«Probleme im Asylwesen lösen statt bewirtschaften»
Die neue Asylreform bringt Verschärfungen, aber auch Vorteile für diejenigen Menschen, die nach unserem Asylgesetz Schutz erhalten sollten, findet Balthasar Glättli, Nationalrat der Grünen. Angesichts der humanitären Flüchtlingskatastrophe müssen die Probleme im Asylwesen gelöst und nicht bewirtschaftet werden, wie die Schweizerische Volkspartei mit ihrem Referendum wieder versucht.
Auf dem Feld der Asylpolitik werden seit Jahrzehnten in der Schweiz grosse symbolträchtige Auseinandersetzungen ausgetragen. Kampf gegen Asylmissbrauch oder überhaupt gegen angeblich zu viele Asylsuchende auf der einen Seite. Und Verteidigung der humanitären Tradition der Schweiz auf der anderen.
Bis anhin verlief jede Revision nach dem gleichen Drehbuch: Auf Druck der Schweizerischen Volkspartei (SVP) oder auch mit dem Hintergedanken, ihr das Wasser abzugraben, lanciert der Bundesrat eine Verschärfung des Asylgesetzes. Diese wird dann im bürgerlich dominierten Parlament nochmals mit einigem Pfeffer angereichert. Grüne und Linke ergreifen daraufhin das Referendum – und scheitern kläglich.
Die Abstimmung zum neuen Asylgesetz, die am 5. Juni ansteht, zeigt zum allerersten Mal ein anderes Bild. Sämtliche Parteien, von den Grünen über die Sozialdemokratische Partei (SP) bis zu Christlichdemokratischer Volkspartei (CVP) und Freisinnig-Demokratischer Partei (FDP.Die Liberalen), unterstützen die Reorganisation des Asylverfahrens.
Diese bringt einerseits klare Verschärfungen und eine deutliche Beschleunigung bis zum rechtskräftigen positiven oder negativen Entscheid mit sich. Andererseits wird erstmals eine Rechtsberatung für alle Asylsuchenden im erstinstanzlichen Verfahren eingeführt. Einzig die SVP trägt diesen Kompromiss nicht mit und hat dagegen das Referendum ergriffen.
Testphase kriegt gute Noten
Besonders ist die Abstimmung auch deshalb, weil die Konsequenzen des neuen Gesetzes absehbar sind. Üblicherweise streiten sich vor einer Abstimmung Befürworter und Gegner darüber, ob ein neues Gesetz die versprochene Wirkung zeigt. Hier aber wurde das neue Asylverfahren bereits in einem Testbetrieb in Zürich ausprobiert und seit Januar 2014 einem Reality-Check unterworfen.
Die Auswertung durch unabhängige Fachleute zeigt, dass die Erwartungen erfüllt werden konnten: Die Verfahren dauern einen Drittel weniger lang als sonst. Und die Beschwerdequote ist ebenfalls fast ein Drittel tiefer. Umgekehrt verdreifachte sich die Zahl derjenigen, die freiwillig in ihr Herkunftsland zurückkehren, weil sie erkennen mussten, dass ihr Gesuch keine Chancen hätte.
Aus der Sicht der Linken werden allerdings auch Kritikpunkte geäussert. So ist die kostenlose Rechtsberatung nicht vollkommen unabhängig – auch wenn das die SVP fälschlicherweise behauptet, wenn sie von «Gratisanwälten» spricht. Die Rechtsberater sind vielmehr gehalten, auf aussichtslose Rekurse zu verzichten.
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Die Grünen fordern zudem mit Nachdruck, dass die neuen Bundeszentren auch künftig keine geschlossenen Lager sein dürfen, sondern für Besuche der Nachbarn und unabhängiger Organisationen offen sein müssen. Aber trotz dieser Kritik kommen sowohl die Grünen wie auch Amnesty International und die Flüchtlingshilfe unter dem Strich zu einem kritischen Ja.
Abstimmung mit doppelter Bedeutung
Einerseits geht es in der Sache darum, ob man – bei aller berechtigten Kritik – Ja sagt zu einer Asylreform, die sich in der Praxis gerade für diejenigen Menschen vorteilhaft auswirkt, die tatsächlich nach unserem Asylgesetz Schutz erhalten sollten. Und das sind momentan gegen sechzig Prozent derjenigen, die ein Asylgesuch stellen.
Andererseits geht es auch um eine politische Weichenstellung. Nämlich darum, ob man mit einem Nein die unschweizerische Politik des «Alles oder Nichts» der SVP als Referendumsführerin unterstützen will. Oder ob man mit einem Ja jene Kräfte von links bis rechts stärkt, die sich gemeinsam zusammenrauften, weil sie der Überzeugung sind, dass die Politik angesichts der humanitären Flüchtlingskatastrophe und der damit verbundenen Herausforderungen für die Schweiz Probleme lösen muss, statt sie zu bewirtschaften.
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Traduzione di Armando Mombelli
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