Staatsschulden: Woher kommt das Geld?
Weltweit schnüren Regierungen beispiellose Hilfspakete, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Wer bezahlt das alles? SWI swissinfo.ch macht Sie fit für die Diskussion am virtuellen Stammtisch.
Impfstoffe, Härtefälle, Kurzarbeit. Die Liste der Hilfszahlungen der Schweiz ist lange. Alleine im letzten Jahr musste Finanzminister Ueli Maurer dafür 20 Milliarden Franken auftreiben. Nochmals 15 Milliarden Franken kommen dieses Jahr dazu.
Im Ausland ist die Situation ähnlich: Frankreich hat sich im vergangenen Jahr mit 260 Milliarden Franken verschuldet. In den Vereinigten Staaten beläuft sich das Staatsdefizit auf 2780 Milliarden Franken.
In Zeitungsbeiträgen, im Fernsehen und in den sozialen Medien erläutern Finanzexperten und -expertinnen die Vor- und Nachteile dieser Entwicklung. Leicht verständlich ist das nicht.
Das wollen wir ändern. Bei uns erfahren Sie, was Sie zum Thema Staatsverschuldung wissen müssen.
Was ist ein Staatsdefizit?
Das Staatsdefizit ist die Differenz zwischen Staatsausgaben und Steuereinnahmen. Gibt ein Staat also mehr aus, als er einnimmt, fährt er ein Staatsdefizit ein. Die Aufgabe von Finanzminister Ueli Maurer ist, jemanden zu finden, der den Fehlbetrag bezahlt.
Was sind Staatsschulden?
Die Staatsschulden sind die akkumulierten Staatsdefizite. Defizite erhöhen also die Staatsschulden. Demgegenüber verringern Staatsüberschüsse die Schulden. Die Schweiz hat ihre Staatsschulden seit 2003 um rund 30 Milliarden Franken abgebaut.
Was ist ein gutes Mass für die Staatsschulden?
Der Verschuldungsgrad eines Staates wird üblicherweise in Prozent der Wirtschaftsleistung ausgedrückt. Die Schweizer Staatsschulden belaufen sich aktuell auf ungefähr 48 ProzentExterner Link des Bruttoinlandprodukts. Die Schweiz müsste also rund ein halbes Jahr arbeiten, um ihre Staatsschulden zurückzuzahlen. In Japan beträgt die Staatsschuldenquote 266 Prozent.
Wie viel Schulden kann ein Land machen?
Die Maastricht-Kriterien der Europäischen Union schreiben vor, dass sich ein Staat mit höchstens 60 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verschulden darf. Dieser Grenzwert ist arbiträr. Ob der Schuldenstand eines Landes nachhaltig ist, wird nämlich bestimmt durch das Wirtschaftswachstum und das Zinsniveau. Wenn die Zinsen tiefer sind als das Wachstum, verringert sich die Staatsschuldenquote über die Zeit automatisch.
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Staaten können also sehr viel Schulden machen. Eine andere Frage ist, ob Ueli Maurer immer jemanden finden wird, der sein Defizit finanziert.
Wer kommt als Geldgeber in Frage?
Die Banken sitzen auf riesigen Geldsummen. Der Grund dafür ist die Geldpolitik. In der Schweiz hat die Nationalbank den Banken seit 2008 Fremdwährungen im Wert von rund 670 Milliarden Franken abgekauft.
Das Ziel dieser Käufe war, den Franken vor einer zu starken Aufwertung zu bewahren. Mit dem neu geschaffenen Geld könnten die Banken das Staatsdefizit decken.
Wo liegt das Geld der Banken?
Das Geld der Banken liegt bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Die Banken führen nämlich alle ein Konto bei der SNB. Dort wird ihnen gegenwärtig ein Negativzins belastet. Die Banken verlieren also Geld. Sie möchten ihr Geld deshalb loswerden.
Wohin fliesst das Geld der Banken?
Eine Bank kann ihr Geld nur auf zwei Arten abstossen. Erstens kann sie einer anderen Bank etwas abkaufen. Die UBS kann also beispielsweise versuchen, der Credit Suisse eine Immobilie abzuluchsen. Allerdings bezahlt auch die Credit Suisse einen Negativzins auf ihrem Konto. Sie hat also kein Interesse am Geld der UBS. Zweitens können die Banken das Geld dem Staat überlassen.
Können die Banken ihr Geld nicht an geschlossene Betriebe (Restaurants etc.) ausleihen?
Nein. Banken können ihr Geld nur an eine andere Bank oder an den Staat weitergeben. Wenn Banken einer Firma oder einem Haushalt einen Kredit gewähren, schaffen sie neues Geld.
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Ueli Maurer könnte sein Staatsdefizit also von den Banken finanzieren lassen. Damit der Staat das Geld der Banken bekommt, muss er normalerweise einen Zins bezahlen. Doch heute ist alles anders.
Weshalb kann sich die Schweiz zu einem negativen Zinssatz verschulden?
Auf den Guthaben bei der Nationalbank bezahlen die Banken einen Negativzins von -0,75 Prozent. Eine Rendite von -0,25 Prozent scheint da bereits verlockend. Aus diesem Grund «bezahlt» der Bund momentan nur rund -0,3 Prozent, um sich für 50 Jahre zu verschulden. Die Banken schenken Ueli Maurer Geld, wenn sie ihm Geld überlassen dürfen.
Sollte sich die Schweiz stärker verschulden?
Das ist eine politische Frage. Dagegen spricht, dass die heutigen Schulden die Steuern von morgen sein könnten. Das wäre im Speziellen dann so, wenn sich ein Staatbankrott abzeichnen sollte. Für eine stärkere Verschuldung spricht, dass Staatsschulden nicht zurückbezahlt werden müssen, solange die Zinsen tief sind.
Eines aber steht fest: Geld ist genug vorhanden.
Fabio Canetg
Der Autor hat an der Universität Bern und an der Toulouse School of Economics zum Thema Geldpolitik doktoriert. Heute ist Fabio CanetgExterner Link Dozent an der Universität Neuenburg. Als freischaffender Journalist schreibt er für SWI swissinfo.ch und die Republik. Er moderiert den Geldpolitik-Podcast «Geldcast».
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