Schweizer Ex-Minister und ihre umstrittenen Jobs
Was machen die Bundesrätinnen und -räte nach ihrem Ausscheiden aus der Schweizer Regierung? Müssen sie besser auf den Schritt zurück in ein "normales" Leben vorbereitet werden? Die Nominierung von Doris Leuthard, der ehemaligen Verkehrs- und Infrastrukturministerin, zur Verwaltungsrätin des Schweizer Bahnherstellers Stadler Rail wurde stark kritisiert und hat eine alte Debatte wieder aufflammen lassen. Die Schweiz müsse gesetzgeberisch tätig werden, fordert die NGO Transparency International.
Ehemalige Schweizer Ministerinnen und Minister, die in Pantoffeln daheim vor dem Kaminfeuer sitzen: Dies ist eine komplett falsche Vorstellung davon, wie das Leben von Ex-Bundesräten aussieht.
Das Gegenteil ist der Fall: Sie wechseln meist unmittelbar in die Privatwirtschaft, wo sie einen mehr oder minder hohen Posten bekleiden. Genau dies wird aber kritisiert, weil daraus mögliche Interessenkonflikte resultieren können.
Für die jüngste Kontroverse sorgt Doris Leuthard: Die ehemalige Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), die im letzten Dezember aus dem Bundesrat zurücktrat, wechselt in die Teppichetage von Bahnausrüster Stadler Rail. Die Aktionäre werden an der Hauptversammlung von kommendem April über die Wahl Leuthards in den Verwaltungsrat der Gesellschaft befinden.
Der Fall wird von Transparency International Schweiz als «problematisch» eingestuft. Das Mandat betreffe genau den Verkehrsbereich, also jenes Ressort, für das Doris Leuthard von 2010 bis 2018 in der Regierung verantwortlich war. «Das ist ungeschickt, obwohl sie eine einjährige Frist eingehalten hat. Von einer ehemaligen Ministerin wird mehr Sensibilität erwartet», sagt Martin Hilti, Direktor des Schweizer Ablegers der weltweiten Antikorruptions-Organisation.
Leuthard ist bereits im Verwaltungsrat von Bell, dem grössten Schweizer Fleischverarbeiter, sowie von dessen Muttergesellschaft und Grossverteiler Coop. Die beiden Posten übernahm sie im März 2019, nur drei Monate nach ihrem Ausscheiden aus der Regierung. Ein rascher Wechsel, der ebenfalls problematisch sei, sagt Martin Hilti.
Gängige Praxis
Die Debatte datiert aus dem Jahr 2010. Damals wechselte Infrastrukturminister Moritz Leuenberger nur wenige Wochen nach seinem Rücktritt aus der Regierung in den Verwaltungsrat von Implenia, dem führenden Schweizer Baukonzern. Dies sorgte für einen mittleren Sturm der Entrüstung. Später sagte Leuenberger am Schweizer Radio, dass er mit dem Schritt habe provozieren wollen. «Man hatte mich fallengelassen, und ich wurde zum Rückzug gedrängt. Auch von der eigenen Partei. Also sagte ich mir: Wenn ihr mich nicht mehr wollt, dann mache ich etwas, was euch missfällt.»
Im Jahr 2007 heuerte Joseph Deiss, der ehemalige Wirtschafts- und Landwirtschaftsminister, bei Emmi an, dem grossen Schweizer Milchverarbeiter, der sich mehrheitlich im Besitz der Bauern befindet.
Auch die Mandate von Kaspar Villiger hatten zu Kontroversen geführt. Bis Ende 2003 Regierungsmitglied, wurde der Luzerner im folgenden Jahr Verwaltungsrat von Nestlé sowie des Rückversicherers Swiss Re. 2009 wurde er zudem Präsident des Verwaltungsrats der Schweizer Grossbank UBS.
Eine Frage des Vertrauens in die Demokratie
Die Schweiz hat kein Gesetz zur Regelung des neuen Lebens der ehemaligen Minister. Zwar hat das Parlament dies mehrmals versucht, doch stets ohne Erfolg. Der letzte Versuch datiert aus dem September letzten Jahres, als der Ständerat (kleine Kammer) eine entsprechende parlamentarische Initiative ablehnte. Diese verlangte für ehemalige Bundesräte ein Verbot von Firmen-Mandaten, wenn sich diese mit dem früherem Departement des Regierungsmitglieds decken. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, fordert Transparency International die Einführung einer verbindlichen Wartefrist. Erst danach sollen ehemalige Minister ein bezahltes Amt übernehmen dürfen.
«Wenn wir keine Gesetze erlassen, kann das Vertrauen in die demokratische Institutionen leiden», sagt Martin Hilti. Er weist jedoch darauf hin, dass die Parlamentarier selbst «die grössten Lobbyisten» seien. Und das könnte sie ermutigen, in diesem Bereich nichts zu unternehmen. Hilti setzt jetzt auf das neue, verjüngte und linkere Parlament: «Wir haben jetzt eine neue Generation, die sich des Problems des Lobbyismus bewusst ist – sie könnte die Situation verbessern.» Aber die Linke müsse im Zentrum Verbündete finden, wolle sie etwas bewirken.
Regeln für ehemalige Ministerinnen und Minister
In der Schweiz sind auch Bundesräte in einem gewissen Sinne Milizpolitiker. Dies, weil auch sie nach ihrem Ausscheiden aus der Regierung einen Plan B haben müssen. Ex-Bundesräte haben eine Jahresrente von gut 200’000 Franken. Das ist rund die Hälfte der Bruttobezüge von amtierenden Bundesräten.
Nimmt eine Ex-Ministerin eine Erwerbstätigkeit auf, kann das Auswirkungen auf ihre Rente haben. Der Bundesbeschluss über die Gehälter von ehemaligen Magistraten besagt nämlich, dass sie nach ihrem Ausscheiden nicht mehr verdienen dürfen als ihre aktuellen Amtskollegen. Anders gesagt, ist ihr Lohn gedeckelt.
Verdienen sie also mehr als die rund 400’000 Franken eines aktuellen Bundesrats, müssen sie den Überschuss in die Bundeskasse abliefern. Dies widerfuhr dem ehemaligen Finanzminister Kaspar Villiger. Seine diversen Mandate brachten ihm viel mehr ein, weshalb er einige abgeben musste.
(Quelle: RTS)
(Übersetzung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch