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Schweizer Wirtschaft: Starker Franken verdrängt Sorgen um Bilaterale

Die Exporte der Schweiz erreichten 2014 einen neuen Höchststand. Keystone

Vor einem Jahr reagierte die Schweizer Wirtschaft mit Besorgnis auf das Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative. Bisher halten sich die wirtschaftlichen Folgen des 9. Februar dennoch in engen Grenzen. Die massive Aufwertung des Frankens hingegen hat die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schlagartig verschlechtert.

«Das Umfeld ist besonders im Hinblick auf Investitionsentscheidungen durch erhöhte Unsicherheit geprägt», sagt Klaus Abberger, Bereichsleiter Konjunkturfragen bei der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) zu den Auswirkungen der von einer knappen Mehrheit angenommenen Masseneinwanderungs-Initiative.

«Wir gehen davon aus, dass mit Europa eine vernünftige Lösung gefunden werden kann» Jan Atteslander, Economiesuisse

Der Schweizer Wirtschaft gehe es – vor allem auch im internationalen Vergleich – gut, so Abberger. Aber die Initiative sei «ein spürbarer Faktor», denn «die Unternehmen haben zum Teil Investitionen aufgeschoben». Die KOF gehe aufgrund der Umfragen «davon aus, dass die Investitionen ohne die Initiative um 0,5 bis 1 Prozentpunkte höher gewesen wären». Laut einer Studie der KOF haben rund 15% der Unternehmen wegen des Volksentscheides ihr Investitionsverhalten geändert.

«Mit dem Entscheid haben die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union einen schweren Schaden genommen. Brüssel hat das Vertrauen verloren», sagt Jan Atteslander, Leiter Aussenwirtschaft beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse: «Grundsätzlich sollte man auf keinen Fall übertreiben. Multinationale Firmen und europäische Investoren sind zwar vorsichtiger geworden, aber rund drei Viertel der Unternehmen sind bisher davon ausgegangen, dass die bilateralen Verträge mit der Europäischen Union erhalten bleiben. Darum sind die Auswirkungen noch nicht sehr stark.»

Fundamental nichts verändert

In der Tat war die Schweizer Exportwirtschaft im Jahr 2014 erfolgreich unterwegs. Die Ausfuhren stiegen nominell um 3,5 auf 208 Milliarden Franken und liegen damit über dem bisherigen Höchststand von 2008. Die Importe hingegen nahmen mit einem Plus von 0,4% nur geringfügig auf 178 Milliarden zu. Der Handelsbilanzüberschuss erreichte mit 30 Milliarden einen neuen Rekordwert. Zum Bruttoinlandprodukt und zur Wachstumsquote für das Jahr 2014 liegen noch keine definitiven Zahlen vor.

Bilaterale und Wirtschaft

Ein Ende der bilateralen Abkommen mit der Europäischen Union würde das wirtschaftliche Erfolgsmodell der Schweiz gefährden. Zu diesem Schluss kommt die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) in einer Studie.

Die KOF empfiehlt der Politik deshalb, alle Möglichkeiten zur Weiterführung der Bilateralen zu prüfen.

Die am 3. Februar veröffentlichte Studie analysiert den Einfluss der Bilateralen auf die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre in der Schweiz. Untersucht wurde vor allem die Wirkung des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).

In einer Simulationsrechnung untersuchte die KOF, was eine Kündigung der bilateralen Abkommen für das Wirtschaftswachstum bedeuten würde. Die stärksten negativen Auswirkungen drohten bei den Investitionen, vor allem bei den Wohnbauinvestitionen. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) würde gemäss der Studie in den nächsten Jahren um jährlich 0,2 Prozentpunkte geringer ausfallen.

«Keine grossen Auswirkungen» – so lautet auch das Fazit von Daniel Lampart, dem Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes: «Solange nichts entschieden ist, ändert sich fundamental nichts.»

Die Schweiz hat noch zwei Jahre Zeit, um den neuen Verfassungsartikel – Einführung von Kontingenten für Arbeitnehmer aus der EU und Inländervorrang bei der Besetzung von Stellen –umzusetzen und mit der EU eine Lösung auszuhandeln. Diese lehnt Kontingente klipp und klar ab. Im Extremfall droht eine Kündigung der bilateralen Verträge und damit der Wirtschaft der Verlust des Zugangs zum EU-Binnenmarkt.

Hoffen auf «vernünftige Lösung»

Das hätte schwerwiegende Konsequenzen für die Wirtschaft. Doch soweit ist es nicht. Der Bundesrat will demnächst das definitive Verhandlungsmandat mit den Eckdaten für die Verhandlungen mit der EU verabschieden.

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«Wir gehen davon aus, dass mit Europa eine vernünftige Lösung gefunden werden kann», sagt Jan Atteslander und verweist darauf, dass der Verfassungsartikel auch mit Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz umgesetzt werden muss.

Drohende Wende

Mit dem Entscheid der Nationalbank, den Mindestkurs des Frankens aufzuheben, sind zudem die Sorgen um die Zukunft der Bilateralen in den Hintergrund gerückt. «Der Frankenkurs kann eine wirtschaftliche Wende herbeiführen. Die Unsicherheiten um die Zukunft der Bilateralen wirken hingegen lediglich dämpfend», sagt Klaus Abberger von der KOF.

Die KOF hat ihre Konjunkturprognose vom Dezember 2014 «angesichts des Franken-Schocks» aufdatiert. Dabei geht sie von der Annahme aus, dass der Franken in den kommenden zwei Jahren um die Parität mit dem Euro pendeln wird. Auch der tiefere Erdölpreis ist in die Prognosen eingeflossen.

Die Konjunkturforscher kommen aufgrund dieser neuen Ausgangslage zum Schluss, dass die Schweizer Wirtschaft im Sommerhalbjahr 2015 eine kurze Rezession durchmachen wird. Im Gesamtjahr 2015 soll das Bruttoinlandprodukt (BIP) um 0,5% schrumpfen. Für 2016 rechnet die KOF mit einer Stagnation, also mit 0% Wachstum.

Vor wenigen Wochen tönte es noch markant optimistischer. Am 17. Dezember, einen Monat vor dem überraschenden Nationalbankentscheid prognostizierte die KOF eine Steigerung des BIP um 1,9% im Jahr 2015 und um 2,1% im 2016.

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