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Wenn das Wahlsystem zu Diskriminierung führt

Fahrräder parkiert vor Wahlplakaten
In den meisten Schweizer Kantonen können bei Wahlen in die Legislative auch "negative Präferenzen" geäussert werden. Das heisst, man kann Kandidierende von den Parteilisten streichen. Das kann zu Diskriminierung führen. Keystone

Das populärste Wahlsystem der Schweiz bietet die Möglichkeit, Kandidierende von einer Wahlliste zu streichen. Das führt zu Diskriminierung: Bestraft werden etwa Kandidierende mit ausländischen Nachnamen. Solche werden gegenüber jenen mit Schweizer Namen öfter gestrichen, wie eine Studie zeigt.

Personen, die ursprünglich aus dem Ausland stammen, machen rund einen Achtel der Schweizer Wählerschaft aus. Das entspricht 12,5%. Im Vergleich zu ihrer Grösse ist diese Gruppe der zugewanderten Schweizerinnen und Schweizer aber in den Parlamenten und Regierungen untervertreten.

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Streichen

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Auf vorgedruckten Wahlzetteln dürfen Namen von Hand gestrichen werden. Der Wahlzettel muss aber mindestens eine wählbare Person enthalten. Leere oder gestrichene Zeilen auf einem Wahlzettel gehen als Parteistimmen an die Partei, die oben auf der Liste aufgeführt ist. Sie werden Zusatzstimmen genannt. Gleichzeitiges Panaschieren, Kumulieren und Streichen ist erlaubt.

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Ein Faktor für diese Situation ist das diskriminierende Potenzial des am weitesten verbreiteten Wahlsystems der Schweiz. Dieses kommt auf allen drei Ebenen – national, kantonal, kommunal – zum Einsatz.

Wählende können auf der Kandidatenliste ihrer Partei nicht nur positive Präferenzen angeben, sondern auch negative. Das heisst, sie können ihre Favoriten wählen und missliebige Kandidierende von der Liste streichen.

Grosse Datenmenge

Nenad Stojanovic und Lea Portmann haben 45’000 Wahllisten durchforstet, die von der Wählerschaft 2014 anlässlich der Parlamentswahlen von sechs Zürcher Gemeinden abgeändert worden waren: Zürich, Winterthur, Adliswil, Bülach, Dietikon und Wädenswil.

Insgesamt gab es 90 Parteilisten mit 1633 Kandidierenden. Davon hatten rund 13% einen nicht-schweizerischen Nachnamen.

Nun zeigt eine StudieExterner Link der lokalen Wahlen in sechs Gemeinden des Kantons Zürich, dass es tatsächlich eine solche Diskriminierung gibt. Durchgeführt wurde die Untersuchung von Nenad StojanovicExterner Link, Forscher und Dozent in Politikwissenschaften an der Universität Luzern, und seiner Assistentin Lea PortmannExterner Link.

Alle gleich… diskriminiert

«Unter Berücksichtigung aller anderen möglichen Parameter», verlieren Kandidierende mit ausländisch klingenden Nachnamen wegen der Streichmöglichkeit «im Schnitt 1,4 Positionen auf den Listen gegenüber jenen mit Schweizer Nachnamen», sagt Stojanovic. Dies sei zwar «nicht enorm, reicht aber manchmal aus, dass ein Kandidat oder eine Kandidatin nicht gewählt wird», so der Politologe, der 1992 aus Bosnien in die Schweiz gekommen war.

Diese Diskriminierung wird wahrscheinlich in den Mittelpunkt von Debatten rücken, auch im Zusammenhang mit einer laufenden Unterschriftensammlung für eine PetitionExterner Link der Bewegung «Stimme der gewählten MigrantInnen für alle»Externer Link. Diese fordert Parteien und Wahlberechtigte auf, «die politische Teilhabe und die Integration der Menschen mit Wurzeln ausserhalb der Schweiz aktiv zu unterstützen».

Name auf einer Wahlliste wird durchgestrichen
Kumulieren, panaschieren, streichen: Die Wählerinnen und Wähler in der Schweiz können auch für einzelne Kandidaten stimmen, nicht nur für eine Parteiliste. Keystone

Weitere Studien

In der Zwischenzeit haben Stojanovic und Portmann ihre Analysen ausgeweitet. Gegenwärtig führen sie eine ähnliche Studie zu den Eidgenössischen Wahlen 2015 durch.

«Wir wollen beispielsweise sehen, ob es Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt, oder zwischen den Sprachregionen. Wir sind bereits auf einem guten Weg», sagt Stojanovic. Die Resultate sollen vor den nächsten nationalen Wahlen vom Herbst 2019 vorliegen.

Geschlechtsspezifische Diskriminierung bei der Streichung von Kandidierenden gab es laut der bereits veröffentlichten Studie bei den Kommunalwahlen 2014 im Kanton Zürich keine. Benachteiligung von Frauen könnte aber in anderen Kantonen durchaus der Fall gewesen sein. Um dies herauszufinden, brauche es vertiefte Studien, so die Experten.

Eines aber ist bereits sicher: Das Wahlsystem mit der Streichmöglichkeit von Kandidierenden begünstigt diskriminierendes Verhalten nicht nur gegenüber Mitbürgern mit ausländischen Namen, sondern gegenüber weiteren Gruppen. So habe sich in der Zürcher Studie gezeigt, dass in unqualifizierten Berufen tätige Kandidierende häufiger gestrichen wurden als solche, die in angesehenen Berufen tätig waren.

National untervertreten

Untersuchungen von Nenad Stojanovic und Lea Portmann haben gezeigt, dass der Anteil der Mitglieder der nationalen Räte mit Familiennamen, die bis 1940 nicht schweizerisch waren, bei den letzten Wahlen im Oktober 2015 im Nationalrat (Volkskammer) 5,5% und im Ständerat (Kantonskammer) 6,5% betrug.

Damit liegt ihre Vertretung im Parlament rund 50% unter ihrem tatsächlichen Anteil an den aus dem Ausland stammenden Schweizer Stimmberechtigten von 12,5%.

Bezeichnend dafür ist, dass Aussenminister Ignazio CassisExterner Link, der seit November letzten Jahres im Amt ist, das erste eingebürgerte Mitglied der Landesregierung (Bundesrat) ist. Der Tessiner ist gebürtiger Italiener.

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(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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