Steuerpraktiken kratzen an Glaubwürdigkeit eines Ministers
Steueraffären bleiben der Schweiz treu. Derzeit sorgt die Ammann-Gruppe für Schlagzeilen, ein Berner Traditionsunternehmen, das eine Viertelmilliarde Franken jahrelang auf Steueroasen parkiert hatte. Die Affäre könnte dem Wirtschaftsminister gefährlich werden, der zur fraglichen Zeit die Unternehmung geleitet hatte.
Die Debatte ausgelöst hat ein Bericht von Ende Januar in der Sendung «Rundschau» von Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Deren Recherchen hatten ergeben, dass die Ammann-Gruppe mit Sitz im bernischen Langenthal bis 2007 Firmenvermögen von insgesamt über 250 Millionen Franken auf Offshore-Plätzen in Luxemburg und Jersey deponiert hatte, um Steuern zu optimieren. Brisant ist die Geschichte, weil Johann Schneider-Ammann, der in den fraglichen Jahren das Unternehmen leitete, seit 2010 Mitglied der Schweizer Regierung ist.
«Glücklich ein Land, das solche ‹Skandale› kennt», kommentiert die wirtschaftsnahe Neue Zürcher Zeitung(NZZ) mit einer Portion Ironie. «Bundesrat Johann Schneider Ammann war früher tatsächlich ein normaler Unternehmer, der Kosten sparen wollte. Und er ist ein normaler Mensch mit einem gewissen Hang zur Scheinheiligkeit – einem Fach, das zum gängigen Geschäftsmodell von Politikern und Journalisten gehört», schreibt die NZZ und weist daraufhin, dass viele andere schweizerische und ausländische Konzerne Offshore-Tochterfirmen gründeten, um Steuern zu optimieren.
Sogar die Nationalbank wollte «im Rahmen des Rettungspakets für die UBS von 2008 eine Spezialgesellschaft mit den UBS-Papieren auf den Cayman-Inseln gründen», hätte ein Aufschrei in der Politik dieses Vorhaben nicht vereitelt.
Wie viel «Substanz» war dran?
«Bisher haben weder die Rundschau noch andere Medien Belege für allfällige Gesetzesverstösse durch die Ammann-Gruppe beigebracht», schrieb die NZZ in der Ausgabe vom Vortag. Das Schweizer Steuerrecht verbietet Offshore-Gesellschaften wie jene der Firma Ammann tatsächlich nur, wenn es sich um reine Briefkastenfirmen handelt. Massgebend ist dabei, ob in diesen Gesellschaften relevante Aktivitäten mit Personal vor Ort stattfinden, oder – im Steuerjargon ausgedrückt – wie viel «Substanz» die Firma hat.
In der Sendung «Rundschau» bestätigte Bruno Knüsel, Chef der zuständigen Steuerbehörde des Kantons Bern, dass die Frage nach der Substanz von Offshore-Gesellschafen anhand von Bankauszügen, Tätigkeitsnachweisen, Handelsregister-Informationen, Miet- und Arbeitsverträgen geprüft werde. Für Abklärungen vor Ort hätten die Schweizer Behörden aber keine Befugnisse.
Dokumente der Firma Ammann, die der «Rundschau» vorliegen, liessen Zweifel aufkommen, ob das Vermögen der Gruppe substanziell in der Offshore-Gesellschaft verwaltet wurde, und veranlassten die Berner Steuerbehörde dazu, mit einer internen Untersuchung nochmals über die Bücher zu gehen.
Am Freitag hat die Ammann-Gruppe in einem Communiqué mitgeteilt, dass die Steuerverwaltung des Kantons Bern die Überprüfung abgeschlossen habe und «alle Veranlagungen der Ammann-Gruppe gesetzeskonform und in Ordnung» seien. Es gebe keine Sachverhaltselemente, die der Berner Steuerbehörde nicht schon früher offengelegt worden seien. Es werde aber eine Zweitmeinung bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung eingeholt werden.
Zur Ammann Group Holding AG mit Hauptsitz im bernischen Langenthal gehören 24 Konzerngesellschaften wie die Ammann Bau-Ausrüstung AG und die Avesco AG (Baumaschinen, Energiesysteme, Stapler und Anlagen), Immobilien, Finanzgesellschaften und Finanzbeteiligungen.
Die Gruppe erarbeitete 2012 mit rund 2900 Angestellten weltweit einen Nettoumsatz von 910 Millionen Franken.
Das international tätige Familienunternehmen besteht seit 1869. Seit der Übernahme der CEO-Funktion durch Schneider-Ammanns Sohn Hans-Christian Schneider am 1. Januar 2013 führt die 6. Generation der Unternehmerfamilie die Ammann Group.
Johann Schneider-Ammann hatte die Gruppe während 23 Jahren geführt, bis er vor drei Jahren in den Bundesrat gewählt wurde. Noch vor der Wahl hatte er die Leitung der Gruppe abgegeben und seine Nachfolge geregelt.
Der Sohn eines Emmentaler Tierarztes war Anfang der 1980er-Jahre als ETH-Elektroingenieur ins Geschäft seines Schwiegervaters Ulrich Ammann eingestiegen. Er internationalisierte und vergrösserte den Konzern.
Das Vermögen der Familie Schneider-Ammann soll sich laut der «Bilanz»-Liste der 300 reichsten Schweizer 2013 auf 500 bis 600 Millionen Franken belaufen.
Wirtschaftsminister gibt sich «gelassen»
Der Bundesrat hat bisher nicht persönlich Stellung zu den Medienberichten genommen, sondern in einem Communiqué nur mitgeteilt, dass alles stets legal gewesen sei: «Alle Gesetze wurden eingehalten», und alle Erträge aus den ausländischen Finanzgesellschaften seien stets der Firma zu Gute gekommen. Die Schweizer Steuerbehörden seien jederzeit über jeden Schritt im Bild gewesen.
Er werde zu allen angesprochenen Themen öffentlich Stellung nehmen, wenn die Arbeiten der Steuerbehörden abgeschlossen seien. Diesen sehe er mit «Gelassenheit» entgegen, liess er Mitte der Woche in einem weiteren Communiqué mitteilen.
Mit der zurückhaltenden Informationspraxis konnte sich Johann Schneider Ammann aber nicht aus der medialen Schusslinie nehmen, im Gegenteil: «Der Offshore Bundesrat muss sich erklären», fordert der Tages-Anzeiger und gibt sich mit viel Häme erstaunt, dass ausgerechnet der Patron alter Schule, der gute Mensch von Langenthal, zu Offshore-Konstrukten gegriffen habe, um Steuerkosten zu sparen.
Auch die Westschweizer Tageszeitungen Tribune de Genève und 24heures wollen ein Glaubwürdigkeitsproblem erkennen. Der Mann habe seine Bundesrats-Kandidatur auf dem Slogan «des guten Patrons» aufgebaut, der die Interessen des Werkplatzes Schweiz während der grössten Wirtschaftskrise verteidige. Und er sei sogar noch weitergegangen, als er wie ein Weltverbesserer gegen überbordende Boni wetterte.
Ins gleiche Horn stösst die in Freiburg erscheinende La Liberté: «In dieser Affäre macht die ethische Dimension betroffen. Denn ein Minister ist vor allem ein Diener des Staats.» Es sei merkwürdig, dass dieser gleiche Mann früher als Industriekapitän Mittel ausgeklügelt habe, um der Öffentlichkeit wertvolle Steuereinnahmen vorzuenthalten.
«Gegen Staaten mit Steueroasen»
Das Bild des «bürgerlichen Politikers mit Mass und Anstand» habe Schneider-Ammann selber gefördert, schreibt der Tages-Anzeiger und gräbt ein Zitat aus der Zeitschrift Volkswirtschaft von 2009 aus, als der Volkswirtschaftsminister an die Adresse der EU darauf pochte, dass «moralisierenden Staaten mit eigenen Steueroasen mit Nachdruck entgegenzutreten» sei. Es sei unlauter, so Schneider-Amann damals, dass bei ihnen «steuerfrei desertierte Billionen bunkerten… Während die Schweiz kooperiert und sich an internationale Verträge hält».
Diese Sätze habe Schneider-Ammann zu einem Zeitpunkt geschrieben, als er Millionen von Franken aus der Steueroase Jersey zurück in die Schweiz führte, so der Tages-Anzeiger, wo es mit der Berner Steuerbehörde zu einem Deal kam, welcher der Ammann-Gruppe weitere Steuerprivilegien bescherte.
Mit dieser Doppelmoral hat der Bundesrat nicht nur den Medien, sondern auch seinen politischen Gegnern einen Steilpass zugespielt. «Darf ein Politiker, der Steueroasen anprangert, das Steuerrecht bis an seine Grenzen ausreizen?», fragt der Tages-Anzeiger rhetorisch und lässt die Frage vom Grünen Nationalrat Balthasar Glättli beantworten: «Hätte man das damals gewusst, wäre er nicht gewählt worden.»
«Offshore-Konstrukte waren legitim»
Nachsichtiger gibt sich Ständerat Urs Schwaller von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), der dem Wirtschaftsminister zugesteht, dass früher Offshore-Konstrukte in der Gesellschaft mehrheitlich nicht als unmoralisch angesehen wurden: «Wenn die Geschäfte innerhalb des Erlaubten waren, muss man sie aus der Zeit heraus beurteilen und darf nicht die heutigen moralischen Massstäbe anlegen», sagte er gegenüber dem Tages-Anzeiger.
Hart ins Gericht geht die Sozialdemokratische Partei (SP): Margret Kiener Nellen, eine der schärfsten Kritikerinnen der Offshore-Finanzplätze, liess sich von der Schweiz am Sonntag mit den Worten zitieren: «Eigentlich muss man Johann Schneider-Ammann Merci sagen. Sein Fall zeigt auf, wie es läuft. Eine ganze Industrie von Treuhändern und Banken fördert genau solche Steuerparadies-Konstrukte seit Jahrzehnten aus der Schweiz heraus.»
Und der Gratiszeitung 20minuten sagte die SP-Nationalrätin: «Johann Schneider-Ammanns Glaubwürdigkeit ist dahin – die Luft ist sehr, sehr dünn geworden für ihn. …Unter den neuen Vorzeichen ist er aber kaum mehr tragbar im Bundesrat.» Kiener Nellen fordert: «Er muss sich öffentlich entschuldigen und deklarieren, wie viele Millionen dem Bund und dem Kanton durch seine Steuertricks entgangen sind.»
Eigene Partei im Rücken
Den Rücken gestärkt haben ihm bisher einige Exponenten der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und vor allem seine eigene, freisinnige Partei, (FDP.Die Liberalen). Deren Präsident Philipp Müller sagte gegenüber der Boulevard-Zeitung Blick: «Es gibt keinen Grund, an der Seriosität der Berner Steuerbehörden zu zweifeln. Die Ammann-Gruppe und ihr damaliger Verwaltungsratspräsident Johann Schneider-Ammann haben sich zu jedem Zeitpunkt korrekt und gesetzeskonform verhalten.»
Auch moralisch habe der ehemalige Patron korrekt gehandelt. «Moral ist ein sehr dehnbarer Begriff. Fakt ist, dass sich die Wertvorstellungen im finanziellen und wirtschaftlichen Bereich in den letzten Jahren gewandelt haben. Dieser Umstand trug dazu bei, dass sich Schneider-Ammann und sein Unternehmen dazu entschieden haben, die Offshore-Konstrukte aufzugeben», rechtfertigt Müller seinen Parteikollegen in der Regierung.
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