Schweizer Presse begrüsst Euro-Pakt mit Skepsis
Der neue Euro-Pakt zur Rettung Griechenlands wird von den Schweizer Medien mit vorsichtiger Skepsis begrüsst. Der Druck auf das verschuldete Land habe zwar etwas nachgelassen, doch gelöst worden sei das Problem nicht.
Die Schweizer Presse interpretiert die Auswirkungen des erneuten Rettungspakets der EU unterschiedlich.
Die Boulevard-Zeitung Blick geht in ihrem Kommentar auf die Auswirkungen des neu geschnürten Euro-Pakts auf den hohen Schweizer Franken ein: Als Reaktion «jubelte die Börse, und der Euro legte zu. Doch die Schuldenkrise ist nicht ausgestanden, und der Franken bleibt als Fluchthafen unter Aufwertungsdruck».
Laut Tagi «wächst Euroland in der Krise», laut Blick ist das Resultat vom Donnerstag ein «positives Signal, keine Befreiung». Die NZZ zeigt sich skeptisch: Sie sieht im Resultat eher ein «Abrutschen in Richtung Vergemeinschaftung von Finanzen und Leistungen».
Zum Aspekt der «Vergemeinschaftung» zitiert der Blick den Ökonomen Anastassios Frangulidis von der Zürcher Kantonalbank (ZKB): «Entlastung für die Schwachen bedeutet Belastung der Starken»: Das seien vor allem Deutschland und Frankreich. Und Frankreichs Finanzen seien auch nicht die besten.
Einmalig für Griechenland oder eben gerade nicht?
Die Westschweizer Tageszeitung Le Temps schliesslich hebt den Umstand heraus, dass die Idee von Jean-Claude Trichet Fuss gefasst habe: Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) schlage seit langem eine Art EU-Finanzministerium vor. Im weiteren zitiert Le Temps den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy: «Was wir für Griechenland unternehmen ist einmalig. Wir werden dies für kein weiteres europäisches Land machen.»
Genau das aber ist die Sorge der NZZ: Heute lasse sich noch abschätzen, «wie viele und wie schwere EU-Länder künftig an einer solchen Auffangeinrichtung Halt finden wollen». Und – nun ganz im Gegensatz zu dem von Sarkozy Behaupteten: «Der Umgang mit Griechenland ermuntert eigentlich weitere Länder, sich auffangen zu lassen.»
Nachdenkliche Angela Merkel
Illustriert wurden die Berichte über den neuen Euro-Pakt mit Vorliebe mit Bildern einer nachdenklichen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die NZZ widmet ihrer Rolle respektive ihrem «Balanceakt zwischen deutschen und ‹europäischen› Positionen» gar einen separaten Kommentar.
Darin wird ihr Zögern und Taktieren, für das sie wiederholt kritisiert worden sei, beinahe schon als konsequente Haltung erachtet. Es entbehre nicht einer gewissen Tragik, dass Merkel im Laufe der Krise ihre Positionen (Anreize für die verschuldeten Länder, es künftig besser zu machen, Stabilitätspakt) «nach und nach hat räumen müssen».
«Sich daran gewöhnen» als Gefahr
«Nie» wollte sie einen permanenten Euro-Rettungsschirm: Doch jetzt soll der Euro-Rettungsfonds («Europäische Finanzstabilitätsfazilität EFSF») dennoch mehr Spielraum erhalten.
Die NZZ sieht nach diesem Euro-Pakt die Gefahr aufziehen, dass «sich allmählich viele daran gewöhnen könnten, dass die EU eine Sonderwirtschaftszone darstelle, in der die Zinssätze nicht Marktzinssätze sein dürfen».
Auf das Konstrukt des Rettungsschirms EFSF geht auch Le Temps weiter ein: Eurozone-Vertreter bezeichneten ihn bereits als «Fonds monétaire européen», und er könnte staatliche Schuldenpapiere von Ländern aufkaufen. Effekt: Ein Teil der Staatsschulden der 17 Eurozone-Länder würde «vergemeinschaftet» werden.
Le Temps interpretiert auch die Reaktion der Finanzmärkte auf den neuen Pakt, die aus dem Resultat in Brüssel eine andere Folgerung ziehen: «Geht es in Richtung einer europäischen ‹Nationalisierung› der Schulden?» Kein Wunder, dass deshalb die «europäischen Banken aufatmen»: Die griechischen Schuldpapiere würden von den Privatbanken an europäische Institutionen weiterverkauft werden können.
Und diese könnten dann, so Le Temps, beide Augen schliessen, wenn in einigen Jahren Griechenland einen Teil seiner Schulden nicht mehr bediene.
Am Donnerstag trafen sich in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der Eurozone, um eine neue Lösung der Eurokrise und der Griechenland-Schulden zu finden.
Am Mittwoch hatte der Ökonom Stéphane Garelli am Westschweizer Radio die im Vorfeld des Treffens diskutierten Lösungen als von «Kurzsichtigkeit und Gedächtnisschwund» gekennzeichnet bezeichnet.
Denn Schulden-Restrukturierungen seien kein neues Thema. Im 1956 gegründeten «Club von Paris» seien bisher 422 Restrukturierungs-Abkommen über die Schulden von 88 Ländern geschlossen worden.
Die Verfahren seien demnach längst bekannt und erprobt. Als erstes gebe es jeweils eine 3- bis 5-jährige Tilgungs-Erstreckung, während der keine Zinsen und Rückzahlungen erhoben werden.
Zweitens zeige die Erfahrung, dass es ohne Einbindung des Privatsektors nicht gehe.
Drittens müsse darauf geachtet werden, dass die Wirtschaft des entsprechenden Landes im Stande bleibe, die Rückzahlungen zu leisten.
David Stadelmann schlug bereits vor mehr als einem Jahr zu Beginn der Krise in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor, Deutschland könnte ähnlich einem Grossinvestor den Griechen Kredite zu Zinsen gewähren, die günstiger wären als jene auf dem Finanzmarkt.
Gleichzeitig müsste es aber in Griechenland politische Kontrollaufgaben ausüben. Die Griechen würden dies angesichts der korrupten eigenen Politikerkaste, «deren Misswirtschaft [sie] satt» hätten, akzeptieren.
Stadelmann beruft sich dabei auf das 19. Jahrhundert, als genau dies schon einmal praktiziert worden war.
Das damals bereits hochverschuldete Griechenland wurde durch eine Anleihe zahlungsfähig gehalten. Gleichzeitig war der bayerische Prinz Otto von Wittelsbach als Regent nach Griechenland geschickt worden, um Kontrollaufgaben zu übernehmen.
Nach deutschem Vorbild baute Otto die administrative Basis des modernen Griechenlands auf, holte Landsleute nach Athen und investierte in das Land.
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