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«Ernährungssouveränität ist eine Vision mit teuren Folgen»

Swissinfo Redaktion

Die Initiative für Ernährungssouveränität will den Handel von Lebensmitteln mit dem Ausland einschränken und den Markt im Inland stark regulieren. Die negativen Folgen bekämen Konsumentinnen und Konsumenten aber auch Produzenten zu spüren, schreibt FDP-Nationalrätin Regine Sauter.

Standpunkt

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Warum nicht souverän sein, was unsere Ernährung betrifft? So positiv das Ansinnen dem Titel nach klingt, so schwer verdaulich wären die Auswirkungen der Initiative «für Ernährungssouveränität».

Die Initiative verlangt staatliche Eingriffe und Lenkungsmassnahmen, die zu einer kleinbäuerlichen, vom Ausland stärker isolierten Landwirtschaft führen. Der Bund soll etwa die Einfuhr von Nahrungsmitteln mit Zöllen und Mengenbeschränkungen einschränken oder bestimmte Importe ganz verbieten. Verboten werden soll auch der Einsatz von Gentechnik.

Die Preise für Landwirtschaftsprodukte sollen staatlich gelenkt werden, hinzukommen sollen neue Subventionen. Schliesslich soll der Bund in den Arbeitsmarkt eingreifen, um die Beschäftigung in der Landwirtschaft zu erhöhen.

Staatlich gelenkte Landwirtschaft

Die Volksinitiative wurde von der links-grünen Bauerngewerkschaft Uniterre zusammen mit rund 70 weiteren Organisationen lanciert. Ausgangspunkt ist die grundlegende Kritik an der Landwirtschaftspolitik des Bundes, welche innerhalb der letzten 20 Jahre eine sanfte Öffnung der Märkte bewirkte.

Mit der Initiative soll den Bauern ein höheres Einkommen zugesichert werden und es sollen wieder mehr Menschen in der Landwirtschaft arbeiten. Der Trend hin zu weniger, dafür grösseren Betrieben soll gestoppt werden. Im Grunde geht es den Initianten also nicht um gesunde Rüebli und Milch, sondern darum, die Schweizer Landwirtschaft möglichst zu schützen und abzuschotten.

Planwirtschaft statt Marktmechanismen

Mit ihren Forderungen nach protektionistischen Massnahmen und staatlichen Interventionen bedroht die extreme Initiative die freiheitliche Wirtschaftsordnung in der Schweiz. Die sozialistische Idee einer staatlichen Festlegung von «gerechten Preisen» und Lebensmittelmengen widerspricht einer freien Marktwirtschaft und hat – wie frühere und aktuelle Beispiele zeigen – nie funktioniert.

Zu erwarten sind steigende Preise für Nahrungsmittel, was die Wettbewerbsfähigkeit der Lebensmittelindustrie schwächt und die Konsumentinnen und Konsumenten, insbesondere sozial schlechter gestellte Haushalte, überproportional belastet. Belastet würden durch die zusätzlichen Subventionen aber auch die Steuerzahler.

Eine Frau lächelt in die Kamera
Regine Sauter ist Nationalrätin der FDP des Kantons Zürich und Direktorin der Zürcher Handelskammer. KEYSTONE / GAETAN BALLY

Freihandel in Gefahr

Indem der Agrarmarkt gegenüber ausländischen Importen abgeschottet wird, steigen die Preise zusätzlich und die Produktevielfalt nimmt ab. Zudem verstösst die Schweiz mit den Grenzschutzmassnahmen gegen internationale Verpflichtungen. Dazu gehören die Bestimmungen der WTO, bestehende Freihandelsabkommen wie auch die wichtigen bilateralen Verträge mit der EU. Zudem wäre der Abschluss neuer Freihandelsabkommen kaum mehr möglich.

Was für Globalisierungsmüde kaum alarmierend klingen mag, ist für die Gesamtwirtschaft und den Wohlstand in der Schweiz eine reale Bedrohung. Man darf nicht vergessen: Die Schweiz verdient jeden zweiten Franken im Ausland. Damit verbunden sind Arbeitsplätze und Einkommen.

In ihrem Ruf nach zusätzlichem Grenzschutz weist die Initiative für Ernährungssouveränität denn auch Gemeinsamkeiten mit der Fair-Food-Initiative auf, die gleichzeitig zur Abstimmung gelangt und ebenfalls abzulehnen ist. Probleme mit der Handelspolitik und steigende Preise wären auch bei dieser Initiative vorprogrammiert.

Vision einer zukunftsweisenden Landwirtschaftspolitik

Gerade in Bezug auf internationalen Handel erweist sich die Idee der Ernährungssouveränität als Trugschluss: Wir sind weit davon entfernt, die inländische Nachfrage eigenständig abzudecken. Auch Futtermittel, Saatgut, Setzlinge oder Dünger stammen zu grossen Teilen aus dem Ausland.

Die Initiative zeugt von Unmut über die Strukturveränderungen in der Landwirtschaft. So schmerzlich die Aufgabe eines jeden Kleinbauernbetriebs sein mag: Abgesehen davon, dass sich Unternehmen aus vielen anderen Wirtschaftszweigen ähnlichen Herausforderungen erfolgreich stellen (müssen), kann sich unsere Volkswirtschaft eine ultraprotektionistische Landwirtschaft schlichtweg nicht leisten.

Bäuerinnen und Bauern können erfolgreich sein, wenn sie sich den Herausforderungen mit unternehmerischem Geschick stellen, betrieblich wachsen und innovativ vermarkten. Gleichzeitig muss die Politik die Ausrichtung der Landwirtschaft auf den Markt und damit letztlich auf die Nachfrage und Bedürfnisse der Konsumenten weiter vorantreiben. Das heisst Anreize setzen, damit die Betriebe ihre qualitativ hochstehenden Produkte gewinnbringend vermarkten können, auch auf den ausländischen Märkten.

Dazu hilft nur eine Lockerung der Handelsschranken. Dass dieser Weg erfolgsversprechend ist, zeigt sich beispielsweise in Österreich, wo der einst abgeschottete Agrarmarkt gegenüber den anderen EU-Mitgliedern weitgehend geöffnet ist sowie der weitgehend geöffnete Schweizer Käsemarkt.

Nein am 23. September

Zusammengefasst kann man sagen: Ernährungssouveränität ist eine Vision mit teuren Folgen für alle und Gewinn für wenige. Zu den grundlegenden Erfolgsfaktoren unseres Wohlstands gehören offene Grenzen für den Handel, ein attraktives Umfeld und eine geringe Regulierungsdichte. Wer dies anerkennt, sagt am 23. September klar Nein zur Volksinitiative «zur Ernährungssouveränität».

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