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Schweizer Presse erweist Mandela letzte Ehre

Mandela ist nicht mehr: Südafrika trauert um seinen Volkshelden. Keystone

"Der grosse Versöhner", "Gigant der Gerechtigkeit", "Mann des Jahrhunderts", "Halbgott wider Willen". Die Schweizer Medien sind sich einig: Die ganze Welt trauert um den südafrikanischen Kämpfer gegen die Apartheid und früheren Staatspräsidenten Nelson Mandela.

«Er war das Gesicht einer menschlicheren Welt», titelt der Zürcher Tages-Anzeiger auf der Titelseite. «Mit dem Tod von Nelson Mandela wird die Welt um mehrere Grade kälter.» Das Kap der Guten Hoffnung werde noch unberechenbarer und stürmischer werden.

Nelson Mandela habe sich in den letzten Jahren nicht mehr in globale Debatten oder die Geschicke Südafrikas eingemischt, aber «die blosse Anwesenheit des Gründervaters der neuen südafrikanischen Republik wirkte wie ein Warnsignal für Politiker, die die Orientierung zu verlieren drohten.» Ohne ihn wären die Geschicke Südafrikas mit Sicherheit wesentlich schlimmer verlaufen.

«Die kommenden Tage werden schwer zu ertragen sein», sagt der Südafrika-Korrespondent des Zürcher Tages-Anzeigers und des Berner Bund voraus: «Jeder, der etwas auf sich hält, wird mit sich in Superlativen überbietenden Eulogien auf den verstorbenen Riesen aufwarten – in der Hoffnung, dass auch etwas vom Glanz des Gelobten auf den Lobenden abstrahlt.» Schon zu Mandelas Lebzeiten habe es für prominente Südafrika-Reisende aus aller Welt kein höheres Ziel gegeben, als eine Audienz bei der Ikone und ein gemeinsames Foto zu ergattern. «Für eine Einladung in Johannesburg wurden selbst Audienzen beim Papst in den Wind geschlagen.»

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Marksteine der Apartheid

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Ab dem 16. Juni 1976 erschütterten Schüler- und Studentenproteste Soweto, die sich gegen eine Direktive der Regierung richteten, in den höheren Schulklassen nurmehr auf Afrikaans und nicht mehr auf Englisch zu unterrichten. Die Unruhen forderten über 500 Opfer. Soweto wurde somit zum Symbol des Kampfes gegen die Apartheid. Heute leben dort über 1 Million Menschen…

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Auch Federer trauert

Die Boulevard-Zeitung Blick zitiert den Schweizer Tennisstar Roger Federer, dessen Mutter aus Südafrika kommt, mit den Worten: «Er hat so viel verändert, eine unglaubliche Persönlichkeit. Er glaubte an etwas und musste einen grossen Preis dafür bezahlen. Er war jemand, zu dem man definitiv aufschauen kann.»

Und der dunkelhäutige Thabo Sefolosha, der einzige Schweizer in der National Basketball Association NBA, zeigt sich in dem Blatt berührt vom Tod Mandelas: «Meine Familie, die in Südafrika lebt und alles noch viel näher erlebt, trifft es noch viel mehr. Er hat so viel Gutes getan in seinem Leben. Vor allem gegen die Apartheid.»

«Kein Messias»

Die Westschweizer Tageszeitung La Liberté zitiert noch einmal Mandelas Worte, nach dessen Wahl zum Präsidenten Südafrikas. «Ich bin kein Messias, sondern ein Mensch wie die anderen, der durch besondere Umstände zum Führer geworden ist.» Die ganze Komplexität von Mandelas Schicksal sei in diesem einfachen Zitat enthalten.

Um die Persönlichkeit mit wenigen Worten zu beschreiben, greift La Liberté auf eine Anekdote zurück, die aus der Zeit stammt, als Mandela im Gefängnis von Robben Island war. Eines Tages habe er damit begonnen, einen kleinen Garten zu pflegen. Damit habe eine eigentliche Berufung, die noch Jahre dauerte, ihren Anfang genommen: Aus der Pflege des «inneren Gartens» sei eine unerschöpfliche Kapazität entstanden und die Hoffnung auf Freiheit jedes Jahr neu erwacht.

Bundespräsident Ueli Maurer hat der Regierung Südafrikas und den Familienangehörigen sein Beileid zum Tod von Nelson Mandela ausgesprochen.

Maurer habe «mit grosser Trauer» vom Tod Mandelas Kenntnis genommen, heisst es in einer Mitteilung seines Ministeriums vom Freitag. Er teile den grossen Schmerz des südafrikanischen Volks.

Südafrika, der afrikanische Kontinent und die ganze Welt verliere eine «herausragende Persönlichkeit und einen der wichtigsten Menschen unserer Zeit». Mandela habe mit seinem Engagement für die Versöhnung seines Landes die Geschichte des 20. Jahrhunderts geprägt.

«Südafrika verdankt ihm alles»

Respekt für den Kampf gegen die Apartheid und vor allem für seine Fähigkeit zu verzeihen, zollt ihm die jurassische Tageszeitung Le Quotidien Jurassien. «Seine Weisheit hat es ermöglicht, zwei Gemeinschaften zu versöhnen, die sich hassten, eine weisse Minderheit, die das schwarze Volk unverschämt unterjocht hatte.» Nelson Mandela habe für Südafrika allein das erreicht, was Malcom X, Martin Luther King und Barack Obama zusammen für die Sache der Afro-Amerikaner getan hätten.

Das moderne Südafrika verdanke ihrem «Vater der Nation» alles. Vor allem die Schwarzen in den Townships von Soweto, denen Mandela den Mut zur Emanzipation und die Kraft zum Verzeihen gegeben habe. Aber auch die Weissen, die Nachkommen der Kolonialisten, die das ungerechte Apartheid-Regime errichteten, hätten von der Güte des schwarzen Staatspräsidenten profitiert, der das Land ohne jeden Hauch von Rache geführt habe.

Mandela bleibe «ein Vorbild für die Menschheit», sagte Didier Burkhalter, der künftige Bundespräsident der Schweiz am Aussenministertreffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Kiew: «Ein Beispiel für Kraft, für Freiheit, für Vergebung und Versöhnung.»

Der Aussenminister, der im kommenden Jahr den Vorsitz der OSZE innehaben wird, rief die Vertreter der 57 OSZE-Mitgliedsländer zu einer Schweigeminute auf.

(Quelle: sda)

Bild der Hoffnung

Die Waadtländer Tageszeitung 24 heures erinnert an das Bild, «das man nie vergessen wird.» Nelson Mandela als freier Mann am 11. Februar 1990, drei Monate nach dem Fall der Mauer in Berlin und Hand in Hand mit seiner Frau. Ein Bild, das die Hoffnung weckte, dass die Geschichte vorwärts macht und sich die Welt in eine bessere Richtung entwickelt.

Das grösste Werk des grossen Mannes sei das gewesen, was er mit der Macht getan habe, die ihm anvertraut worden sei. Die Verzeihung, die Versöhnung, das politische Geschick, das auf Empathie basierte und diese Weisheit, die ihm zeigte, dass er nicht an der Macht festhalten sollte, als ihm das Alter Grenzen zu setzen begann.

«Mandela war kein Heiliger», schreibt 24 heures. «Im letzten Buch, das er publizierte, erwähnte er seine Fehler, seine Verirrungen und Zweifel. Seine Aktionen waren nicht frei von Vorwürfen, schon gar nicht in seinem eigenen Land, das immer noch gegen Aids, Gewalt, Armut und für eine bessere Zukunft zu kämpfen habe.


Ende der Apartheid

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) blickt auf einer Doppelseite auf «ein opferreiches Leben für sein Volk» zurück, das «untrennbar mit der Geschichte Südafrikas verbunden gewesen ist». Mandela werde der Welt als menschliches und staatsmännisches Vorbild in Erinnerung bleiben.

«Es gibt charismatische Staatsmänner und mutige Politiker, politische Anführer, die bescheiden bleiben, wenn sie eine historische Rolle ausfüllen, und solche, die vom Nimbus des Revolutionärs zehren. Aber nur Nelson Mandela, der erste schwarze Präsident Südafrikas, der am Donnerstag in seinem Haus in Johannesburg im hohen Alter von 95 Jahren gestorben ist, war all dies zusammen.

Das eigentliche Wunder bestehe darin, schreibt der Kommentator der NZZ unter dem Titel «Der Befreier», dass Mandela, als er 1990 aus der 27-jährigen Gefangenschaft entlassen wurde, «nicht zum Gegenschlag ausholte, sondern in einer beispiellosen Integrationsleistung nicht nur die Weissen, sondern auch seine schwarzen Gegner für seine «Regenbogen»-Vision gewinnen konnte. Nun überwältigte er seine Widersacher nicht mehr durch frontale Angriffe, sondern durch Charmeoffensiven, besiegte sie durch Umarmung. Bei ihm fielen Nächstenliebe und politische Taktik in eins.

Die Apartheid sei nicht in erster Linie vom Befreiungskampf des African National Congress (ANC) und schon gar nicht vom bewaffneten Widerstand besiegelt worden. Und weder internationale Sanktionen oder moralische Erwägungen seien entscheidend gewesen, sondern die Ökonomie.

«Es waren vor allem  südafrikanische Unternehmer, die immer drängender eine Kehrtwendung von der weissen Regierung forderten. Eine moderne Wirtschaft braucht Bildung für alle, freien Personenverkehr, einen offenen Arbeitsmarkt, allgemeinen Wohlstand, Zugang zu Institutionen, möglichst wenig Bürokratie. Die prosperierende Ökonomie geriet in Widerspruch zur starren, anachronistischen Rassentrennung. Das Glück war, dass im richtigen Moment auf beiden Seiten des Konflikts einsichtige Menschen sich die Hand reichten.»

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