Kosovo-Heimkehrer können mit Rente rechnen
Kosovo ist der einzige Nachfolgestaat Jugoslawiens, mit dem die Schweiz im Bereich der Sozialversicherungen keine vertraglichen Bestimmungen hat. Zum Nachteil vieler Kosovo-Heimkehrer, die rentenberechtigt wären. Das dürfte sich jetzt ändern. Die kleine Parlamentskammer sagt fast einstimmig Ja zu einem Abkommen.
Sie arbeiteten jahrelang in der Schweiz und zahlten Beiträge in die obligatorische Sozialversicherung ein, aber als sie an der Reihe waren, eine Alters- oder Invalidenrente zu beziehen und damit ihren Lebensabend in der Heimat zu bestreiten, gingen sie leer aus.
Zweitgrösste Diaspora
Die Schweiz hat nach Deutschland die grösste Diaspora der Kosovo-Albaner. Rund 112’000 Personen mit kosovarischer Staatsbürgerschaft leben in der Schweiz. Die Zahl der Menschen, die aus dem jüngsten Staat Europas stammen, ist aber um einiges grösser. Laut einer Studie des Bundesamtes für Statistik von 2015 gaben fast 250’000 Personen Albanisch als ihre Hauptsprache an – die meisten davon stammen aus dem Kosovo.
Die Schweiz anerkannte am 27. Februar 2008 die neue Republik Kosovo und nahm diplomatische sowie konsularische Beziehungen zu Kosovo auf. Seither haben die Schweiz und Kosovo bilaterale Abkommen in den Bereichen technische und finanzielle Zusammenarbeit, Zivilluftfahrt, Personen- und Güterverkehr auf der Strasse, Handel sowie Investitionsschutz abgeschlossen.
Die Rede ist von mehreren Tausend Kosovaren, die in den letzten fast zehn Jahren finanziell benachteiligt wurden, weil die Schweiz ab 2010 ein mit der ehemaligen Volksrepublik Jugoslawien abgeschlossenes Sozialversicherungs-Abkommen mit Kosovo nicht fortsetzen wollte.
Der Bundesrat begründete diesen Schritt damals wie folgt: «Sozialversicherungsabkommen dienen der Koordinierung der nationalen Systeme. Deren Abschluss setzt funktionierende Systeme in beiden Vertragsstaaten voraus.» Will heissen: In Kosovo funktionierten diese nicht.
Rente nur bei Wohnsitz in der Schweiz
Den Anstoss zur Kündigung des Abkommens hatte eine parlamentarische InitiativeExterner Link der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gegeben, die den Bundesrat beauftragen wollte, alle «Sozialversicherungsabkommen mit den Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens aufzukünden respektive nicht neu auszuhandeln.» Was die Regierung aber, abgesehen von Kosovo, ablehnte.
Für die Kosovaren bedeutete der Entscheid, dass sie die Renten nur noch bei Wohnsitz und Aufenthalt in der Schweiz erhielten. Dabei waren viele den Appellen der Schweizer Behörden gefolgt, die ihnen nach dem Krieg eine Rückkehr nahelegten und sie dabei sogar unterstützten.
«Das war eine selektive Diskriminierung», sagt Osman Osmani von der Gewerkschaft UniaExterner Link, die gemeinsam mit der kosovarischen Diaspora forderte, das Abkommen bis zum Abschluss eines neuen aufrechtzuerhalten.
«Inzwischen sind einige Betroffene gestorben, und ihre Witwen, welche die Kinder grosszogen, sind ebenfalls leer ausgegangen. Auch Kinder und Jugendliche gehörten zu den Betroffenen, weil sie keine Kinder- oder Ausbildungszulagen bekamen», bemängelt der Gewerkschaftssekretär.
«Mit etwas gutem Willen hätten sich Wege finden lassen.» Osman Osmani
Die Argumente des damaligen Bundesrats sind für ihn nicht stichhaltig. «Im Unterschied zum Sozialversicherungsabkommen hat die Schweiz schon 2010 mit Kosovo andere Abkommen abgeschlossen, zum Beispiel jenes über die Rückkehr, sowie über die Migrationspartnerschaften.»
Warum nicht wie Deutschland?
Mit etwas gutem Willen hätten sich Wege finden lassen, damit die Renten in Kosovo den Berechtigten zukommen, sagt Osmani mit Blick auf andere europäische Länder. Deutschland zum Beispiel habe den heimkehrenden Kosovaren in all den Jahren deren berechtigte Renten zukommen lassen und die Behörden dort sogar finanziell unterstützt.
Den Einwand, dass die Betroffenen ihre einbezahlten Beträge zurückfordern konnten, lässt Osmani nicht gelten. «Das ist nicht der Sinn der Sozialversicherungen. Die Beiträge werden abgezogen im Hinblick auf eine Rente im Alter oder bei Invalidität. Deshalb verzichteten viele pensionierte Kosovaren auf eine Rückkehr.»
Die kosovarische Diaspora ist bedeutend. Heute leben mehr als 200’000 Menschen mit Wurzeln aus Kosovo in der Schweiz. 110’000 sind in den letzten zehn Jahren heimgekehrt. Von der Benachteiligung sind mehrere Tausend Personen betroffen, schätzt Osmani. «Ab 2010 bis heute gab es wegen existentieller Not allein bei den AHV-Beiträgen kosovarischer Staatsangehöriger mehr als 6000 Rückerstattungen. Die anderen Berechtigten warten seit Jahren auf ihre wohlverdiente Rente.»
Fast unbestrittene Zustimmung
Jetzt hat die Schweiz mit Kosovo ein Sozialversicherungsabkommen ausgehandelt. Die kleine Parlamentskammer (Ständerat) nahm dieses am Donnerstag mit 38 Ja-Stimmen gegen 1 Nein-Stimme (0 Enthaltungen) an.
Ein Bericht über die Situation der Rechtsstaatlichkeit und Korruption in Kosovo habe nun aufgezeigt, dass die Bedingungen wieder erfüllt seien, um diese Beziehungen aufzunehmen, sagte Pirmin BischofExterner Link, Sprecher der zuständigen Kommission.
Sogar fast alle SVP-Ständeräte stimmten zu, deren Partei 2009 die Kündigung des alten Abkommens mit Hinweisen auf angebliche Missbräuche gefordert hatte.
«Ich bin der Auffassung, dass diese Arbeiterinnen und Arbeiter diese Sozialleistungen verdient haben. Wenn man ermöglicht, dass sie dieses Geld in ihrer Heimat beziehen können, haben sie mit einer Rente aus der Schweiz im Kosovo ein gutes Leben», sagt SVP-Ständerat Roland EberleExterner Link gegenüber swissinfo.ch.
Die Schweiz profitiere davon sogar finanziell: «Wenn man ihnen diese Möglichkeit nicht gewährt und sie deshalb in der Schweiz bleiben und ihre Renten zu tief sind, um die Lebenshaltungskosten zu bestreiten, benötigen sie Ergänzungsleistungen der öffentlichen Hand.»
«Für die Betroffenen ist das ‹Pech›.» Roland Eberle
Die Kehrtwende seiner Partei erklärt sich Eberle damit, dass die behördlichen Strukturen in Kosovo heute besser funktionierten. «Wir haben uns von der Bundesverwaltung, die den Staatsvertrag ausgehandelt hat, glaubhaft versichern lassen, dass die Renten in Kosovo an die Berechtigten gelangen werden.» Das sei in einem Pilotprojekt in Dutzenden von Fällen geprüft worden.
Wenn in der Sommersession auch die grosse Parlamentskammer Ja zum Abkommen sagt, könnte dieses Anfang 2020 in Kraft treten. Alles in Butter also? Nicht ganz: Wer in den letzten fast zehn Jahren keine Rente erhielt, wird nicht entschädigt. Eine rückwirkende Leistungsabgeltung ist nicht vorgesehen. «Für die Betroffenen ist das ‹Pech'», sagt Eberle dazu.
Unia-Gewerkschafter Osmani fordert hingegen eine Lösung, wonach auch Ansprüche aus der Zeit, in der es kein Abkommen gab, abgegolten werden. «Sonst bleibt trotz Wiedergutmachung ein dunkler Fleck in dieser Sache bestehen.»
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