Streit um Siedlungsflächen in der Schweiz
Die Zersiedelung der Landschaft nimmt zu, der Boden in der Schweiz wird immer rarer. Regierung und Parlament wollen dem einen Riegel schieben. Doch damit sind nicht alle einverstanden: Ein Referendum bringt nun das Raumplanungsgesetz vors Volk.
Das Fass zum Überlaufen gebracht hatte ein amerikanischer Konzern. Der Biotech-Riese Amgen wollte 2005 im Grossen Moos, der Gemüsekammer der Schweiz, auf der grünen Wiese einen Industriekomplex aufstellen.
Das Projekt im Kanton Freiburg kam zwar nicht zustande, doch der Samen für die Landschafts-Initiative war gesät. Die Umwelt-Organisation Pro Natura hatte sich bereits seit längerer Zeit über die ihrer Meinung nach unbefriedigende Umsetzung des geltenden Raumplanungsgesetzes geärgert.
Dieses Gesetz von 1980 verpflichtet die Kantone zwar dazu, verschiedene Massnahmen zur Steuerung der Siedlungsentwicklung durchzusetzen, doch wurde es von den meisten Kantonen kaum umgesetzt. Die Initiative forderte daher, dass die Gesamtfläche der schweizerischen Bauzonen während 20 Jahren nicht vergrössert werden soll.
Pro Natura suchte nach Unterstützung in diversen Parteien und konnte schliesslich eine breite Koalition für ihr Anliegen gewinnen.
Die Eidgenössische Volksinitiative «Raum für Mensch und Natur (Landschafts-Initiative)», die 2008 erfolgreich bei der Bundeskanzlei eingereicht wurde, kam mit 109’422 gültigen Unterschriften zu Stande.
Mehr
Referendum
Auftritt Raumplanungsgesetz
Der Bundesrat beschloss darauf, diesem Volksbegehren einen indirekten Gegenvorschlag in Form einer Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG) gegenüberzustellen. Das Parlament hiess diese nach einigem Hin und Her schliesslich im Sommer 2012 deutlich gut.
Dies führte dazu, dass die Landschafts-Initiative bedingt zurückgezogen wurde. Das heisst, sie kommt nur dann zur Abstimmung, wenn die Gesetzesrevision nicht in Kraft treten sollte.
Da der Schweizerische Gewerbeverband mit dem geänderten RPG nicht einverstanden war, ergriff er das Referendum, das mit 69’277 gültigen Unterschriften zustande kam. Daher befindet nun das Stimmvolk über die Gesetzesänderung.
Rückzonungen und Mehrwert-Abgaben
Das revidierte RPG hat zum Ziel, die zulässigen Bauland-Reserven in den Kantonen auf den Bedarf von 15 Jahren zu beschränken. Diese und die Gemeinden sollen dazu verpflichtet werden, zu grosszügig bemessene Bauzonen zu verkleinern (Rückzonung) und deren Eigentümer zu entschädigen.
Zudem sollen Eigentümer, deren Land neu eingezont wird (so genannter Planungsvorteil), eine Abgabe von mindestens 20 Prozent der Wertsteigerung entrichten müssen, sollte ihr Grundstück bebaut oder weiterverkauft werden. Und der Staat soll Eigentümer zum Bauen innert einer gewissen Frist verpflichten können – mit der Androhung von Sanktionen.
Folgende Parteien und Organisationen unterstützen die Gesetzesrevision (Stand Januar 2013):
Sozialdemokratische Partei (SP), Grüne Partei, Grünliberale Partei (GLP), Pro Natura, Schweizerische Vereinigung für Landesplanung (VLP).
Folgende Parteien und Organisationen sind gegen das revidierte RPG:
Schweizerische Volkspartei (SVP), Schweizerischer Gewerbeverband (SGV), Hauseigentümerverband Schweiz (HEV), Schweizerischer Verband der Immobilienwirtschaft (SVIT), Autogewerbeverband der Schweiz (AGVS).
Im Parlament wurde das revidierte RPG im Nationalrat mit 108 zu 77 Stimmen bei 10 Enthaltungen angenommen, im Ständerat mit 30 zu 10 Stimmen bei einer Enthaltung.
(Quelle: Parlament)
Reicht verdichtetes Bauen aus?
«Die Raumplanungs-Politik in der Schweiz ist überhaupt nicht nachhaltig», sagt Beat Jans, Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei (SP) und Befürworter des revidierten RPG. «Die Schweizer Landschaft wird kaputtgemacht. Wir bauen zu viel, an den falschen Orten und die falschen Dinge. Es muss dringend etwas geändert werden.»
Die Kantone würden mit der Gesetzesrevision die nötigen Instrumente erhalten, damit sie «verpflichtet werden, endlich das Gesetz einzuhalten». Konkret sehe die Revision vor, dass weniger Bauzonen ausgeschieden würden, dass verdichteter und konzentrierter gebaut werde.
Ein Punkt, den auch die Gegner begrüssen, wie Jean-François Rime, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV), erklärt. Sein Verband setze sich für die Revitalisierung von Dorf- und Stadtzentren ein.
Verdichtetes Bauen habe allerdings auch seine Grenzen, ergänzt er. In den nächsten 20 Jahren werde die Schweizer Wohnbevölkerung von 8 auf 9,5 Millionen Menschen ansteigen. «Mit höheren Gebäuden oder Sanierungen von alten Gebäuden werden wir nicht 1,5 Millionen zusätzliche Einwohner unterbringen können.»
Von den gut 69’000 gültigen Unterschriften gegen das Raumplanungsgesetz stammten fast 32’000 aus dem Kanton Wallis.
Dieser Tourismus-Kanton im Südwesten der Schweiz verfügt gemäss Angaben des Bundesamts für Raumplanung (ARE) über die grösste Fläche an Bauzonen pro Einwohner sowie den höchsten Anteil an unüberbauten Bauzonen (Baureserven). Er wäre deshalb von der Revision besonders betroffen.
Der Widerstand hatte noch zugenommen, nachdem am 11. März 2012 die Zweitwohnungs-Initiative (Einschränkung des Zweitwohnungs-Baus) vom Stimmvolk angenommen worden war.
Der Kanton erwog auch, das Kantons-Referendum zu ergreifen, mit dem mindestens acht Kantone ein Bundesgesetz an die Urne bringen können. Kein anderer Kanton mochte sich aber dem Wallis anschliessen.
Im Oktober 2008 hatte das ARE die erste amtliche Bauzonenstatistik der Schweiz publiziert. Diese stellte für die gesamte Schweiz einen «ungebrochenen Trend zum hohen Bodenverbrauch» fest.
Die Baulandreserven böten Platz für 1,4 bis 2,1 Millionen Menschen und seien, angesichts der Bevölkerungsentwicklung, zu gross und lägen oft am falschen Ort, hiess es.
Mehrere Kampfzonen
Der SGV sei aus drei konkreten Gründen gegen die Gesetzesänderung, erklärt Rime: «Erstens werden die Kantone Grundstücke rückzonen müssen, 18’000 Hektar. Das ist eine Riesenfläche. Zweitens gibt es in diesem Gesetz eine Baupflicht: Jemand, der Landreserven hat, könnte verpflichtet werden, zu bauen. Und drittens gibt es eine Mehrwert-Abschöpfung, das bedeutet, eine neue Steuer.»
Die Mehrwert-Abgabe sei bereits im heutigen Gesetz festgeschrieben, kontert Jans. Und es sei «mehr als recht, dass wenn man Menschen quasi über Nacht zu Millionären macht, ein Teil dieses Geldes auch für die Raumplanung, die Landschaft zur Seite gelegt wird».
«Diese Steuereinnahmen würden nicht einmal genügen, um die Rückzonungen zu finanzieren», antwortet Rime. Zudem sei diese Steuer nicht sein Hauptargument gegen die Revision, sondern das Problem der Rückzonungen und der Baupflicht. Diese bodenrechtlichen Zwangsmassnahmen würden zu einer weiteren Verknappung von Bauland führen.
Die Schweiz habe «etwa dreimal so viele Bauzonen wie wir tatsächlich brauchen bis ins Jahr 2030», sagt Jans. Das führe dazu, dass nicht dort gebaut werde, «wo idealerweise gebaut werden sollte». Mit der RPG-Revision könnten die Kantone nun bestimmen, dass Überbauungen rascher erstellt würden und ansonsten eine Bauzone wieder ausgezont werden könne.
Angriff auf Föderalismus?
Schliesslich befürchten die Gegner, dass durch das revidierte Gesetz Kompetenzen von den Kantonen an den Bund gehen würden. «Wenn es ein Thema gibt, in dem der Föderalismus hundertprozentig funktioniert, ist es die Raumplanung», sagt Jean-François Rime. «Gemeinden und Kantone kennen die lokalen Bedingungen und dürfen auch selber entscheiden, was sie wollen, und was nicht.»
Von einer Verschiebung der Kompetenzen könne keine Rede sein, entgegnet Beat Jans. «Sollte das Raumplanungsgesetz allerdings abgelehnt werden, dann kommt automatisch die Landschafts-Initiative zur Abstimmung, und dort werden die Kompetenzen dann klar verschoben.» Er bevorzuge den Gegenvorschlag, werde sich aber «vehement für die Initiative einsetzen, sollte das RPG abgelehnt werden».
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch