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Sergej Guriev: «Die Schweizer Ölhändler werden entscheidend sein»

Sergej Guriev
Der russische Ökonom Sergej Guriev floh 2013 nach Paris. swissinfo.ch

Wie wirksam sind die Sanktionen gegen Russland? Welche Rolle spielt die Schweiz im Krieg gegen die Ukraine? Wir haben russische Putin-Gegner befragt. Den Auftakt macht Ökonom Sergej Guriev.

Die Schweiz spielt eine wichtige Rolle, wenn es um russische Vermögenswerte und Rohstoffe geht. Sie dürfe sich nicht hinter ihrer Neutralität verstecken, sondern solle aktiv dazu beitragen, dass dem russischen Kriegsregime die Ressourcen ausgehen: Das ist die einhellige Meinung aller Meinungsführer der russischen Opposition, die wir befragt haben.

Für diese Interviewreihe haben wir die wichtigsten Stimmen kontaktiert, die sich gegen den Kreml aussprechen. Die meisten von ihnen mussten deshalb das Land verlassen: Putin-Gegner Garry Kasparov lebt jetzt in Kroatien, der Unternehmer Leonid Nevzlin in Israel, und Star-Ökonom Sergej Guriev floh nach Frankreich. Der Putin-Kritiker und Wirtschaftswissenschaftler Sergey Aleksashenko lebt in Washington. Wladimir Kara-Mursa beantwortete unsere Fragen in russischer Haft. 

Sergej Guriev ist Professor für Wirtschaftswissenschaften am Institut Sciences Po in Paris, wo er seit 2013 lehrt, nachdem er von 2004 bis 2014 als Rektor der New Economic School in Moskau tätig war. Er war Vorstandsmitglied mehrerer russischer Banken und Unternehmen. Guriev leitet auch das Research and Policy Network on Populism am Centre for Economic Policy Research in London.

Er verliess Russland 2013 nach einem «beängstigenden und demütigenden Verhör», als Ermittler der Regierung sein Büro durchsuchten und seine E-Mails aus fünf Jahren sicherstellten. Dies weil er in einem Gremium von Wirtschaftsexperten mitwirkte, welches die russische Position im Fall Yukos kritisch beurteilte.

swissinfo.ch: Herr Guriev, funktionieren die Sanktionen des Westens so, wie Sie es erwartet haben?

Sergej Guriev: Der Hauptgedanke hinter den Sanktionen war, Putins Ziele zu beeinflussen und ihm klarzumachen, dass ein solcher Krieg zu kostspielig und zu gefährlich für ihn ist. Wir haben nun gesehen, dass Putin seine Ziele nicht ändert.

Die Idee hinter den Sanktionen hat sich entsprechend geändert: Putin sollen die Ressourcen entzogen werden, die er zur Fortsetzung des Krieges benötigt. Das bedeutet, ihm soll die Möglichkeit genommen werden, neue Waffen zu produzieren und Soldaten zu rekrutieren. So betrachtet: Ja, die Sanktionen waren bereits erfolgreich.

Aber Putins Kriegsmaschinerie läuft weiter. War das ausreichend?

Neue Sanktionen, die im Dezember, Januar und Februar beschlossen werden sollen, werden Putins Möglichkeiten zur Fortsetzung des Krieges weiter einschränken. Geplant sind etwa ein Embargo für russische Ölexporte nach Europa und eine Preisobergrenze für die verbleibenden Ölverkäufe. Er wird den Krieg gegen die Ukraine immer noch fortsetzen wollen, aber er wird dafür weniger Geld, weniger Panzer und weniger Flugzeuge haben.

In dieser Hinsicht ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Westen seine Einigkeit aufrechterhält. Denn jedes noch so kleine Schlupfloch wird von Putin genutzt werden.

Wie sehen Sie die Rolle der Schweiz bei den westlichen Bemühungen, Putins Krieg zu stoppen?

Sie ist entscheidend. Die Schweiz ist ein Land, das über moderne Technologien und Banken verfügt. Beides kann Putin helfen, die Sanktionen zu umgehen, damit er im Ausland moderne Technologie kaufen kann. Und wenn ein Embargo für den Handel mit russischem Öl eingeführt wird, werden Schweizer Händler eine wichtige Rolle spielen müssen.

Es ist daher völlig richtig, dass sich die Schweiz trotz ihres neutralen Status von Beginn weg an den Sanktionen beteiligt hat. Dies war sehr wichtig und wird dazu beitragen, den Krieg schneller zu beenden.

Russland sieht die Schweiz nicht mehr als neutrale Vermittlerin, denn Bern habe sich im Krieg auf eine Seite gestellt. Hätte sich die Schweiz im Interesse der Unparteilichkeit besser zurückgehalten?

Es stimmt, die Schweiz hat in diesem Krieg eine Seite gewählt, und zwar die Seite der Guten. Und das ist auch richtig so. Wir befinden uns nicht in den 1940er-Jahren, als die Schweiz ihre Neutralität bewahrte und so Deutschland geholfen hat, die von anderen westlichen Ländern verhängten Sanktionen zu umgehen.

Es liegt auf der Hand, dass die Schweiz dem Bündnis des Westens beitreten muss, denn es geht jetzt um das Überleben Europas. Wenn Putin in der Ostukraine nicht gestoppt wird, wird der westliche Teil des Landes folgen. Und danach andere osteuropäische Länder. Putin hat Atomwaffen und wird die Welt damit weiter erpressen. Darum muss man ihm klarmachen, dass der gesamte Westen in seiner Position geeint ist, einschliesslich der Schweiz und nicht-westlicher Industrieländer wie Japan, Singapur, Australien und Korea.

Selbst Indien und China schliessen sich in gewisser Weise an und weigern sich, aus Angst vor westlichen Sekundärsanktionen, Waffen an Russland zu verkaufen. Alle Länder, die über Geld und Technologien verfügen, müssen sich gegen Putin vereinen. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Beendigung dieses Krieges.

Was sind Ihre Erwartungen an die Schweizer Justiz bezüglich Korruptionsermittlungen?

Je mehr solche Ermittlungen gegen russische Bürger:innen laufen, desto schwieriger wird es für Putin, seine Eliten und Unternehmen zu mobilisieren. Es ist sehr befremdend zu sehen, dass Familienmitglieder dieser Eliten, einschliesslich Putins eigener Familie, Konten bei Schweizer Banken nutzen, um das von Putin und seinen Kumpanen gestohlene Geld aufzubewahren und auszugeben.

Natürlich ist der Sohn nicht für seinen Vater verantwortlich. Und der Gattin steht es frei, ihr eigenes Geld unabhängig von ihrem Mann auszugeben. Aber wenn diese Personen Geld aufbewahren und ausgeben, das den russischen Steuerzahlern gestohlen wurde, muss die Schweiz mehr Anstrengungen unternehmen. Sie muss die Herkunft der Gelder klären, so wie es die Schweizer Banken mit ihren anderen Kunden auch tun. Es ist jedenfalls erstaunlich, dass sich Mitglieder von Putins engstem Kreis mit Hilfe des Schweizer Finanzsystems den Ermittlungen zur Korruptionsbekämpfung entziehen können.

Das Interview wurde schriftlich geführt.
Editiert und ins Deutsche übersetzt von Balz Rigendinger

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