verfolgt. Insgesamt wurden 420 Urteile gefällt, mit Gefängnisstrafen zwischen 15 Tagen und vier Jahren. Die durchschnittliche Gefängnisstrafe betrug 3,8 Monate. Die meisten von ihnen blieben zeitlebens gesellschaftlich geächtet und lebten in prekären Verhältnissen.
2009, 70 Jahre nach dem Spanischen Bürgerkrieg, entschied das Schweizerische Parlament, die Schweizer Brigadisten vollständig zu rehabilitieren und die Urteile gegen sie aufzuheben. Nur eine Handvoll von ihnen erfuhr dies noch zu Lebzeiten.
swissinfo.ch: Haben Sie ein weiteres Beispiel?
R.H.: Walter Otto Lehmann starb fast, weil er nicht gepflegt wurde. Der Schweizer Konsul interessierte sich überhaupt nicht für ihn oder Fälle anderer Schweizer. Nach Ende des Krieges bemängelten viele die Passivität und das Desinteresse der Schweizer Diplomatie.
swissinfo.ch: Wie erklären Sie sich dieses Verhalten?
R.H.: Grundsätzlich fühlten sich die Schweizer Vertreter dem neuen Spanien Francos nahe und waren prinzipiell für einen Staat, der in einer katholischen und patriotischen Gesellschaft Recht und Ordnung versprach.
Doch statt die Menschenrechte der Schweizer Bürger zu beschützen, die in Gefangenschaft Missbrauch und Misshandlung ausgesetzt waren, sympathisierten unsere Diplomaten lieber mit der Diktatur.
swissinfo.ch: Weshalb?
R.H.: Das Hauptinteresse der Diplomaten war, dass Franco die Schweiz in einem guten Licht sah, damit diese Geschäfte machen konnte und in Spanien tätige Schweizer Unternehmen Vorteile erhielten: Banken, Versicherungen, Industriebetriebe oder Energiekonzerne.
Nestlé beispielsweise unterstützte Franco mit der Verteilung von kostenlosem Milchpulver. Die drei Schweizer Grossbanken der Zeit – die Schweizerische Kreditanstalt (heute Credit Suisse, A.d.R.), die Schweizerische Bankgesellschaft und der Schweizerische Bankverein (beide 1998 zur UBS fusioniert, A.d.R.) – gewährten Franco während des Kriegs wichtige Kredite, trotz eines vom Bundesrat verhängten Embargos.
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swissinfo.ch: Wer war auf Schweizer Seite verantwortlich?
R.H.: Auf höchster Ebene waren besonders Bundesrat Giuseppe Motta, während 20 Jahren Chef der Schweizer Diplomatie, und sein innerer Kreis im Departement, Unterstützer des faschistischen Regimes. Motta war Katholik und Antikommunist. Er dachte, Spanien gerate in den Griff einer bolschewistischen Revolution, doch dem war nicht so.
Motta glaubte nie an eine spanische Republik. Er fraternisierte mit den Franco-Repräsentanten in Bern, auch wenn sie nicht anerkannte und offiziell akzeptierte Diplomaten waren. Mit den echten Diplomaten der Republik gab er sich jedoch nie ab.
Im Herbst 1936 versuchte Motta, die Amtseinsetzung des neuen Gesandten der spanischen Republik, Fabra Ribas, zu verhindern. Dies einzig aus dem Grund, weil dieser Sozialist war, nicht etwa Kommunist. Doch sein Plan ging nicht auf, weil Franco Madrid im November 1936 nicht einnehmen konnte, wie dies die bürgerlichen Parteien erwartet hatten (Madrid fiel erst im März 1939 und markierte das Ende des Bürgerkriegs und den Beginn des franquistischen Regimes, A.d.R.).
swissinfo.ch: Giuseppe Motta war aber nicht der Einzige…
R.H.: Erwähnen kann man auch Hans Frölicher, Verantwortlicher für das Dossier Spanien im Aussendepartement. Wie auch einen Grossteil der Schweizer Diplomaten in Spanien. Zum Beispiel Eugène Broye, Sondergesandter bei Franco, und sein Vorgänger Karl Egger.
Broye sagte: «Franco ist kein Diktator. Die zentrale Idee des Franquismus ist, mehr soziale Gerechtigkeit zu garantieren und Spanien, das Russland sehr ähnlich sieht, in eine militärischen und imperiale Grossmacht umzuwandeln.» Alle waren sie Antikommunisten bis in die Knochen und begrüssten den Staatsstreich Francos gegen die spanische Demokratie.
swissinfo.ch: Und welche Haltung nahm die Regierung ein?
R.H.: Am 14. Februar 1939 war die Schweiz die erste Demokratie, die das franquistische Regime offiziell anerkannte und den Generalissimus als einzigen legitimen Vertreter des spanischen Staats akzeptierte. Tatsächlich war der Bürgerkrieg noch nicht beendet, als die Schweiz Franco anerkannte.
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