Schweizer Engagement in Nordkorea geht weiter
Nordkoreas neuer Führer Kim Jong Un ist seit rund 100 Tagen im Amt. Veränderungen in dem Land wird es nach Ansicht von Experten, wenn überhaupt, noch lange nicht geben. Derweil leistet die Schweiz weiterhin Entwicklungs-Zusammenarbeit.
Am 29. Dezember 2011 wurde Kim Jong Un zum «obersten Führer» Nordkoreas ernannt, 12 Tage nach dem Tod seines Vaters Kim Jong Il. Der jüngste der drei Söhne von Kim Jong Il galt bereits ein Jahr zuvor als dessen designierter Nachfolger.
Mit dem Führungswechsel hat sich in der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) nichts verändert.
«Seit der Machtübernahme von Kim Jong Un ist es zu keinen erkennbaren politischen Veränderungen gekommen», sagt Simon Mason, Forscher im Center for Security Studies (CSS) an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ), gegenüber swissinfo.ch. «Es ist noch zu früh für Voraussagen, doch was wir bis jetzt sahen, deutet auf politische Kontinuität hin, jedenfalls kurz- und mittelfristig.»
Mason war Leiter von Studien über vertrauensbildende Massnahmen auf der koreanischen Halbinsel.
Zu jung?
Kim Jong Un ist weltweit das jüngste Staatsoberhaupt und laut Experten möglicherweise zu jung für sein Amt.
«Kulturell ist er sehr jung. Er ist noch nicht 30 Jahre alt und unverheiratet. In der asiatischen oder koreanischen Kultur bedeutet sein Alter, dass er nicht in der Position ist, das Land zu führen. Das heisst, dass er für seine Rolle auf Unterstützung innerhalb der Regierung angewiesen ist», sagt Stefan Burckhardt, Direktor des Nordkorea-Programms von Agape international, gegenüber swissinfo.ch.
Agape international ist eine schweizerische Wohltätigkeitsorganisation mit rund 60 Entwicklungs- und Hilfsprojekten in 15 Ländern. Seit 1995 ist Agape international auch in Nordkorea tätig, vor allem in den Bereichen Landwirtschaft und Energie.
Burckhardt reist mehrmals im Jahr nach Nordkorea und hat auch schon ein paar Monaten dort gelebt. Trotz seines Wissens über das Land hat er persönlich Alters-Diskriminierung erlebt.
«So lange man keine grauen Haare hat, ist es unmöglich, einer älteren Person etwas zu befehlen. Ich kann Vorschläge machen, aber ich kann niemandem sagen, was er zu tun hat», so Burckhardt.
Landwirtschaftliche Herausforderung
In einem Bereich benötigte Nordkorea dringend Rat: in der Landwirtschaft. Nach anfänglicher Nahrungsmittelhilfe zur Linderung der Hungersnot Mitte der 1990er-Jahre unterstützte Agape international lokale Bauern, um deren Techniken zu verbessern.
«Nordkorea ist ein gebirgiges Land, wie die Schweiz. Getreide und Reis können nur in Tälern angebaut werden», betont Burckhardt. «Im Vergleich zu Nordkorea herrschen in Südkorea weit bessere Bedingungen für die Landwirtschaft.»
Nach dem Korea-Krieg und der Trennung der Halbinsel 1945 in Nord- und Südkorea erhielt der kommunistische Norden von sozialistischen Ländern, vor allem von der Sowjetunion, Nahrungsmittelhilfe. Seit Beginn der 1990er-Jahre konnte Nordkorea nicht mehr auf diese Hilfe zählen, und der Landwirtschaftssektor verschlechterte sich.
«Die Mechanisierung des Agrar-Sektors ist weit hinter den Stand der 1980er-Jahre zurückgefallen, und die Düngerproduktion genügt der Nachfrage nicht», sagt Martin Weiersmüller, Länderdirektor des Büros der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) in Pjöngjang, gegenüber swissinfo.ch.
«Zu diesen wirtschaftlichen und technischen Faktoren kamen Mitte der 1990er-Jahre schlechtere Wetterverhältnisse dazu, und die Nahrungsmittelproduktion ging drastisch zurück. Resultat: eine verhehrende Hungersnot, der über eine Million Menschen zum Opfer fiel.»
Die Deza ist in Nordkorea seit 1995 aktiv und unterhält seit 1997 ein Büro in der nordkoreanischen Hauptstadt.
«Unsere Präsenz ist begründet durch die verzweifelte Lage der Bevölkerung, deren Grundnahrungsmitte-Versorgung sich seit 1995 kaum verbessert haben», so Weiersmüller.
Die Verstärkung eines gesicherten Nahrungsmittelvorrats steht immer noch im Mittelpunkt des Deza-Programms in Nordkorea, mit einem Budget von 5,5 Millionen Franken für das Jahr 2012.
Neue Energie
Agape international war in den letzten zehn Jahren in den Bereichen Nahrungsmittelsicherheit und Landwirtschaft tätig. Ein weiteres Aktionsfeld der Organisation ist der Energiesektor, laut Burckhardt das zweitgrösste Problem in Nordkorea.
«Ich glaube, diese zwei Bereiche werden weiterhin grösste Priorität erfordern, und beide sind voneinander abhängig. Wenn man keine Energie hat, kann man die Produktion nicht mit Mechanisierung erhöhen, und wenn man nicht mechanisieren kann, braucht es viele Leute, um die Arbeit zu verrichten.»
Mit der Hilfe von Agape international erbauten nordkoreanische Dorfbewohner 2009 eine Windmühle, die genügend Strom für zehn Familien produziert. Später folgte eine zweite, stärkere Windmühle, und der Enthusiasmus der Dorfbevölkerung war so gross, dass Workshops und Designwettbewerbe veranstaltet wurden.
«Wir haben gesehen, dass die Leute die Chance packen, wenn sie die Möglichkeit haben, Dinge zu verändern. Es gab Leute, die beim Windmühlen-Projekt viel bewegten und sehr gute Arbeit leisteten», betont Burckhardt.
Künftige Mitwirkung
Sowohl die Deza wie auch Agape international wollen weiterhin in Nordkorea arbeiten.
«Das Deza-Büro in Pjöngjang unter Leitung des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH) vereinbarte mit der Regierung eine Dreijahresstrategie für 2012-2014. Derzeit ist ein möglicher Ausstieg der Schweiz aus ihren humanitären Aktivitäten in Nordkorea nicht vorgesehen», erklärt Weiersmüller.
Agape international plant typischerweise für zwei Jahre voraus: «Solange Nordkorea an unserer Unterstützung und Partnerschaft interessiert ist, werden wir in Nordkorea weiterarbeiten», sagt Burckhardt.
Was den neuen Führer Kim Jong Un betrifft, meint Burckhardt, die nordkoreanische Bevölkerung werde ihn und sein Handeln wahrscheinlich zuerst beobachten und ihn erst später beurteilen.
«Die Leute wissen nicht viel über ihren neuen Führer, darum werden sie ihn in den kommenden Monaten genau beobachten. Sie werden sehen, ob es zu Veränderungen kommt. Dann werden sie sich eine Meinung bilden, und das braucht Zeit.»
Am 15. April begeht Nordkorea den 100. Geburtstag des verstorbenen Staatsgründers und Grossvaters von Kim Jong Un, Kim Il Sung. Zwischen dem 12. und 16. April will Nordkorea aus diesem Anlass einen zivilen Satelliten ins All schiessen.
Die USA und ihre Verbündeten verdächtigen Pjöngjang, damit in Wirklichkeit eine Langstrecken-Rakete testen zu wollen. Die USA nahmen deswegen ihre Zusage für Lebensmittel-Lieferungen an Nordkorea zurück.
Über eine Woche zuvor war der nordkoreanische Satellitenstart ein Thema am zweitägigen Gipfel über die Stärkung der nuklearen Sicherheit in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul gewesen, obwohl das Thema nicht traktandiert war.
Laut der Deza kann Nordkorea schätzungsweise 80% der jährlich benötigten 5,5 Millionen Tonnen Nahrungsmittel selber produzieren; der Rest muss von der Regierung gekauft oder von verschiedenen Ländern als humanitäre Hilfe erhalten werden.
Das UNO-Welternährungs-Programm (WFP) überprüft die Verteilung dieser internationalen Hilfe. Gemäss WFP sind 2011/2012 3 Millionen Menschen von Nahrungsmittelhilfe abhängig.
Am meisten betroffen sind Kinder, schwangere und stillende Frauen sowie ältere Menschen.
Bern unterhält mit Pjöngjang seit 1974 diplomatische Beziehungen.
Die erste Schweizer Präsenz auf der koreanischen Halbinsel erfolgte schon früher: Seit 1953 ist die Schweiz Mitglied der Neutralen Überwachungs-Kommission, welche die Einhaltung des Waffenstillstands zwischen Süd- und Nordkorea sicherstellt. Es war der erste Auslandeinsatz der Schweizer Armee.
Im Rahmen dieser Kommission überwachen Inspektionsteams aus der Schweiz, Schweden, Polen und Tschechien hunderte Grenzübergänge zwischen Süd- und Nordkorea.
Ursprünglich stellte die Schweiz 146 bewaffnete Armeeoffiziere zur Verfügung, mittlerweile verkleinerte sich der Bestand. Heute sind noch fünf Schweizer Militärs präsent.
Von 1997 bis 1999 war die Schweiz Gastgeberin von Vierergesprächen zwischen den beiden Korea, China und den USA.
Die Schweiz und Nordkorea führen seit 2003 jährlich politische Gespräche. Diese werden abwechslungsweise in Bern und Pjöngjang abgehalten.
Der neue nordkoreanische Führer Kim Jong Un besuchte angeblich bis 1998 die International School Of Berne. Laut Berichten hat er noch weitere Schulen im Raum Bern besucht. Seine wahre Identität wurde aber damals verhüllt.
(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)
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