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Sozialwerk braucht dringend mehr Geld

Rund 300'000 Menschen beziehen eine IV-Rente. Keystone

Die Invalidenversicherung (IV) ist in den vergangenen 20 Jahren zusehends in eine finanzielle Schieflage geraten. Am 27. September stimmt das Schweizer Stimmvolk deshalb über eine temporäre Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Sanierung der IV ab.

Mittlerweile hat das Sozialwerk knapp 13 Milliarden Schulden. Das jährliche Defizit, das 1996 noch 427 Mio. Franken ausmachte, stieg bis 2005 auf 1,5 Mrd. Franken an. Die Gesamtschulden belaufen sich auf 13 Mrd. Franken.

Die 5. IV-Revision hatte zwar zur Folge, dass die Anzahl der jährlichen Neurenten in den vergangenen zwei Jahren um 40% gesunken ist. Dennoch rutscht die IV immer tiefer in die roten Zahlen.

Die Politik ist sich einig, dass es so nicht weiter gehen kann. In der Frage allerdings, wie genau die IV saniert werden soll, sind sich links und rechts nicht einig.

Die Gegner – unter ihnen ist auch die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei – bekämpft die Sanierung der IV mittels einer Erhöhung der Mehrwertsteuer mit dem Argument, zuerst müssten die Ausgaben massiv gesenkt und Missbrauch verhindert werden.

Sanierung in mehreren Schritten

Der Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments wollen die IV in mehreren Schritten sanieren. Durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,4 Prozentpunkte sollen dem Sozialwerk jährlich 1,2 Milliarden Mehreinnahmen zufliessen. Damit kann das jährlich anfallende Defizit gedeckt werden.

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist auf 7 Jahre, also auf die Zeit von 2011 bis Ende 2017, befristet. Mit einer 6. IV-Revision, also einer Reihe von Massnahmen zur Ausgabensenkung, soll die Versicherung ab 2016 nachhaltig saniert werden.

Einführung auf Druck der Wirtschaft verschoben

Die grossen Parteien der Linken und der Mitte, die Regierung, Gewerkschaften und die Wirtschaftsverbände unterstützen die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,4 Prozentpunkte.

Ursprünglich war vorgesehen, die Mehrwertsteuer bereits ab 1. Januar 2010 zu erhöhen. Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse und der Gewerbeverband hatten sich dagegen ausgesprochen. Sie argumentierten, es sei angesichts der Wirtschaftskrise der falsche Zeitpunkt und kritisierten die für viele Firmen zu kurzen Fristen für die Umstellung auf den neuen Steuersatz.

In Einer Hauruck-Übung hat das Parlament Mitte Juni 2009 dem Druck der Wirtschaft nachgegeben und das in Kraft treten der Mehrwertsteuer-Erhöhung um ein Jahr verschoben.

Laut dem Präsidenten von economiesuisse, Gerold Bührer, unterstützen die Unternehmen die Mehrwertsteuer-Erhöhung nun auch deshalb, weil sonst mit einer Erhöhung der Lohnprozente zugunsten der IV zu rechnen wäre. Dies wäre aus Arbeitgebersicht «noch weniger wünschenswert», so Bührer.

SVP moniert Missbräuche

Das Anliegen sei sehr dringend, sagt die sozialdemokratische Nationalrätin Silvia Schenker im Gespräch mit swissinfo. «Die temporäre Erhöhung der Mehrwertsteuer wird den Druck auf die IV ein wenig lindern.»

Hans Fehr, Nationalrat der SVP hingegen argumentiert, mit mehr Mitteln für die IV würden lediglich die falschen Strukturen zementiert: «Es gibt Missbräuche, es gibt Zahlungen an im Ausland lebende Schweizer, die nicht indexiert werden und es gibt ja ganze Dörfer in Ex-Jugoslawien, die offenbar von der IV leben.»

Deshalb fordert Fehr «viel mehr Kontrollen, damit nur noch jene von der IV profitieren, die sie nötig haben», also eine 6. IV-Revision und weitere Kostensenkungen.

Einschneidende Rentenkürzungen

Missbrauchsbekämpfung sei wichtig, sagt auch Schenker, «aber es ist kein Konzept zur Sanierung der IV, denn selbst mit einer rigorosen Bekämpfung des Missbrauchs kann man das Defizit der IV nachhaltig sanieren.»

Schenker warnt zudem, dass bei einem Nein am 27. September die Renten gekürzt werden müssten. «Eine IV-Rente ist kein hohes Einkommen. Wenn man da – sagen wir zwischen 30 und 40% – kürzen müsste, dann wäre da sehr einschneidend.»

Bei der Abstimmung über die Zusatzfinanzierung der IV mittels einer befristeten Erhöhung der Mehrwertsteuer handelt es sich um eine Verfassungsänderung. Deshalb braucht es für ein Ja sowohl eine Volksmehrheit, wie auch das Ständemehr.

Andreas Keiser, swissinfo.ch

Ein Ja verhindert die Aushöhlung der AHV-Reserven.

Bei einem JA bleibt genügend Zeit, um eine langfristige und ausgewogene Sanierung der IV zu beschliessen und umzusetzen.

Radikale Kahlschläge im System der IV müssen verhindert werden, damit die Betroffenen weiterhin beruflich und sozial eingegliedert werden können und ihre Existenz gesichert ist.

Die befristete Mehrwertsteuererhöhung ist bescheiden und belastet das Portemonnaie jedes Einzelnen nicht spürbar.

Gesunde und stabile Sozialwerke sind ein wichtiges Element einer prosperierenden Wirtschaft. Dieser Standortvorteil darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Im Falle eines NEIN drohen radikale Leistungskürzungen, welche den behinderten Menschen in der Schweiz eine würdige Existenz verunmöglichen.

In jedem privatwirtschaftlich geführten Unternehmen werden defizitäre Bereiche saniert bevor neue Investitionen getätigt werden.

Bei der Invalidenversicherung sollen andere Gesetzmässigkeiten zum Tragen kommen. Das fehlende Geld soll über eine Steuererhöhung beschafft werden.

Damit betreibt man reine Symptom-Bekämpfung.

Steuererhöhungen auf Vorrat sind keine bürgerliche Politik und sie schwächen den Wirtschaftsstandort Schweiz.

Die Schweizer Sozialwerke sind geschaffen worden, um Notsituationen überbrücken zu helfen. Sie sind nicht dazu da, dass sie von arbeitsscheuen Menschen oder von Systemschmarotzern ausgenutzt und missbraucht werden.

Es müssen Anpassungen auf Gesetzes- und Verordnungsebene gemacht werden, damit Renten die ins Ausland wandern, kaufkraftbereinigt ausbezahlt werden.

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