«Sprecht mit uns und stellt uns auf die Probe»
Das Beitrittsgesuch, das die PLO diese Woche bei der UNO einreichen will, wird von Israel als kontraproduktiv erachtet und scharf verurteilt. Erläuterungen von Ygal Palmor, Sprecher des Aussenministeriums.
Je näher der Tag rückt, an dem die PLO in New York das Beitrittsgesuch bei den Vereinten Nationen (UNO) einreichen wird, desto heftiger werden die Argumente. Danny Ayalon, der Vize-Aussenminister Israels, prophezeite letzten Donnerstag das Ende aller abgeschlossenen Abkommen mit Israel, sollten die Palästinenser diesen Schritt tun.
«Halten die Palästinenser an dieser einseitigen Entscheidung fest, so würde das die Annullierung aller Abkommen bedeuten, Israel wäre von allen Pflichten befreit und die ganze Verantwortung läge bei den Palästinensern», drohte Danny Ayalon am staatlichen israelischen Radio.
Der Sprecher des israelischen Aussenministeriums, Ygal Palmor, nimmt Stellung zu den Befürchtungen der am stärksten rechtsstehenden Regierung in der Geschichte Israels.
swissinfo.ch: Welche Haltung erhoffen Sie sich von einem Land wie der Schweiz – eine Stimmenthaltung?
Ygal Palmor: Wir erwarten von der Schweiz wie auch von allen andern Ländern, die in den Friedensprozess involviert sind oder sich beteiligen wollen, dass sie den Palästinensern erklären, dass es für die Erreichung eines unabhängigen, anerkannten und ordnungsgemässen Staates keinen anderen Weg gibt als direkte Verhandlungen. Ein Staat kann nur entstehen mit direkten Verhandlungen und einem bilateralen Abkommen.
Dieser einseitige Schritt bringt den Palästinensern nichts. Auch wenn sie eine Mehrheit in der Vollversammlung hinter sich wüssten, würde eine Resolution nichts ändern und eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen sehr schwierig machen.
Innerhalb einer Organisation wie der UNO stellt jedes Land seine eigenen Berechnungen und Überlegungen an. Dies geschieht in einem in sich geschlossenen Universum, worin die reale Welt nicht wahrgenommen wird. Schauen wir also einmal an Hand von Berechnungen, wie die Länder abstimmen werden.
swissinfo.ch: Die Palästinenser rechtfertigen die Initiative zum UNO-Beitritt mit der Blockierungspolitik Israels bei früheren Verhandlungen und mit der Fortführung der Besetzung des Westjordanlands.
Y.P.: Beide Seiten haben Grund zum Klagen, die gegenseitigen Vorwürfe können am Verhandlungstisch diskutiert werden. Ein Problem zur Sprache bringen, rechtfertigt jedoch keineswegs einen Verhandlungsabbruch.
swissinfo.ch: Würde eine Anerkennung als Nichtmitgliedstaat von Israel akzeptiert?
Y.P.: Ein Staat bleibt ein Staat. Diese Option würde die gleichen Probleme stellen wie eine Anerkennung als Mitgliedstaat. Eine Resolution, sollte sie eines Tages verwirklicht werden, würde eine Rückkehr der Palästinenser an den Verhandlungstisch praktisch verunmöglichen.
swissinfo.ch: Warum?
Y.P.: Die palästinensischen Stimmen, die sich sogar dem Grundsatz von Friedensverhandlungen mit Israel widersetzen, sehen sich darin gestärkt. Sie werden sagen: «Warum Verhandlungen führen, die eine Versöhnung und gegenseitige Konzessionen mit sich bringen, wenn die UNO dies ermöglicht, ohne Zugeständnisse machen zu müssen.»
Vor noch nicht allzu langer Zeit war diese Sicht der Dinge – vornehmlich von Seiten der Hamas – eine Randerscheinung. Heute ist sie weit verbreitet. Sollte die Initiative der Palästinenser bei der UNO erfolgreich sein, würden diese Stimmen eine starke Position erhalten.
Würde zudem eine Resolution verabschiedet, wäre der gesamte Inhalt für die Palästinenser nicht mehr verhandelbar. Die Flexibilität und der Verhandlungsspielraum wären folglich enorm eingeschränkt.
swissinfo.ch: Doch die grossen Linien eines Abkommens sind allen bekannt (Clinton-Parameter, Genfer Initiative).
Y. P.: Die grossen Linien, die Sie erwähnen, sind vielleicht bekannt und von vielen akzeptiert, doch umsetzbar als solche ohne Verhandlungen sind sie nicht.
Zudem hat sich seit den Clinton-Parameter aus dem Jahr 2000 die Situation grundsätzlich verändert. Die Hamas hat die Kontrolle über den Gazastreifen übernommen und ihn quasi vom Rest des palästinensischen Gebietes abgetrennt und dem Einfluss der palästinensischen Regierung entzogen.
Dieser Umstand ist ein grosses Problem für die Regierbarkeit des palästinensischen Territoriums. Die palästinensische Regierung, die auf die eine oder andere Art mit Israel verhandeln muss, kann keine Kontrolle über den Gazastreifen ausüben. Wie sollte ein mögliches Friedensabkommen zwischen den zwei Ländern für die Gesamtheit des palästinensischen Territoriums umgesetzt werden?
swissinfo.ch: Israel verliert seine Verbündeten in einer sich komplett verändernden Region. Die Unterstützung des Westens verringert sich. Spielt die Zeit gegen Israel?
Y.P.: Man könnte sagen, dass auf gleiche Weise die Zeit auch gegen eine Anzahl anderer Regimes in der Region spielt. Tatsächlich spielt die Zeit für niemanden, denn wir befinden uns in einem gigantischen Umbruch, dessen Ausgang niemand kennt. Niemand weiss, wer die Gewinner und die Verlierer sind. Man muss trotz Stürmen den Kurs halten.
swissinfo.ch: Die Veränderungen in der Region sind gross. Besteht für Israel nicht das Risiko, zunehmend Konzessionen eingehen zu müssen, je mehr Zeit vergeht?
Y.P.: Nicht wirklich. Die Veränderungen in den arabischen Ländern, im Iran und der Türkei mahnen zur Vorsicht. Voreilige Entscheidungen in einem dermassen unbeständigen Umfeld sind zu vermeiden. Was nicht heisst, in Passivität zu erstarren. Im Gegenteil, Verhandlungen müssen sofort aufgenommen werden, was von der israelischen Regierung auch stetig verlangt wird. Unsere Botschaft an die Palästinenser ist einfach: Sprecht mit uns und stellt uns auf die Probe.
1947: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen stimmt der Resolution 181 zu, die einen Teilungsplan von Palästina und die Gründung von zwei Staaten – einem jüdisch und einem arabischen – vorsieht. Jerusalem hat einen internationalen Status. Dieser wird von den arabischen Ländern abgelehnt.
1964: Gründung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO).
1974: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen anerkennt das Recht der Palästinenser zur Selbstverwaltung und Unabhängigkeit. Die PLO hat einen Beobachterstatus bei der UNO.
1988: Ausrufung eines unabhängigen palästinensischen Staates durch die PLO in Alger. Mehr als hundert Staaten anerkennen ihn.
1994:Nach den Oslo-Abkommen bildet Yasser Arafat die palästinensische Autonomiebehörde und wird im Januar 1996 zum Präsidenten gewählt.
2002: In der Resolution 1397 des UNO-Sicherheitsrats wird zum ersten Mal der palästinensische Staat erwähnt.
2010: Der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas legt anlässlich einer arabischen Zusammenkunft in Sirte (Libyen) eine Reihe von Alternativen zu den blockierten Friedensverhandlungen dar. Darunter das Beitrittsgesuch zur UNO auf der Basis der Staatsgrenzen von 1967.
26 Juni 2011: Mahmoud Abbas kündigt die Entscheidung an, im September die Aufnahme des Staates Palästina als Vollmitglied bei der UNO zu beantragen.
(Quelle : AFP)
Das Westjordanland und der Gazastreifen haben eine Fläche von 6020 km² (die Westschweiz ist zweimal so gross).
Im Westjordanland leben 2,5 Millionen Palästinenser, darunter 270‘000 in Ost-Jerusalem, 1,6 Millionen im Gaza-Streifen.
Mehr als 300‘000 israelische Siedler leben im besetzten Westjordanland, dazu kommen noch 200‘000 Israelis, die in Ost-Jerusalem wohnen.
Die palästinensische Wirtschaft hat sich im Westjordanland wieder erholt (2011 rechnet man mit einem Wachstum von 7%). Gaza überwindet die Zerstörungen der israelischen Operation «gegossenes Blei» (Dezember 2008-Januar 2009).
Das BIP pro Einwohner: 1.532 Dollar ( Weltbank 2008).
(Quelle : AFP)
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)
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