So will der Europarat künftig Krieg unter Mitgliedern verhindern
An der Wiederaufbau-Konferenz für die Ukraine in Lugano hat Europarats-Generalsekretärin Marija Pejčinović Burić verstärkte Instrumente zur Überwachung und Unterstützung demokratischer Standards angekündigt. Und sie forderte die Mitgliedstaaten der Staatengemeinschaft auf, ihre Hausaufgaben zu machen – auch die Schweiz. Wir trafen Sie zum Interview.
Der Europarat, die wichtigste Organisation für Demokratie und Menschenrechte in Europa, hat seinen Sitz in Strassburg.
Der Europarat setzt sich aus 46 europäischen Ländern zusammen und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um die Demokratie zu fördern und die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit in Europa zu schützen. Die Organisation ist wesentlich dafür verantwortlich, dass Europa heute weltweit eine «Hochburg der Demokratie» ist.
Russland trat dem Rat 1996 bei und wurde nach dem Einmarsch in der Ukraine am 16. März ausgeschlossen.
swissinfo.ch: Seit dem 24. Februar befinden sich zwei Mitglieder des Europarates – eines von ihnen ist nun ein ehemaliges Mitglied – im Krieg. Wie ist es möglich, dass ein Mitgliedstaat der wichtigsten internationalen Organisation für Demokratie und Menschenrechte einen anderen angreifen kann?
Marija Pejčinović Burić: Die Statuten des Europarats verpflichten alle Mitgliedsstaaten, sich an die Regeln für Frieden und Einheit zu halten. Wir haben über 200 Rechtsinstrumente entwickelt, um dies zu gewährleisten. Folglich mussten wir die Russische Föderation sofort ausschliessen, als sie ihre unprovozierte Aggression gegen einen anderen Mitgliedsstaat, die Ukraine, begann.
Dies war leider die einzige Option, die uns zur Verfügung stand, um unsere Werte zu bewahren. Dies ist das erste Mal seit der Gründung des Europarates [1949], dass ein Mitgliedstaat ausgeschlossen wurde.
Russland war über fünfundzwanzig Jahre lang Mitglied des Europarats. Ist es nicht ein Versagen der Organisation, dass dieser Krieg nicht verhindert werden konnte?
Ich würde es nicht als Versagen des Europarates bezeichnen. Es ist ein Versagen des ehemaligen Mitgliedstaates, der von den Werten und Normen abgewichen ist, die er bei seinem Beitritt zur Organisation unterschrieben hat.
Aber Sie haben Recht. Dieser furchtbare Krieg wirft für uns viele Fragen auf: Wie hätten wir einen solchen Konflikt vermeiden können? Was sind die Lehren für uns? Ich denke, wir brauchen einen viel stärkeren Frühwarnmechanismus für Situationen in Ländern, in denen die Demokratie unter Druck gerät.
In Zukunft müssen wir viel früher handeln, sobald wir sehen, dass die Europäische Menschenrechtskonvention und andere Standards von einem Mitgliedsstaat ignoriert werden.
Wie könnte das funktionieren?
Der Europarat kennt drei hauptsächliche Instrumente. Erstens haben wir gemeinsame Standards für die Demokratie und Menschenrechte für alle Beteiligten entwickelt. Zweitens überwachen wir, wie diese Standards eingehalten werden. Und drittens unterstützen wir die Mitgliedsstaaten dabei, ihre Verpflichtungen zu erfüllen.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat uns gelehrt, dass unsere Überwachung und Unterstützung verbesserungsfähig ist. Dazu gehört auch die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Gruppen, die sich ausserhalb des Rates befinden, zum Beispiel in Belarus oder Russland.
An der Wiederaufbaukonferenz Lugano haben über 50 Länder und internationale Organisationen Massnahmen zur Unterstützung der Ukraine beim Wiederaufbau beschlossen. Wie erfolgreich können diese sein?
Es wird nur dann eine wirkliche Erholung geben, wenn die Ukraine ihre Demokratie voll entwickelt. Und das hängt eng mit der Resilienz, der Widerstandsfähigkeit von Demokratie und Menschenrechten in ganz Europa zusammen.
Ein dauerhafter Frieden in der Ukraine und in Europa ist nur möglich, wenn die Demokratie gestärkt wird. Hier kommt der Europarat mit seinen Standards für Rechtsstaatlichkeit, dem Schutz der Menschenrechte und die demokratische Beteiligung der Bürger ins Spiel.
Die Schweiz war Gastgeberin der Konferenz in Lugano. Wie kann das Alpenland dazu beitragen, die Demokratie in Europa widerstandsfähiger zu machen?
Die Schweiz ist eines unserer Mitgliedländer, das sich an vorderster Front für die Stärkung des Europarates einsetzt. In vielen unserer Projekte leisten Expert:innen und Vertreter:innen aus der Schweiz bereits eine gute Arbeit.
Aber auch die Schweiz muss sich fragen, wie eine Situation wie die jetzige – ein Mitgliedstaat greift einen anderen an und weicht von unseren gemeinsamen Standards ab – in Zukunft vermieden werden kann. Ein wichtiger Teil der Antwort ist die vollständige Umsetzung dieser demokratischen Standards im eigenen Land.
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