«No-Billag» ist ein Angriff auf die Schweiz
Unabhängige Medien seien wichtig für die Schweizer Demokratie, sagt Tim Guldimann. Für den Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei und ehemaligen Botschafter in Deutschland ist die Volksinitiative für die Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren ein Frontalangriff auf objektive und ausgewogene Berichterstattung.
Gegenüber meinem eigenen Land war ich früher immer sehr kritisch. Aber je länger ich im Ausland lebe, desto mehr schätze ich die Schweiz. Im Ausland habe ich – vor allem in den letzten 13 Jahren in Deutschland – gelernt, was es bedeutet, wenn vieles nicht so gut funktioniert, wie wir es in der Schweiz gewohnt sind. Die Qualitäten unseres Landes sind keine Selbstverständlichkeit. Drei Beispiele.
SWI swissinfo.ch ist ein Unternehmen der SRG und wird hälftig ebenfalls durch die Billag-Gebühr finanziert.
Erstens halten wir unsere direkte Demokratie für etwas Einzigartiges. Sie garantiert das grosse Vertrauen der Bevölkerung dem Staat, der Regierung und der Politik gegenüber. In anderen Ländern ist dieses Vertrauen eingebrochen. Unsere Demokratie ist aber darauf angewiesen, dass wir über politische Fragen offen und objektiv diskutieren können. Dafür sind unabhängige Medien nötig.
In den letzten Jahren haben viele Zeitungen ihre Unabhängigkeit verloren, weil sie von einflussreichen Wirtschaftskreisen gekauft worden sind. Deren Ziel ist es, die öffentliche Meinung für ihre Interessen zu beeinflussen. Umso wichtiger ist es für unser System, dass Radio und Fernsehen objektiv und ausgewogen bleiben. Nur so ist es möglich, dass swissinfo.ch als Institution der SRG meinen vorliegenden Artikel gleichzeitig mit der Gegenposition meines Ratskollegen Zanetti publiziert.
Wenn Sie aber wollen, dass Sie vor künftigen Abstimmungen nur noch die Meinung von Herrn Zanetti in einem von Herrn Blocher beherrschten Medium lesen können, weil es dann keine SRG mehr gibt, müssen Sie für «No Billag» stimmen.
Zweitens der öffentliche Dienst: Wir beschweren uns oft über die SBB, über die Post oder die Swisscom, nicht zuletzt, weil diese mit ihrer marktwirtschaftlichen Verantwortung manchmal auch dort sparen müssen, wo es – wie mit der Schliessung von Poststellen – weh tut. Trotzdem funktioniert unser «Service Public» im internationalen Vergleich immer noch sehr gut. Er ist verlässlich und garantiert Lebensqualität und die Attraktivität unseres Investitionsstandortes.
Deutschland hingegen erlag viel stärker der Illusion, die Privatisierung spare Kosten und der Markt sei effizienter als der Staat. So muss ich mich in Berlin ständig ärgern, wenn Pakete nicht ankommen, die Züge sich verspäten oder die Telefonleitung verstummt. Allein der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk garantiert die Qualität einer objektiven Information, vergleichbar mit unserem Radio in der Schweiz.
«No Billag» hingegen würde nicht nur das «Echo der Zeit» zum Verstummen bringen, diese Initiative ist vielmehr ein Frontalangriff auf die bisher unbestrittene Überzeugung, dass der Staat sich um gesellschaftliche Aufgaben kümmern muss, die der Markt nicht erfüllt.
Drittens liegt die Qualität unseres Landes in einer sprachlichen und regionalen Vielfalt, die ihren inneren Zusammenhalt nur bewahren kann, wenn die Gemeinschaft bereit ist, mit allen Landesteilen und Bevölkerungsgruppen solidarisch und respektvoll umzugehen.
Das gilt für die Infrastruktur, wo wir zum Beispiel für eine kleine Minderheit von 8000 Einwohnern im Unterengadin für deren Anschluss an die übrige Schweiz mit 500 Millionen einen Vereinatunnel gebaut haben. Und das gilt vor allem für das öffentliche Radio und Fernsehen.
Dabei geht es nicht nur um das Rätoromanische als unsere vierte Landessprache, es geht um die kleinteilige Vielfalt unseres Landes, in der sich die Menschen dank lokal und regional ausgerichteter Sendungen im Radio und Fernsehen zuhause fühlen. Dafür unterstützt die SRG auch 21 private Regionalradios und 13 regionale TV-Stationen. Das kostet Geld, aber auch für den sportbegeisterten Haushalt sind die Rundfunkgebühren immer noch billiger als ein Pay-TV-Abonnement für Sportsendungen, die er heute über die SRG bekommt.
Von ganz besonderer Bedeutung ist die SRG für die 780’000 Mitbürger und Mitbürgerinnen im Ausland als Informations-Brücke zur Heimat. Swissinfo bringt der Fünften Schweiz das Leben in unserem Land näher, erklärt der Fünften Schweiz, worum es bei Abstimmungen geht, und schafft im Hinblick auf Wahlen den Rahmen für eine politische Debatte, in die sich auch die Auslandschweizer und Auslandschweizerinnen einbringen können.
Der Informationsauftrag der SRG geht noch viel weiter: Mit der Beteiligung an TV5Monde und an 3Sat erreicht die Schweiz 300 Millionen frankophone und 70 Millionen deutschsprachige Haushalte in der ganzen Welt.
«No-Billag» bedeutet das Ende der SRG. Vor allem als Schweizer und Schweizerinnen im Ausland müssen wir verstehen, was für unser Land am 4. März auf dem Spiel steht.
Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.
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