Silvio Berlusconi bleibt Italiens Padrone
Silvio Berlusconi hat es wieder einmal allen gezeigt und eine weitere, bereits verloren geglaubte Vertrauens-Abstimmung knapp für sich entschieden. Für die Schweizer Presse sind die politischen Tage von Italiens Premier dennoch gezählt.
Die gestrige römische Politposse bringt der Karikaturist im Berner Bund auf den Punkt: Er lässt einen breit grinsendem Berlusconi mit einer Victory-Pose aus dem italienischen Stiefel steigen. Ein resignierter Italiener meint dazu: «Es ist wie beim Abfall von Neapel. Man bringt ihn nicht weg.»
«Die Abstimmung verdeutlicht wieder einmal die Fähigkeit des Cavaliere, allen Vorhersagen zu trotzen», beschreibt die Waadtländer 24 Heures Berlusconis Kunststück, die Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus zu seinen Gunsten zu verändern.
Die Tribune de Genève bezeichnet Berlusconis knappe Rettung seiner Regierung mit drei Stimmen zu seinen Gunsten denn auch als «Theatercoup».
«Nur der für Italien typische ‹Calciomercato›, das unwürdige Feilschen um Stimmen gegen Geld oder Posten», habe Berlöusconi gerettet, ist die Neue Zürcher Zeitung überzeugt.
Damit habe er bewiesen, dass er ein politischer Überlebenskünstler sei: «Die ungelösten Interessenskonflikte, Gesetze ad personam, Strafverfahren, unzählige Skandale und Peinlichkeiten bringen ihn nicht zu Fall. Die politische Logik scheint für den ‹Cavaliere› nicht zu gelten.»
Auch die Neuenburger Tageszeitung L’Express, zielt in dieselbe Richtung: «Berlusconi finanzielle Potenz, vor allem seine Macht über die Presse, beeinflusst ständig die politische Debatte, was zu Vetternwirtschaft und Nepotismus führt. Schlimmer noch, der direkte Kauf von Stimmen ist öffentlich bekannt.»
Als klarer Verlierer gehe Gianfranco Fini vom Platz, meint 24 Heures und sieht schon dessen Demission als Präsident des Abgeordnetenhauses voraus. Berlusconi wird sicher darauf hinarbeiten, denn «der ‹Cavaliere› will die Zerstörung seines Rivalen und dessen Truppen.»
Trotzdem ist der Kommentator des Tages-Anzeigers überzeugt, dass sich der Sieg für Berlusconi wie eine bittere Niederlage anfühlen müsse: «Berlusconi ist jetzt in der Situation seines Vorgängers Romano Prodi, über dessen prekäre Mehrheitsverhältnisse er sich jeweils so prächtig lustig zu machen wusste. Auch er ist jetzt ein ‹politischer Schwächling›.»
Dass Berlusconi nun in der Abgeordnetenkammer keine Mehrheit mehr besitze, «muss den machtversessenen Selfmadepolitiker umso mehr schmerzen, da er vor dem Schicksalstag all seine Verführungskünste und Druckmittel spielen liess».
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Was für eine Zukunft?
Bereits habe die vergiftete Stimmung vom politischen Parkett auf die Strasse übergegriffen, beschreibt der Zürcher Tages-Anzeiger die gewalttätigen Unruhen, die nach der Abstimmung und den Tumulten im Parlament im Parlament in Rom ausbrachen.
«Die Politik hat sich erneut als unfähig erwiesen, dem Land eine Zukunftsperspektive zu geben. Je länger dieser Zustand anhält, desto gefährlicher wird er. Der gestrige Tag hat eine neue Phase der Instabilität eingeleitet.»
Nach Einschätzung des Le Matin wird sich Silvio Berlusconi neu formieren müssen: «Wahrscheinlich mit den Zentristen, welche unter dem Einfluss der Kirche stehen. Deren Einfluss darf in Italien nicht unterschätzt werden. Und da sind auch noch die kleinen Parteien, welche nicht bis zum Ablauf der Legislaturperiode 2013 in den Sümpfen der Opposition verbleiben wollen.» Nur eines sei sicher, Berlusconi werde «mit den Verrätern endgültig brechen».
«Die italienische Krise ist so gravierend, dass vielleicht nur ein Anthropologe oder ein Spezialist der kollektiven Psychologie etwas Neues und Wichtiges dazu sagen könnten, schreibt leicht resigniert die Regione Ticino. «Eine Regierungsmehrheit von lediglich drei Stimmen macht es nötig, künftig sämtliche zur Verfügung stehenden Heiligen anzurufen.»
Um Berlusconi loszuwerden, müssten seine Gegner ein überzeugendes politisches Projekt, einen starken Chef (oder eine starke Chefin) und eine verlässliche Mannschaft haben, meint die Aargauer Zeitung. Doch über all das verfüge der ‹Dritte Pol› nicht einmal ansatzweise – von der ewig zerstrittenen Linken ganz zu schweigen.
Die Analyse von La Liberté zeigt trotz der schlechten Bilanz der Regierung, die seit 1945 am längsten an der Macht ist, «einen dramatischen Mangel an Alternativen»
«Seit fünfzehn Jahren spielt das gleiche Trio (Berlusconi, Fini, Bossi) das Schauspiel der ewigen Wahrheiten und falsche Freunde und Verräter.» Aber auch auf der linken Seite könne man keine Einigkeit erreichen. «Und das macht die italienische Bevölkerung hilfloser als je zuvor.»
Ganz klar, Berlusconi ist für die NZZ der falsche Mann: «Italien braucht eine seriöse Persönlichkeit als Ministerpräsidenten, welche die Probleme des Landes offen anspricht, anstatt leere Versprechungen zu machen, und die Lösungswege aufzeigt, seien sie auch noch so schmerzhaft. Dass Silvio Berlusconi dafür der richtige Mann ist, kann ausgeschlossen werden.»
Der angeschlagene italienische Regierungschef Silvio Berlusconi bleibt auch ohne sichere parlamentarische Mehrheit im Amt.
Im Senat, wo Berlusconi selbst die Vertrauensfrage stellte, hatte der Regierungschef mit 162 gegen 135 Stimmen die erste Hürde genommen.
Mit nur drei Stimmen Vorsprung wehrte er am 13. Dezember einen Misstrauensantrag der Opposition äusserst knapp ab. Bei der Abstimmung sprachen ihm in der Abgeordnetenkammer in Rom 311 Parlamentarier das Misstrauen aus, 314 votierten für ihn. Während der Abstimmung kam es zu einem Handgemenge zwischen aufgebrachten Parlamentariern beider Lager.
Am Abend erneuerte Berlusconi das Angebot, mit der gemässigten, Zentrumspartei UDC von Pier Ferdinando Casini zusammenzuarbeiten.
Begleitet wurde sein Sieg von schweren Krawallen in Rom. Hunderte Berlusconi-Gegner und autonome Demonstranten verwüsteten bei Strassenschlachten mit der Polizei Teile der Altstadt. Mehr als 100 Menschen wurden verletzt.
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