Staatsinteressen beeinflussen Hilfe an Pakistan
Am Donnerstag kommt die UNO-Generalversammlung in New York zu einer Sondersession über die Hilfe für die Flutopfer in Pakistan zusammen. Die Einschätzung von zwei Forschern eines Genfer Instituts zu den humanitären Beweggründen der Staaten.
Vor einer Woche hat die UNO einen dringlichen Appell für Nothilfe im Umfang von 460 Millionen Dollar für Pakistan lanciert. Von den massiven Überschwemmungen sind über 15 Millionen Menschen betroffen, sechs Millionen sind dringend auf Nothilfe angewiesen. Die Zahl der Todesopfer liegt bei rund 2000.
UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon dürfte in New York die 192 Mitgliedstaaten ermahnen, ihre Hilfsbeiträge stark zu erhöhen. Dies, weil bislang erst ein Bruchteil der von der UNO geforderten Summe zusammenkam.
Der Appell des Koreaners hat dennoch gute Chancen, erhört zu werden. Dies wegen des Ausmasses der Katastrophe und der hohen Zahl von Opfern, aber auch wegen des betroffenen Landes: Pakistan ist eine der «heissesten Ecken der Welt», denken wir nur an den Krieg im Nachbarland Afghanistan.
Gemäss Riccardo Bocco, Soziologieprofessor am Hochschulinstitut für Internationale Studien und Entwicklung in Genf (IHEID), hat die «Spendenzusage eher politischen als rein humanitären Charakter. Der Staat zeigt so öffentlich sein Engagement in Bezug auf einen Staat oder eine bestimmte Situation».
Wirkung der Ankündigung
Laut Bocco stimmen die versprochenen Hilfsbeiträge nie mit jenen überein, die in der Realität aufgewendet werden. «Im besten Fall entsprechen die ausgeschütteten Beträge rund 40% der versprochenen Hilfe, meistens aber lediglich 20 bis 30%.»
Der Experte erinnert daran, dass zwischen der Ankündigung und der effektiven Auszahlung der zugesagten Summen andere Krisen wie auch andere politische Dringlichkeiten auftauchen können.
Zudem könnten die Bedürfnisse erneut abgeklärt werden zum Beispiel in Bezug auf die Kapazitäten in den Ländern, welche die versprochenen Hilfeleistungen erhalten sollen.
Gilles Carbonnier, Professor für wirtschaftliche Entwicklung am IHEID, nimmt Bezug auf die besondere Lage Pakistans: «Es gibt ein enormes geopolitisches Interesse, was die betroffenen Gebiete betrifft.» – Denn diese grenzen an Afghanistan, wo die Taliban die pakistanische Armee angreifen.
«Das gesamte humanitäre System ist in Schwierigkeiten, dies infolge zahlreicher humanitärer Krisen der letzten Zeit wie das Erdbeben in Haiti oder die Hungersnot, welche die Sahel-Länder bedroht. Es ist also nicht ganz einfach, zusätzliche Mittel zu mobilisieren und eine umfassende internationale Hilfsoperation zu starten», betont Carbonnier.
Als Schwergewicht innerhalb der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) und mehr oder weniger treuer Verbündeter der USA dürfte Pakistan am Donnerstag in New York dennoch eine starke Mobilisierung auslösen.
Humanitär und geopolitisch
«Humanitäre Aktionen waren immer schon auch eine Antwort auf geopolitische Betrachtungen», erklärt Carbonnier, der auch Vorstandsmitglied der NGO Médecins Sans Frontières (MSF) ist.
«Einer der Gründungsakte der humanitären Hilfe war ein Gesetz, das 1812 vom US-Kongress verabschiedet wurde, damit in Venezuela nach einem Erdbeben Hilfe geleistet werden konnte. Es ging darum, die Bevölkerung zu retten. Weil aber Venezuela im Unabhängigkeits-Krieg gegen Spanien stand, hatte die Intervention der Vereinigten Staaten – damals seit kurzem ebenfalls unabhängig – ganz klar auch eine politische Dimension. Seither beeinflussen diese zwei Ebenen – die geopolitische Sicht sowie die internationale Solidarität – humanitäre Aktionen.»
In den letzten Jahren seien die zwei Ebenen zuweilen sogar fusioniert worden. Zu sehen sei das am Beispiel der militärischen humanitären Hilfe, so Carbonnier: «Die NATO oder die amerikanische Armee sehen sich in der Lage, gleichzeitig humanitäre Hilfe zu leisten und eine militärische Offensive zu führen, so im Kampf gegen den Terrorismus in Irak oder in Afghanistan.»
Ein Mix, der von Nichtregierungs-Organisationen angeprangert wird und meist die Feindseligkeit der betroffenen Bevölkerung ansteigen lässt.
Die Legitimität bewahren
Der von einer humanitären Katastrophe betroffene Staat habe also gute Gründe, solche Besorgnisse mit grosser Aufmerksamkeit zu prüfen.
«Insbesondere mächtige Länder wie Pakistan oder Russland (kürzlich von riesigen Bränden heimgesucht) oder auch die USA 2005 anlässlich des Hurrikans ‹Katrina› stellen sich die Frage ihrer Souveränität und Legitimität», sagt Gilles Carbonnier.
«Zu Beginn einer Katastrophe versucht der Staat oft, den Opfern alleine beizustehen. Dies, um seine Legitimität gegenüber der Bevölkerung zu behaupten und seine Souveränität gegenüber anderen Staaten zu garantieren. Ein Hilfeaufruf an andere kann als Souveränitäts- und Legitimitätsverlust wahrgenommen werden, besonders gegenüber der eigenen Bevölkerung.»
Wenn das Land aber keinen Appell für Hilfe aus dem Ausland mache, die Bedürfnisse der notleidenden Bevölkerung nicht gedeckt werden könnten und die Katastrophe sehr schlimm sei, dann trage der Staat eine schwere Verantwortung, die auch seine Legitimität gefährde, sagt Gilles Carbonnier.
Frédéric Burnand, Genf, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein und Jean-Michel Berthoud)
Pakistan figuriert beim Korruptionswahrnehmungs-Index 2009 von Transparency International auf Platz 139 von 180 getesteten Staaten.
Nach Angaben der Weltbank behindern insbesondere Korruption und das Fehlen von Transparenz die Entwicklung im Land.
Gemäss einem von der Weltbank in Auftrag gegebenen Bericht verschlang die Korruption rund 15% des pakistanischen Entwicklungs-Budgets für die Jahre 2007-2008.
Der nationale Spendenaufruf findet am Mittwoch, 18. August, von 6 bis 24 Uhr statt.
Glückskette Postkonto 10-15000-6 (Vermerk «Überschwemmungen Asien»),
UNICEF Postkonto 80-7211-9 (Vermerk: Nothilfe Pakistan)
Acht Partnerhilfswerke der Glückskette sind bei der Flutkatastrophe in Asien aktiv: Terre des hommes Kinderhilfe, HEKS, Caritas Schweiz, das Schweizerische Rote Kreuz (SRK), Handicap International, die Christoffel Blindenmission (CBM), die Heilsarmee und das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH).
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