Der eingebildete Champion
Die Schweiz schneidet bei Wirtschaftsrankings gut ab. Eine schlechte Figur macht sie hingegen bei den weltweit verursachten sozialen und ökologischen Kosten. Die Schweiz müsse sich davor hüten, sich von einer selbst fabrizierten Hochglanzversion ihres Erscheinungsbildes blenden zu lassen, schreibt Jakob Tanner.
«Unter dem Strich sind wir in allen Rankings in den Top Ten, das ist auf hohem Niveau ziemlich stabil», erklärte unlängst Nicolas Bideau, der Top-Landesverkäufer der Schweiz. Mit dem Schwärmen über die smarte «Klischee-Schweiz», die jetzt gerade wieder besonders «sexy» sei, erfüllt der Chef der «Präsenz Schweiz» seinen Kernauftrag.
«Präsenz Schweiz» entstand nämlich 2001 als Verwaltungseinheit des Bundes mit dem Ziel der «Schaffung von Sympathien für die Schweiz». Den Anstoss dazu lieferte – so die Website der Schweizerischen Eidgenossenschaft – die «Thematik der nachrichtenlosen Vermögen». Dabei ging es um die von den Banken nicht zurückbezahlten jüdischen Konten aus der Zeit des Nationalsozialismus. In den ausgehenden 1990er-Jahren war die Schweiz von dieser verdrängten Geschichte überrascht und in eine traumatische Imagekrise gestürzt worden. Solch unerfreulichen Entwicklungen sollte fortan mit einer millionenschweren «Landeswerbung» vorgebeugt werden.
Früher hiess das noch nationale Propaganda – und diese war noch nie für Faktentreue berühmt. Die Positionierung der Schweiz in der globalen Liga der Top Ten ist nicht nur irreführend, sondern könnte sich politisch desaströs auswirken. Denn das kleine, neutrale Land hat die fatale Neigung, die Erfolgsgeschichten, welche es sich zweckoptimistisch zurechtlegt, anschliessend für bare Münze zu nehmen und auf diese hereinzufallen. Die innenpolitische Notlage um die «nachrichtenlosen Vermögen» war ein frappantes Beispiel dafür. Insofern hat man nichts dazugelernt.
Nun ist die Schweiz ein wohlhabendes Land, das für die hohe Lebensqualität seiner Städte und die Schönheit seiner Landschaften bekannt ist. Angesichts des atemberaubenden Booms von Ranking- und Ratingindikatoren ist es nicht schwierig, Beispiele zusammenzustellen, die ein luftiges Gipfelgefühl vermitteln.
Präsenz SchweizExterner Link ist beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) angesiedelt und für die Wahrnehmung der Schweiz im Ausland zuständig. Präsenz Schweiz unterstützt die Interessenwahrung der Schweiz mit Instrumenten der Öffentlichkeitsarbeit. Dazu gehört laut Website unter anderem «die Schaffung von Sympathien für die Schweiz sowie die Darstellung der schweizerischen Vielfalt und Attraktivität.»
So platziert das jährlich in Davos tagende World Economic Forum (WEF) die Schweiz auf seinem weltumspannenden Wettbewerbsindex auf Platz vier. Auf demselben Platz rangiert sie im Index for Economic Freedom (Heritage Foundation). An dritter Stelle steht sie im Report des Global Entrepreneurship Monitor. Auf dem Human Development Index der UNO hält sie hinter Norwegen Platz zwei, auf dem vom WEF mit amerikanischen Universitäten publizierten Environmental Performance Index glänzt sie auf Platz eins. Die Liste liesse sich verlängern.
Zappenduster siehts dagegen aus, wenn die sozialen und ökologischen Kosten, welche die Schweiz anderswo auf dem Erdball verursacht, geschätzt werden. Im Sustainable Development Report 2019 der Bertelsmann Stiftung, die untersucht, welche Länder andere daran hindern, nachhaltige Entwicklungsziele zu erreichen, steht die Schweiz ebenfalls auf Platz eins. Sie präsentiert sich also – anders etwa als das ebenfalls reiche Schweden – als Spitzenprofiteur im globalen Verteilungskampf.
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Schlecht sieht es auch im Finanzsektor aus. Bei der internationalen Steuertransparenz, der Bekämpfung der Geldwäscherei und bei Geldflüssen in der Politik macht die Schweiz keine gute Falle. Und im Ease of Doing Business Index der Weltbank, der Geschäftsfreundlichkeit und Unternehmensregulierung dokumentiert, fiel sie in den letzten zwölf Jahren von Platz 15 auf Platz 38 zurück. Auch wenn die Qualität der Demokratie und die Chancengerechtigkeit zwischen den Geschlechtern gemessen werden, fällt die Bilanz durchzogen aus.
Die Ranking- und Ratingindustrie hat zwar ihre eigenen Glaubwürdigkeitsprobleme. Aber die globale Kommunikation basiert heute weitgehend auf solchen Mess- und Bewertungsinstrumenten, deshalb trägt eine Fundamentalkritik nicht weit. Allerdings leistet der Quantifizierungs- und Ranglistenkult einem technokratischen Staatsverständnis Vorschub. Die Fixierung auf Listenplätze in internationalen Vergleichen droht zu einer Ersatzhandlung für umsichtige politische Entscheidungen zu werden. Die Schweiz muss sich davor hüten, sich von einer selbst fabrizierten Hochglanzversion ihres Erscheinungsbildes blenden zu lassen.
Dieser Kommentar erschien erstmals in «Das MagazinExterner Link«.
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