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«Hier ging der Plan nicht auf, dem Staat fehlt Geld»

Luzern am Abend
Luzern gelang es nicht, mit tiefen Steuern Unternehmen anzulocken. Keystone

Der Regisseur Reinhard Manz will den Schweizer Steuerwettbewerb und seine Folgen mit der Kamera einfangen. Mit swissinfo.ch sprach er insbesondere über Luzern, denn auch seine Dokumentation trägt den Arbeitstitel "Luzern – der Film".

Der Dokumentarfilmregisseur Reinhard Manz ist Auslandschweizer und Grenzgänger. Er lebt auf der deutschen Seite des Rheins und arbeitet in Basel. Für seine aktuelle Doku «Luzern – der Film» reist er häufig ins Zentrum der Schweiz. Der Kanton Luzern verfolgt eine Tiefsteuerpolitik, die reiche Einzelpersonen und Firmen anlocken soll. Anders als anderswo ist die Rechnung für Luzern nicht aufgegangen: Der Kanton muss sparen. Beamte arbeiten unbezahlt länger, soziale Leistungen werden beschränkt, Kulturgelder zusammengekürzt. Manz befasst sich mit einem der schweizerischsten Themen überhaupt: dem Steuerwettbewerb.

Ein Mann vor Containern
Dokumentarfilmregisseur Reinhard Manz. swissinfo.ch

swissinfo.ch: Herr Manz, Steuerwettbewerb ist ein gesamtschweizerisches Thema. Warum trägt Ihr Dokumentarfilm nicht den Titel «Schweiz – der Film»?

Reinhard Manz: «Luzern – der Film» ist nur der Arbeitstitel und der lautet so, weil eine Luzerner Initiantengruppe dahintersteht. Diese Kulturschaffenden sind selbst von Sparmassnahmen betroffen und überzeugt, dass sich das Thema mit einem Dokumentarfilm am besten darstellen lässt. 

Externer Inhalt

Luzern ist aber bloss Ausgangspunkt und Beispiel. Speziell an der Schweiz ist, dass die Kantone selbst die Steuerhoheit haben und so jeder für sich direkt mit anderen Ländern im Wettbewerb steht. In der Innerschweiz wütet das Rennen um die tiefsten Steuern besonders und innerhalb der Innerschweiz hat sich Luzern hervorgetan, weil die Regierung gesagt hat: Wir haben die tiefsten Unternehmensgewinnsteuern im Land. Wir sind top. Aber natürlich thematisiere ich auch internationalen Steuerwettbewerb.

swissinfo.ch: Sie betrachten Luzern also nicht für sich, sondern setzen sich auch mit nationaler Politik auseinander?

R.M.: Die Schweizerische Steuerpolitik muss momentan umsetzen, was die OECD von aussen vorgibt. Die Schweiz ist zwar Mitglied der OECD, aber hat trotzdem immer versucht, ihr Geschäftsmodell aufrechtzuerhalten. Früher mit dem Bankgeheimnis, jetzt mit neuen Instrumenten. Aber andere Länder wollen den Gewinn ihrer Produktion, Industrie und Gewerbe nicht einfach in der Schweiz versickern sehen. Sie hätten Anspruch darauf, dass bei ihnen erwirtschaftete Gewinne nicht einfach abwandern. Diese Verschiebung von Mitteln durch Steuerwettbewerb ist immer ein Thema in der Schweiz, Standortmarketing immer ein Argument. Manchmal will ein Kanton diese Steuerzahler anziehen; manchmal hat er Angst, dass sie abwandern.

swissinfo.ch: Und Luzern versucht neue Steuerzahler anzuziehen?
R.M.: 2010 senkte Luzern die Gewinnsteuern um einen Viertel; 2012 hat sie der Kanton dann nochmals halbiert. Die Idee dahinter ist, so viele Unternehmen anzulocken, dass man insgesamt trotzdem mehr einnimmt. Man will auf Kosten anderer leben. Im Kanton Luzern ist dieser Plan aber nicht aufgegangen: Die Einnahmen von Unternehmen sind niedriger als vor den Steuersenkungen. Der öffentlichen Hand fehlt Geld.

swissinfo.ch: Spüren das die Luzernerinnen und Luzerner im Alltag? Die Schweiz bleibt ja eine Wohlstandsinsel.
R.M.: Im Luzerner Parlament hat einer behauptet, in Italien müssen die Kinder ihr eigenes WC-Papier in die Schule bringen. Ob das stimmt oder nicht, sei mal dahingestellt: So drastisch ist es nicht. Aber trotzdem müssen alle Beamten unbezahlt länger arbeiten; Lehrerinnen und Lehrer jede Woche eine Lektion mehr unterrichten, was einer Lohnsenkung gleichkommt. Das private Schulgeld im Gymnasium wurde erhöht. In der Kultur hat man massiv gekürzt; die Schwelle für Krankenkassenzuschüsse wurde erhöht. Kürzlich wurde die Neuausschreibung des Putzpersonals beschlossen. Vielleicht stellt manche Schule dieselben Leute wieder ein, aber zu schlechteren Bedingungen und privatisiert. Für die Betroffenen sind das schwere Einschnitte. Und die spalten den Zusammenhalt: Die Enttäuschung der länger arbeitenden Lehrer kann man nicht in Zahlen fassen – am ehesten spürt man sie an den Protestaktionen. Gegen die Luzerner Steuerpolitik hat sich eine Protestbewegung gebildet. Sie nennt sich «Allianz für LebensqualitätExterner Link«. Auch die Regierung argumentiert mit Lebensqualität. Beiden Seiten geht es um Lebensqualität. Die Frage ist, was das ist und wie man sie erreicht.

Luzern
Luzern ist immer noch eine lebenswerte Stadt. © KEYSTONE / GAETAN BALLY

swissinfo.ch: Sie sprechen von Spaltung des Zusammenhalts, aber für Ihren Film – der aus dem Umfeld dieser Protestbewegung kommt – konnten sie mit Verantwortungsträgern und Politikern reden. Die Leute haben sich interviewen lassen, obwohl Sie als Kritiker gekommen sind.
R.M.: Die Gesprächsbereitschaft spricht für die demokratische Kultur. Man spricht mit mir, obwohl manche das Gefühl haben, dass ich aus der gegnerischen Ecke komme. Die Politiker hatten mein Vorhaben bereits gekannt, als sie meine Anfrage erhielten. Ich werde ernst genommen, denn «Luzern – der Film» wird als etwas betrachtet, das Rückhalt in der Bevölkerung geniesst. Nur zwei SVP-Politiker haben mir abgesagt, aber auch in dieser Partei habe ich jemand Gesprächsbereites gefunden.

swissinfo.ch: Ihr Film erscheint Anfang 2019, kurz vor den Wahlen in Luzern. Später im Jahr wählt die gesamte Schweiz ein neues Parlament. Ist Ihr Film als Wahlkampflokomotive für die Kritiker des Steuerwettbewerbs, also vor allem die Linke, geplant?
R.M.: Natürlich ist das Ziel, vor den Wahlen eine Diskussion über diese Themen in Gang zu setzen. Konkret planen wir das bei Vorführungen mit anschliessenden Gesprächen, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Ob es zu einer Lokomotive wird? Man wünscht es sich. Ich bin geprägt vom Videoaktivismus der 80er-Jahre, als Video noch eine Form der Gegenöffentlichkeit war und die Leute mit der Kamera auf die Strasse sind. Damals haben wir das wirklich gemacht: Filme als Mittel, um öffentliche Kommunikation anzuregen. Ich bin momentan in der Postproduktion und darum beschäftigt mich eigentlich mehr die Qualität. Zuerst muss «Luzern – der Film» überhaupt gut werden. Das ist sehr schwierig bei dem Thema.

swissinfo.ch: Über Steuerpolitik kann man ohne kompliziertes Vokabular kaum sprechen. Was war für Sie der Antrieb, sich in diese technische Welt zu begeben?

R.M.: Es ist ein zentrales Thema des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Es geht um Fragen, was dem Staat gehört, ob der Staat immer bloss der Gegner ist, der zu viel will, oder ob er auch etwas bietet, das man durchaus schätzen kann.

swissinfo.ch: Das tönt sehr staatstragend. Die 80er-Videobewegung, aus der Sie kommen, wollte provozieren. Wie macht man einen staatstragenden Film?
R.M.: Nicht unbedingt staatstragend, aber die Aufgabe dieses Films ist es, den Blick zu öffnen: Tiefe Steuern für Firmen, deren Namen nicht mal bekannt sind, werden als hochheilig betrachtet. Dass es andere Länder gibt, die einen berechtigten Anspruch hätten, wird ausgeklammert. Der Luzerner Bevölkerung, die unter den Ausgabenkürzungen leidet, wird erzählt, man müsse sparen. Es ist aber nie ganz klar, für was: Für was hat man mir den Lohn gekürzt? Im Mittelalter sparte man vielleicht auf eine neue Kathedrale. Das war konkret. Sparmassnahmen im Steuerwettbewerb sind abstrakt. Man soll für namentlich nicht bekannte Firmen, irgendwelche Handelsfirmen, sparen. Obwohl man weiss, dass unglaubliche Geldsummen um den Planeten kreisen, die immer dort landen, wo sie mit möglichst wenig Steuern davonkommen. Noch immer wird fast 30 Prozent des weltweiten Kapitals in der Schweiz verwaltet.

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