Schweiz schafft Steuerprivilegien für internationale Unternehmen ab
Die Steuerprivilegien für internationale Unternehmen werden in der Schweiz abgeschafft. Das Stimmvolk nimmt die AHV-Steuer-Vorlage mit 66,4% der Stimmen an. Die Kantone erhalten die Möglichkeit, den Firmen neue Steuererleichterungen zu gewähren. Als Ausgleich zu dieser Entlastung der Unternehmen erhält die AHV eine Zusatzfinanzierung von zwei Milliarden Franken jährlich.
Das Abstimmungsresultat werde auch die Beziehungen mit der EU verbessern, sagte Bundespräsident Ueli Maurer am Sonntagnachmittag vor den Medien. In Brüssel werde man bestimmt zur Kenntnis nehmen, dass die Schweiz manchmal etwas länger brauche, aber pragmatische Entscheide fällen könne.
Für Maurer endet heute eine brenzlige Situation mit dem Ausland. Es drohen vorerst keine grauen oder schwarzen Listen für Steueroasen der OECD. Der mehr als zehn Jahre andauernde, internationale Druck ist fürs Erste abgewehrt.
Das deutliche Ja sei ein wichtiges Signal bezüglich Sicherheit und Planbarkeit für den Unternehmensstandort Schweiz. «Wenn Unternehmen sich auf Rechtssicherheit abstützen können, bedeutet dies auch Sicherheit für die Arbeitsplätze», sagte Maurer.
Trotz der Abschaffung der Steuerprivilegien für internationale Konzerne bleibe das Land aber wettbewerbsfähig, sagte der Bundespräsident.
Zwei Fliegen auf einen Streich
Was haben eine Unternehmenssteuerreform und die Finanzierung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) miteinander zu tun? Nichts. Obwohl eine solche Verknüpfung laut Verfassung gar nicht zulässig ist, hat sie der Souverän akzeptiert.
Dass sich das Volk zu zwei «sachfremden» Geschäften nicht separat äussern durfte, sondern nur zur Verknüpfung von beiden Ja oder Nein sagen konnte, hat kaum jemandem gefallen. Viele kamen aber offenbar zum Schluss, dass es keine bessere und mehrheitsfähige Vorlage gebe für diese beiden wichtigen Dossiers.
Überraschend hohe Zustimmung
2017 waren die Unternehmenssteuerreform III und die Reform der Altersvorsorge an der Urne gescheitert. Nun sagen zwei von drei Stimmenden Ja zu einer Verknüpfung beider Anliegen.
Eine Ja-Mehrheit gab es in allen Kantonen. Das Ja zur STAF überrascht nicht. Umfragen hatten die Zustimmung an der Urne erwarten lassen. Überraschend ist aber die Deutlichkeit des Resultats.
Die Gegner hatten unter anderem kritisiert, die Vorlage verletze die Einheit der Materie, weil sie zwei völlig sachfremde Themen miteinander verbinde.
Der «Kuhhandel», wie die Gegner die Vorlage zur Steuerreform und AHV-FinanzierungExterner Link (STAF) bezeichnen, versucht, zwei grosse politische Geschäfte, die in den vergangenen Jahren scheiterten, in einem gemeinsamen Paket durch die politischen Mühlen zu bringen: die Abschaffung international geächteter Steuerprivilegien und eine zusätzliche Finanzierung für die AHV.
Im AHV-Teil geht es darum, einen Mehrbedarf zu decken, der wegen des Renteneintritts der Babyboomer-Generation entsteht. 1,2 Milliarden Franken werden dadurch in die AHV fliessen, finanziert aus der Erhöhung der Lohnbeiträge der Arbeitnehmenden und Arbeitgeber von je 0,15 Prozentpunkten. Dazu kommen jährlich 800 Millionen Franken aus der Bundeskasse.
Im Steuerteil werden die Privilegien für sogenannte Statusgesellschaften (Holdings) abgeschafft. Weil die Steuern für alle Firmen sinken, entstehen Steuerausfälle bei Bund, Kantonen und Gemeinden in Milliardenhöhe.
Die Befürworter bezeichnen die Verknüpfung als Kompromiss, der in demokratischen Prozessen unabdingbar sei. Mit der STAF-Vorlage werde Rechts- und Planungssicherheit für Unternehmen geschaffen und für attraktive, international akzeptierte Standortbedingungen gesorgt. Sie habe das Ziel, wichtige Steuereinnahmen und wertschöpfungsintensive Arbeitsplätze in der Schweiz zu erhalten. Überzeugen konnten die Befürworter ausserdem mit folgenden Argumenten: die Rentensicherheit, die Attraktivität des Landes für Unternehmen, gleiche Besteuerung von multinationalen Unternehmen sowie kleinen und mittelgrossen Unternehmen (KMU).
Abwärtsspirale bei Unternehmenssteuern?
Bundesrat (Externer LinkRegierung) und Parlament empfahlen, die Vorlage anzunehmen. Die Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), die sich als Architektin der Vorlage bezeichnet, zeigte sich am Sonntag erfreut über die deutliche Zustimmung. Pirmin Bischof, Ständerat (Kleine Kammer) der CVP sagte, zwei grosse Problembereiche seien geregelt – oder fast. In den letzten zwanzig Jahren seien alle Reformen gescheitert. Nun gebe es eine Vorlage, die gelingen sollte.
«Das Ja zur AHV-Steuervorlage gibt uns bei der Reform der Altersvorsorge fünf Jahre mehr Zeit für eine definitive und nachhaltige Lösung», sagte er. Kritiker hatten im Vorfeld der Abstimmung bemängelt, dass das drohende Finanzloch bei der AHV durch die vorgeschlagenen Massnahmen schon mittelfristig nicht gestopft werden könne.
Regula Rytz, Nationalrätin und Präsidentin der Grünen, war mit ihrer Partei treibende Kraft hinter dem Referendum. Sie sagte dem Schweizer Radio (SRF), der Kuhhandel habe funktioniert.
Die Stimmberechtigten hätten die AHV höher gewertet als die Steuerausfälle. Klar sei nun, dass eine Abwärtsspirale bei den Unternehmenssteuern einsetze. Die Grünen kritisierten vor der Abstimmung vor allem die «Steuergeschenke» zugunsten der Unternehmen. Sie bezeichneten die STAF lediglich als eine Neuauflage der Unternehmenssteuerreform III, die das Stimmvolk bereits abgelehnt hatte.
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