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Steuerabkommen Schweiz-USA in Reichweite

Manuel Sager: "Ich bin jetzt seit mehr als einem Jahr hier und habe noch nie einen langweiligen Abend verbracht". swissinfo.ch

Die Schweiz und die USA stehen vor dem Abschluss eines hart umkämpften Steuerabkommens. Aber die Streitereien zwischen Republikanern und Demokraten bremsen den Fortschritt in den Dossiers. Der Schweizer Botschafter in den USA zieht zum Jahresende eine Bilanz.

Manuel Sager bekleidet seit knapp einem Jahr den Posten als Botschafter in den USA. Das Jahr war geprägt von den Spannungen zwischen dem Iran und den USA und den Steuerverhandlungen nach dem UBS-Skandal. Zudem hat das Land noch ganz andere Sorgen zu überwinden wie die Finanzkrise und die Polarisierung in der politischen Debatte.

swissinfo.ch: Als ihr Vorgänger 2006 das Amt übernahm, stand in der Beziehung Schweiz-USA der Kampf gegen den Terrorismus an erster Stelle. Wie sieht es heute aus?

Manuel Sager: Es ist klar, dass wir das Dossier über die Information von Bankkonten und amerikanischen Steuern abschliessen müssen. Unser wichtigstes Ziel ist die Vermeidung eines juristischen Streits, diesbezüglich haben wir in den letzten zehn Monaten grosse Fortschritte gemacht.

Wir haben uns auf einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen und auf das zukünftige Vorgehen des Informationsaustausches  geeinigt. Die Vereinigten Staaten haben die Tatsache, dass das Schweizer Recht respektiert werden muss, akzeptiert. Gewisse Probleme bleiben, aber ich bin zuversichtlich, dass wir sie lösen werden.

swissinfo.ch: Ist ein Abkommen zwischen den zwei Ländern in Reichweite?

M.S.: Wir sind relativ nahe dran. Es ist immer schwierig, über laufende Verhandlungen Voraussagen zu machen. Nichts ist entschieden, bevor alles entschieden ist. Das heisst, ich bin zuversichtlich, dass eine Lösung in einem vernünftigen Zeitrahmen gefunden wird.

swissinfo.ch: Nach der Affäre mit den namenlosen jüdischen Vermögen Ende der 1990er-Jahre ist das Steuerdossier das grösste Problem zwischen den zwei Staaten. Es dauerte lange, bis die Affäre aus den Köpfen der Amerikaner verschwunden war. Könnte das Bankenproblem ebenso lange die bilateralen Beziehungen trüben?

M.S.: Ich bin nicht ganz einverstanden damit, dass die Affäre um die namenlosen jüdischen Vermögen einen enormen oder lange andauernden Einfluss auf die Beziehungen der Schweiz und den USA  hatten. Die Amerikaner wissen  im Allgemeinen gut zu unterscheiden zwischen den verschiedenen Dossiers.  
Die Tatsache, dass die Rückgabe der Vermögen an ihre legitimen Besitzer aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges ein Problem darstellte, wurde in den 1990er-Jahren anerkannt und die Angelegenheit wurde im Sinn und Geist der Menschen gelöst, nachdem ein Abkommen mit den zwei grössten Schweizer Banken geschlossen wurde. Sicher ist die Erinnerung an diese Affäre in den Köpfen hängen geblieben, doch ich glaube nicht, dass sie einen negativen Einfluss auf die Gesamtheit der bilateralen Beziehungen hatte.
 
Beim Steuerdossier ist es eher so, dass sich damit nur einige Köpfe der amerikanischen Regierung beschäftigen, die direkt in die Verhandlungen verwickelt sind. Das Dossier hat keinen grossen Einfluss auf die öffentliche Meinung.

Bei Kontakten mit Kongressabgeordneten habe ich gespürt, dass ein Bewusstsein für die Steuerfragen vorhanden ist, dies jedoch die Diskussion über andere Themen in keiner Weise negativ beeinflusst.  

swissinfo.ch: Die Schweiz vertritt die amerikanischen Interessen im Iran und in Kuba. Ich vermute, Sie haben mehr zu tun mit dem ersten Mandat als mit dem zweiten?

M.S.: Wir sind sehr glücklich, dass nach Sarah Shourd 2010 auch eine Lösung zur Befreiung der amerikanischen Wanderer Josh Fattal und Shane Bauer gefunden wurde, die im Iran inhaftiert waren.

Die Botschaft in Washington war sehr direkt involviert. Das hat uns beschäftigt, vor allem in den Monaten und Wochen vor den Freilassungen im September. Wir hatten oft Treffen im Staatssekretariat mit amerikanischen Parlamentariern.

swissinfo.ch: Schätzen die Regierung und der Kongress das Engagement der Schweiz im Iran?

M.S.: Ja, das ist sehr wichtig für sie. Bei meinen Treffen mit Kongressabgeordneten und Mitgliedern der Obama-Administration kommt die Wertschätzung unserer Dienste jedes Mal zur Sprache. So auch bei meiner Akkreditierung beim Präsidenten. Er hat sich für die guten Dienste bedankt, welche die Schweiz für die Vereinigten Staaten im Iran leistet.

swissinfo.ch: Sie wurden am 7. Dezember 2010 bei Präsident Obama akkreditiert. Wie schätzen Sie heute die politische und wirtschaftliche Lage der Vereinigten Staaten ein, kurz vor der Lancierung der Vorwahlen für die Präsidentschaftswahlen?

M.S.: Zum jetzigen Zeitpunkt sind die USA ein sehr gespaltenes Land. Das politische Zentrum scheint an Boden zu verlieren. Die Lage verschlimmert sich durch das wirtschaftliche Klima und die Budgetkrise.

Das Missverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben ist kaum zu korrigieren. Es ist schwierig, sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen. Als Lösung bleibt entweder eine Steuererhöhung, die Reduktion der Ausgaben oder die Ankurbelung des Wachstums – am besten alle drei gleichzeitig.    

Es scheint, als würde die Mittelklasse nach dem Regierungswechsel, dem «Change», als Verlierer gelten, oder zumindest nicht vom Fleck kommen. Daran dürfte vor allem die Immobilienkrise schuld sein. Dies ist in den Vereinigten Staaten ein Novum.

Zudem hat man den Eindruck, dass die Banken dank der Steuerzahler wieder auf die Beine kamen, während aber die ausgeschütteten Boni im Finanzsektor  nicht wirklich kleiner geworden sind. Dies alles führt zu Ressentiments bei der Mittelklasse. Davon profitiert die Tea Party-Bewegung und nun auch  Occupy Wall Street, die amerikanische Bewegung der Empörten.

swissinfo.ch: Erschwert diese Polarisierung ihre Aufgabe?

M.S.: Uns interessieren die gesetzgebenden Verfahren bei gewissen Dossiers, die im Kongress debattiert werden. Darunter fällt auch das Doppelbesteuerungsabkommen, eine wichtige Säule des gesamten Abkommens zur Steuerfrage.

Es gibt tatsächlich Hindernisse, aber es sieht so aus, als gründeten sie eher im Zwist zwischen Demokraten und Republikanern als im Inhalt des Dossiers.   

swissinfo.ch: Welches sind die aufregenden und die frustrierenden Seiten im Beruf eines Diplomaten?

M.S.: Es gibt wenig Frustrationen. Ich habe Mühe, ein Beispiel zu nennen, und ich  meine dies ernst. Natürlich gibt es gewisse Dossiers, die mehr Zeit beanspruchen, bis eine Lösung gefunden wird, doch das gehört zum Beruf. Geduld ist eine Tugend und wir alle versuchen, uns in Geduld zu üben.
 
Es ist sicher viel schwieriger, die Beziehungen mit den Eltern und Freunden in der Schweiz zu unterhalten. Das Pflegen von Kontakten – das Networking – ist ein grosser Teil meines Jobs, ebenso das Organisieren von Anlässen in der Residenz oder in der Botschaft. Ich muss sagen, dass ich seit meinem Antritt vor mehr als einem Jahr noch keinen langweiligen Abend verbracht habe. Es ist immer sehr anregend.

Unsere Gäste sind extravertierte Leute, sie lieben es zu kommunizieren, sie brennen darauf, ihre Erfahrungen und Informationen weiterzugeben – dies ist ein sehr befriedigender Aspekt meines Berufes.

Der amtierende Schweizer Botschafter in den Vereinigten Staaten wurde 1955 in Menziken, im Kanton Aargau geboren. Er ist seit 28 Jahren mit einer Amerikanerin verheiratet, die auch das Schweizer Bürgerrecht hat.
 
Diplome. Er doktorierte an der Juristischen Fakultät der Universität Zürich und absolvierte ein Zusatzstudium an der Duke University Law School in Durham, North Carolina, das er mit einem Master abschloss.
 
Karriere. Er arbeitete zwei Jahre als Rechtsanwalt in einer Kanzlei in Phoenix, Arizona, bevor er 1988 in den Dienst des Departements für auswärtige Angelegenheiten trat.
 
Washington. Sein erster Posten als Botschafter.

Die Botschaft in Washington steht an zweiter Stelle hinter China, was die Ausstellung von Visas anbelangt: Sie beschäftigt 60 Angestellte gegenüber 75 in Beijng.
 
Anlässe. Die Botschaft organisiert jährlich rund 300 Anlässe allein in Washington; weitere 250 werden in Zusammenarbeit mit den Konsulaten im ganzen Land ausgerichtet.
 
Schweizer Abend. Der wichtigste Anlass in der Botschaft. 2011 waren 1200 Gäste geladen, ein Rekord seit seiner Einführung.
 
Publikum. In der Botschaft selbst und an verschiedenen Orten der Hauptstadt werden rund 10‘000 Besucher nicht nur aus dem diplomatischen Umfeld empfangen.

Netz. 5 Konsulate: Atlanta, New York, Chicago, Los Angeles und San Francisco, 23 Honorarkonsulate, eine Mission am Sitz der UNO in New York, ein Business Hub in  Chicago und die zwei Swissnex (Wissenschaftshäuser) in Boston und San Francisco.
 
Auslandschweizer. Man schätzt, dass mehr als 75’000 Schweizer und Schweizerinnen in den USA leben. Lediglich 4120 sind bei der Botschaft registriert.
 
(Source: ambassade de Suisse et Ministère américain du Commerce)

(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

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