Callcenter: Sie fühlen den Puls der Schweiz vom Kosovo aus
Für viele GFS-Meinungsstudien telefonieren Callcenter-Agent:innen im Kosovo in die Stuben der Schweiz. Sie müssen Walliserdeutsch verstehen und erfahren bei der Arbeit viel über das Land, in dem einige von ihnen noch nie gewesen sind.
Der Arbeitstag beginnt – und sofort setzt ein Kanon ein. «Guten Tag, wir machen eine Umfrage …» «Grüeziwohl, wir machen…» «Zu den Meinungen der Schweizerinnen und Schweizer …» «Bonjour, nous faisons un sondage…» «Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?»
Es ist ein vielstimmiger, mehrsprachigen Chor, aus etwa 15 Menschen, die mit Headset vor ihren Bildschirmen sitzen. Im Hintergrund läuft leise ein Zürcher Privatradio.
Kosovo Calling: Schweizer Callcenter in Pristina
Ein normales Callcenter. Doch das Callcenter, von dem aus viele repräsentative Befragungen zu den Meinungen, Haltungen und politischen Überzeugungen der Schweizer:innen getätigt werden, liegt am Stadtrand von Pristina.
Auch andere Schweizer Unternehmen, etwa die grossen Handyanbieter, haben in der kosovarischen Hauptstadt Callcenter eingerichtet. Die Löhne und Kosten sind tief im jüngsten Staat Europas und Deutschsprachige gibt es viele. Doch ein Callcenter, das Probleme mit dem Iphone-Empfang behandelt, kommt der Schweiz weniger nah, als dieses Callcenter, wo die Schweizer Bevölkerung nach ihren Meinungen zur Altersvorsorge, zur Biodiversität und zum politischen Geschehen in der Schweiz befragt werden.
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Der Kosovo und die Schweiz: Eine intensive Beziehung
Salvatore Petrone wirkt als Bindeglied zwischen den Schweizer Hauptaktionären – dem Meinungsforschungsinstitut GFS Bern und GFS Zürich, die zusammen den GFS Befragungsdienst bilden – und der Partnerfirma Spinp Agency in Pristina.
Datensicherheit wird gross geschrieben
Schon bei der Begrüssung betont Petrone, dass ihm seine italienische Mentalität geholfen habe, besser zu verstehen, wie es im Kosovo läuft. Er ist ein bodenständiger Typ und erzählt, dass sie vor etwa sieben Jahren mit einem Lastwagen voller Büroausstattung von Zürich hierher gefahren sind. «Wir haben mit einem Testlauf begonnen, und dann ist es gewachsen. Anfangs gab es einigen Klärungsbedarf.»
Die Datensicherheit etwa: Nichts wird lokal, alles in der Schweiz gespeichert, auch die Anrufe per Online-Telefonie für den GFS Befragungsdienst werden von der Schweiz aus getätigt. Wer angerufen wird, entscheidet ein Zufallsgenerator.
Die Mitarbeitenden in Pristina sehen weder Namen noch Telefonnummer. Das einzige, was sie erfahren, sind die demografischen Eckpunkte über die Interviewten, die sie am Bildschirm eintragen.
Die Spinp Agency ist das Unternehmen von Armend Aliu und scheint für die Herausforderungen im Datenschutz gewappnet: Ardian Aliu, der seinem Bruder Armend beratend zur Seite steht, zeigt aus dem Fenster auf ein Hochhaus, über dem die kosovarische Flagge weht. Dort, im Sitz des kosovarischen Nachrichtendienstes, hätten sie einige Vertraulichkeitsdokumente unterzeichnen müssen.
Die Spinp Agency macht nämlich längst nicht nur Meinungsumfragen: Das Unternehmen arbeitet für mehrere Ministerien und hat auch die Logistiksoftware der kosovarischen Armee entwickelt.
«Wir sind im Kosovo, aber wir bieten eine Arbeitskultur genau wie in der Schweiz», sagt Ardian Aliu. Dazu gehörten ein sicherer Arbeitsplatz, faire Löhne und Arbeitszeiten sowie eine Krankenversicherung – die es im Kosovo nicht flächendeckend gibt.
«Das Callcenter ist unser konstantester Auftrag», erklärt Armend Aliu, während er durch die Räume führt, wo die Programmierer:innen arbeiten. Dort ist bunte Silicon-Valley-Stimmung: Wilde Kunst an den Wänden, die Angestellten hängen in ihren Stühlen. Programmieraufträge sind mal intensiver, mal weniger.
Anders im Callcenter: Hier ist sehr viel geregelt, sogar wie man die Kopfhörer beim Verlassen des Arbeitsplatzes über den Bildschirm hängt. Etwas Farbe bringen die Spinde der Callcenter-Angestellten, die zusammen eine Schweizer Flagge bilden. Schilder weisen darauf hin, dass im Raum gefilmt wird. Der Kern der Arbeit, das eigentliche Gespräch, wird ohnehin – das wissen wohl alle, die einmal Kontakt mit einer Hotline hatten – «zu Qualitätszwecken aufgezeichnet».
«Du hast keine Ahnung, wie sehr sie die Schweiz lieben»
Links neben dem Eingang arbeitet Elvira Sinani. Sinani ist Anfang 20, studiert Germanistik und will später im Kosovo als Lehrerin arbeiten. «Jetzt verstehe ich, wie sich die Leute fühlen, die ich anrufe», sagt sie zu Beginn des Interviews mit uns.
Tag für Tag interviewt sie die Schweizer Bevölkerung, selbst ist sie noch nie interviewt worden. «Aber wenn ich einen Anruf bekäme, würde ich gerne mitmachen, weil ich weiss, was die Callcenter-Agenten leisten», sagt Sinani. «Wir geben uns grosse Mühe, damit die Menschen ihre Meinung äussern können.»
Ihr Hochdeutsch ist makellos, doch für die GFS-Befragungen musste sie wie alle im Callcenter erst lernen, Schweizerdeutsch zu verstehen. Der Walliser Dialekt ist natürlich die grösste Hürde.
Sinani spricht positiv über die Telefonate, aber manchmal reagieren die Leute auch wütend. Sie bringt aber enorm viel Verständnis dafür auf: «Wir erreichen sie in allen möglichen Situationen, bei der Arbeit oder wenn sie eben gerade in Ruhe mit der Familie zu Abend essen wollen. Man muss das verstehen und das tun wir.»
In der Schweiz war Elvira Sinani noch nie. Noch – wie sie betont: Wenn es klappt, verbringt sie Weihnachten dort bei der Familie ihres Onkels. Doch bei den Befragungen, die ihr Spass machen, erfährt sie viel über die Mentalität. «Ich lerne die Schweizerinnen und Schweizer besser kennen.»
Die Schweizer:innen würden die Schweiz lieben. «Du hast keine Ahnung, wie sehr sie das Land lieben. Wenn etwas schiefgeht, politisch zum Beispiel, geben sie alles, das zu ändern. Und sie äussern ihre Meinung sehr deutlich. Das kann gut für die Schweiz sein.»
Sie erlebt in vielen Interviews, dass sich die Schweizer:innen für die politische Entwicklung im Land verantwortlich fühlen. Es gebe ein Verantwortungsgefühl, richtig zu entscheiden. «Nicht nur für sich, sondern auch für die späteren Generationen», sagt Sinani. Sie tönt beinahe bewundernd: «Die Schweizer:innen glauben an das System.»
In Kosovo sei die Wahrnehmung von Politik anders. «Wenn ich in die Politik ginge, würde ich versuchen, Veränderungen herbeizuführen, aber das Problem wäre wohl das Vertrauen. Weil wir mit der Politik schlechte Erfahrungen gemacht haben, fehlt das Vertrauen.»
«Wir wollen nur die Meinung der Menschen in der Schweiz»
Halil Beqiraj ist stellvertretender Supervisor im Callcenter und hat ein abgeschlossenes Wirtschaftsstudium. «Möchte eine angerufene Person den Geschäftsführer sprechen, werde ich geholt», erklärt Beqiraj. «Und auch bei der Durchführung der Schulungen habe ich eine spezielle Rolle.»
Was die Callcenter-Agent:innen wann fragen, ist in jeder Studie klar geregelt. Die Fragen mit den Auswahloptionen erscheinen auf den Bildschirmen. Trotzdem werden sie nicht nur in den Studienaufbau, sondern auch in die Themen eingeführt. Beqiraj schätzt das sehr.
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«Ich lerne einiges durch meine Arbeit», erzählt er, «Themen wie Biodiversität oder Lichtverschmutzung sind sehr interessant.» Im Kosovo seien diese wenig präsent. «Zur Vertiefung recherchiere ich nach der Arbeit weiter dazu.» Biodiversität betreffe den Kosovo ja genauso wie die Schweiz. «Aber es war nie ein Thema hier.»
Während der Callcenter-Job in der Schweiz eher als prekär gilt, ist diese Arbeit im Kosovo im Verhältnis zum allgemeinen Lohnniveau gut bezahlt. Im Gegensatz zu anderen Callcenter-Jobs seien aber seine Arbeitsbedingungen nochmals besser, so Beqiraj, nicht nur materiell, sondern ebenso im menschlichen Umgang.
Und auch, weil man in der Meinungsforschung nichts verkauft: «Wir wollen nur die Meinung der Menschen in der Schweiz. Wir sind selbst neutral.» Das mache die Telefonate um einiges angenehmer.
Editiert von David Eugster.
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