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Schweizer Elektronik steckt auch in russischen Waffen

russische Drohne über Kiew
Eine russische Drohne beschoss am 17. Oktober 2022 die ukrainische Hauptstadt Kiew. Keystone

Elektronik und Spitzentechnologie von Unternehmen aus den USA, der Schweiz und anderen westlichen Ländern wurden in Drohnen und Raketen gefunden, die von Russland im Krieg in der Ukraine eingesetzt werden. Das ist der Stand der Dinge.

Welche Bauteile wurden in Waffen gefunden, die gegen die Ukraine zum Einsatz kommen?

Im August 2022 legte ein Bericht des Think-Tanks Royal United Services InstituteExterner Link (RUSI) eine detaillierte Analyse zur Elektronik und Funktionsweise der modernsten russischen Militärsysteme vor.

Untersucht worden waren Marschflugkörper, Kommunikationssysteme und elektronische Kriegsführungssysteme, die seit Beginn des Kriegs in der Ukraine erbeutet oder abgeschossen worden waren.

RUSI fand in den 27 zerlegten und detailliert ausgewerteten Systemen mindestens 450 unterschiedliche Arten von im Ausland hergestellten Bauteilen.

Die meisten stammten von Produktionsfirmen aus den USA, doch liessen sich auch Japan, Taiwan, Südkorea, die Schweiz, die Niederlande, Grossbritannien, Frankreich und Deutschland als Herkunftsort feststellen.

Russland hat die Ukraine unter anderem mit iranischen Drohnen angegriffen. Einige der Bauteile dieser Drohnen stammen ebenfalls aus westlichen Drittländern.

Eine separate Analyse der in der Ukraine abgeschossenen iranischen DrohnenExterner Link ergab über 500 verschiedene High-Tech-Komponenten. Dies deckten Ermittelnde der Recherchegruppe Conflict Armament Research (CAR) im November auf.

In der Ukraine erbeutete Drohne
Eine iranische Mohajer-6-Drohne, dokumentiert von CAR in der Ukraine im November 2022. Conflict Armament Research

Die CAR-Recherchegruppe eruierte die Hersteller der Drohnen-Bauteile und die jeweiligen Ursprungsländer. Demnach stammten diese Komponenten von 70 Produktionsfirmen aus 13 verschiedenen Ländern; 82 Prozent der Teile wurden von Unternehmen mit Sitz in den USA hergestellt.

Nach Angaben von CAR wurden die meisten Komponenten in den Jahren 2020 und 2021 hergestellt und damit vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine.

Der Sender CNN veröffentlichte im Januar 2023 eine Einschätzung des ukrainischen GeheimdienstsExterner Link. Demnach wurden in einer in der Ukraine im letzten Herbst abgeschossenen Drohne elektronische Bauteile gefunden, die von mehr als einem Dutzend Unternehmen aus den USA stammten. Weitere Teile waren in Kanada, der Schweiz, Japan, Taiwan und China hergestellt worden.

Komponenten, die in Drohnen und Waffen gefunden wurden
CAR-Ermittelnde dokumentierten Komponenten, die in Drohnen und Waffen gefunden wurden, die Russland 2022 gegen die Ukraine eingesetzt hatte. Conflict Armament Research

Welche Schweizer Firmen sind beteiligt?

Laut dem RUSI-Bericht ist die Schweiz die viertgrösste HerstellerinExterner Link von elektronischen Hightech-Bauteilen, die in den untersuchten russischen Waffensystemen gefunden wurden. Insgesamt konnten 18 Bauteile nachgewiesen werden, die von Schweizer Firmen stammen.

Der Bericht nennt die beiden Firmen «STMicroelectronics» und «u-blox», die unter anderem Halbleiter und Module für globale Navigationssatelliten herstellen. «u-blox»Externer Link wurde Mitte der 1990er-Jahre als Spinoff der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich gegründet und hat sich zu einem millionenschweren Unternehmen mit Sitz in Thalwil bei Zürich und über 1000 Mitarbeiter:innen entwickelt.

Nach Angaben von RUSI konnten acht Mikrocontroller des Genfer Unternehmens «STMicroelectronics»Externer Link in mehreren russischen Militärdrohnen in der Ukraine nachgewiesen werden. Ausserdem wurde ein Hochfrequenz-Leistungstransistor in einem Funkgerät sowie in Komponenten des Satellitennavigationssystems eines Marschflugkörpers Kh-101 gefunden.

Module von «u-blox» befanden sich im GPS-Tracker und im Navigations- und Positionierungssystem einer Orlan-10-Drohne sowie in einem Funkgerät. In dem von CNN veröffentlichten Bericht des ukrainischen Geheimdiensts war ebenfalls von Elektronik aus der Fabrikation von «u-blox» die Rede.

Im Juni 2022 berichtete die Schweizer Tageszeitung BlickExterner Link unter Berufung auf die CAR-Recherchegruppe, dass in einer 2016 in der ukrainischen Region Donezk abgestürzten Orlan-10-Drohne ein von «u-blox» hergestelltes GPS-Modul gefunden worden sei.

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Was sagen die Schweizer Hersteller?

In einer Erklärung vom 20. Dezember 2022Externer Link verurteilte «u-blox» die Verwendung ihrer Bauteile für globale Satellitennavigationssysteme in russischen Militärdrohnen. «Seit 2022 gilt die Firmenpolitik von ‹u-blox›, wonach ihre Produkte nicht in Waffen verwendet werden dürfen – auch nicht in Systemen zur Zielidentifikation», heisst es in dem Statement.

Das Unternehmen erklärte, es habe unmittelbar nach dem Einmarsch Russlands im Februar 2022 alle Verkäufe nach Russland, Weissrussland und in die von der russischen Armee besetzten Gebiete in der Ukraine gestoppt.

Laut «u-blox» hortete die russische Regierung gewisse Bauteile frühzeitig in Hinblick auf die militärische Invasion. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass in russischen Drohnen, die nach Beginn des Ukraine-Kriegs hergestellt wurden, Bauteile ausländischer Komponentenhersteller gefunden wurden. Das Unternehmen erklärte zudem, es werde alle Verstösse untersuchen und gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten.

Nach Berichten in der Schweizer PresseExterner Link gab «STMicroelectronics» im Dezember 2022 eine kurze Erklärung ab. In dieser hiess es: «Nachdem die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und viele andere Länder seit Februar 2022 Sanktionen und Exportkontrollmassnahmen gegen Russland und Weissrussland verhängt haben, hat das Unternehmen die notwendigen Schritte eingeleitet, um diesen neuen Rahmenbedingungen zu entsprechen.»

Teile von Drohnen, die bei den russischen Luftangriffen eingesetzt wurden
Teile von Drohnen, die bei den russischen Luftangriffen eingesetzt wurden, werden den Medien bei einer Pressekonferenz der ukrainischen Armee in Kiew, Ukraine, am 15. Dezember 2022 gezeigt. Keystone / Sergey Dolzhenko

Welche Position vertritt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das für die Schweizer Exportkontrollen zuständig ist?

Das Schweizer Recht verbietet die Lieferung von Waffen an kriegführende LänderExterner Link. Ausserdem bestehen gegen Russland und den Iran internationale Sanktionen: Der Handel mit diesen Ländern wird deshalb streng kontrolliert.

Das Seco erklärt auf Anfrage, die Berichte über die westlichen Bauteile in Waffen aufmerksam verfolgt und Kontrollen durchgeführt zu haben. «Die fraglichen Unternehmen haben ihren Sitz in der Schweiz, produzieren aber in Drittländern», sagt Seco-Sprecher Fabian Maienfisch.

Bei den betroffenen Gütern handle es sich um industrielle Massenware, die nicht der Dual-Use-Kontrolle (zivile/militärische Nutzung) unterliege und auf dem Weltmarkt frei erhältlich sei. Laut Seco haben die Unternehmen nicht gegen Schweizer Recht verstossen.

Elektronisches Bauteil, in einer Drohne gefunden
Ein flexibles softwaredefiniertes Funkgerät, gefunden von CAR in einer Shahed-136-Drohne in der Ukraine, November 2022. Conflict Armament Research

Welche Exportkontrollen und Sanktionen gibt es, um dieses Problem in Zukunft anzugehen?

Am 4. März 2022 übernahm die Schweiz die Sanktionen der EU gegen Russland im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine. Sie verhängt ihrerseits strenge Sanktionen und HandelsbeschränkungenExterner Link.

Es wurden Verbote bezüglich doppelt verwendbarer Güter, besonderer militärischer Güter und Güter zur militärischen und technologischen Stärkung oder zur Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors erlassen, darunter beispielsweise Halbleiter.

Im November 2022 entschied die Schweiz zudem, die Sanktionen der EU betreffend die Lieferung von iranischen DrohnenExterner Link nach Russland zu übernehmen. Sie betreffen Lieferanten und Hersteller solcher Drohnen, die für Angriffe auf zivile Infrastrukturen in der Ukraine eingesetzt wurden.

Obwohl die in russischen und iranischen Waffen gefundenen Schweizer Bauteile offiziell nicht als Güter mit doppeltem Verwendungszweck gelten, ist ihr Export oder Verkauf aus der Schweiz nach Russland gemäss Seco seit dem 4. März 2022 verboten.

«Es ist davon auszugehen, dass Russland und der Iran solche Güter über Drittstaaten beschaffen. Diese Käufe für illegale militärische Zwecke werden oft von Scheinfirmen getätigt», sagt ein Seco-Sprecher.

Eines der grössten Probleme sei, dass an den ausländischen Produktionsstandorten oft keine oder nur ungenügende Kontrollen erfolgten. Dort gilt das Schweizer Recht nicht.

Was tun die USA und andere Länder?

Die US-Regierung sucht nach Wegen, um dem Iran den Zugang zu aus westlicher Produktion stammenden Bauteilen zu verunmöglichen. Das sind Bauteile, die für die Herstellung von Drohnen verwendet werden, die wiederum nach Russland verkauft werden.

«Wir suchen nach Möglichkeiten, die iranische UAV-Produktion (unbemannte Luftfahrzeuge) durch Sanktionen, Exportkontrollen und Gespräche mit Privatunternehmen, deren Bauteile für die Produktion verwendet wurden, ins Visier zu nehmen», sagte Adrienne Watson, Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats der USA, Ende Dezember der New York TimesExterner Link.

Gemäss dem Zeitungsbericht helfen die US-Streitkräfte dem ukrainischen Militär auch bei der Suche nach Standorten, die für die Lancierung der Drohnen verwendet werden.

Ausserdem liefern die USA möglichst neue Technologien, die eine frühzeitige Warnung vor herannahenden Drohnenschwärmen ermöglichen. Damit soll die Ukraine ihre Möglichkeiten verbessern, diese abzuschiessen.

Ein Sprecher des US-Handelsministeriums erklärte im Dezember gegenüber Reuters,Externer Link dass Russlands Zugang zu Halbleitern seit Beginn der Invasion durch eine Koalition von 38 Nationen um fast 70 Prozent reduziert worden sei.

Doch gemäss einer gemeinsamen Recherche von Reuters und RUSIExterner Link, die ebenfalls im Dezember veröffentlicht wurde, sind die weltweiten Lieferketten nach Russland trotz westlicher Ausfuhrbeschränkungen und Verkaufsverboten intakt geblieben.

Russischen Zollaufzeichnungen zufolge flossen in den sieben Monaten ab Kriegsbeginn bis zum 31. Oktober 2022 Computer- und andere elektronische Bauteile im Wert von mindestens 2,6 Milliarden Dollar nach Russland.

Der Anteil von Produkten aus der Fabrikation westlicher Firmen erreichte demnach einen Wert von mindestens 777 Millionen Dollar. Speziell wurden Chips in russischen Waffensystemen gefundenExterner Link.

Editiert von Sabrina Weiss, Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob

Externer Inhalt

Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob

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