Weniger Geschlechterstereotype, aber auch weniger Medienpräsenz für Frauen
Die Schweiz und nicht die USA wird 2017 eine der erfahrensten Politikerinnen als Präsidentin haben. Dennoch erhalten Männer, die für einen Sitz im Schweizer Parlament kandidieren, mehr Medienpräsenz als Kandidatinnen.
Die Medienpräsenz zählt zu den zentralen Faktoren für den Wahlerfolg von Politikerinnen und Politikern, denn die meisten Leute informieren sich via Medien über Politik.
Eine vom Bund in Auftrag gegebene Studie, die im Oktober 2016 publiziert wurde, kam zum Schluss, dass weibliche Kandidaten im Vergleich zu den männlichen Bewerbern im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen 2015 in den Medien untervertreten waren.
Ein positiver Aspekt ist allerdings, dass – zumindest in diesem Wahlkampf – kaum sexistische Stereotype erschienen sind. Die Medienberichterstattung zeichnete sich durch eine erstaunliche Absenz von Kommentaren über das Aussehen oder das Privatleben der Kandidatinnen aus.
Kontrast zu anderen Ländern
Geschlechtsspezifische Vorurteile und Medienpräsenz gehörten während des Präsidentschafts-Wahlkampfs 2016 zwischen Hillary Clinton und Donald Trump zu den Top-Themen in den USA.
Gemäss der vom Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) unterstützten Studie der Universität Freiburg wurden Männer und Frauen im Wahlkampf in den meisten Fällen «auf identische Art und Weise» dargestellt. Allerdings betonten die Forscher auch, dass die Frauen noch immer deutlich untervertreten seien.
Zur Studie
Die Studie » Gender und Medien im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen 2015″Externer Link von Manuel Puppis, Philomen Schönhagen, und Stephanie Fiechtner von der Universität Freiburg wurde im Oktober 2016 publiziert.
Die Untersuchung entstand im Auftrag der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen (EFK), des Bundesamts für Kommunikation (BAKOM) sowie der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR).
«Die Untervertretung von Kandidatinnen für das Parlament hatte sich in der Vergangenheit deutlich gezeigt. Unsere Studie ist die erste seit 12 Jahren, also erwarteten wir eine Verbesserung», sagte Manuel Puppis, einer der Co-Autoren der Studie, gegenüber swissinfo.ch.
Auf der anderen Seite scheint die Schweiz in Sachen Vermeidung geschlechtsspezifischer Merkmale in den Medien weiter zu sein als andere Länder in Europa und Nordamerika. Internationale Studien zeigen, dass die Medienpräsenz in diesen Ländern mengenmässig ausgewogener ist, Stereotypen jedoch ziemlich häufig vorkommen.
«Man kann sagen, dass Kandidatinnen, die es in der Schweiz in die Medien schaffen, gleich behandelt werden. Wir haben also eine Verbesserung bei einem der Gleichstellungs-Aspekte, beim anderen jedoch nicht», so Puppis.
Stark, rational, authentisch
Für ihre Studie hatten Puppis und seine Kollegen Artikel über die Kandidierenden für die Wahlen 2015 in die beiden Parlamentskammern analysiert.
Der schriftliche Inhalt stammte von 17 verschiedenen Medienquellen der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Regionen der Schweiz. Die Forschenden untersuchten zudem Hunderte von Bildern, die in den Artikeln publiziert wurden, sowie Audio- und Videoinhalte der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR, dem Mutterhaus von swissinfo.ch.
Als erstes fiel den Experten auf, dass nur ein sehr kleiner Anteil der Kandidierenden, ob männlich oder weiblich, in den Printmedien erwähnt wurde: In der deutschsprachigen Region waren es 9%, in der französischen 4% und in der italienischen gerade noch 2%.
Bei jenen, die es in die Medien schafften, überwogen die männlichen Kandidaten jedoch klar: 76% der Berichterstattung während des Wahlkampfs entfiel auf Männer. Kandidatinnen, die auf den Wählerlisten 35% ausmachten, kamen auf 24% bei der gesamten Berichterstattung.
Auf der anderen Seite fanden die Forschenden keine Themen oder Gebiete, die dem einen oder anderen Geschlecht öfter zugeschrieben wurden.
Emotionale und psychologische Begriffe wie «stark, rational, kompetent, aktiv und authentisch» wurden zumindest in Print- und Onlinemedien ebenso oft für Frauen wie für Männer verwendet.
Auch die Diskussion über das Privatleben der Kandidierenden war «quasi inexistent», ebenso das Aussehen, das lediglich bei 1-3% der Bewerber erwähnt wurde.
Heisst das nun, dass die Genderbezüge in den Schweizer Medien am Verschwinden sind? «Das geht nicht so schnell», meint Puppis. Geschlechter-Vorurteile spielten noch immer eine grosse Rolle bei anderen Arten von Medien, wie etwa in Unterhaltungs-Programmen. Ausserdem seien Wahlkampagnen «ein Sonderfall», weil es sich um politische Informationen handle.
«Es gibt keine Studien, welche die Geschlechter-Unterschiede bei der regulären politischen Berichterstattung untersucht haben. Es könnte also sein, dass Medienunternehmen Kampagnen anders behandeln», sagt Puppis. «Dennoch würde ich sagen, dass es ein positives Zeichen ist, wenn die Medien bei der Wahlberichterstattung in Sachen Genderfragen offenbar sensibel reagieren.»
Berühmte Gesichter
Man könnte nun vermuten, die Medien seien für die Untervertretung von Kandidatinnen bei der Schweizer Berichterstattung über die Parlamentswahlen verantwortlich. Laut Puppis wäre das jedoch ein Fehler: «Aufgrund unserer Ergebnisse können wir nicht schliessen, dass die Medien eine grosse Rolle bei der Untervertretung der Frauen spielen», sagt er.
Im Gegenteil neigten die Medien wenig überraschend dazu, auf bekannte und erfolgreiche Kandidaten zu setzen. Entsprechend gäbe es also eine grössere Medienpräsenz von Frauen, wenn mehr von ihnen etwa Parteipräsidien oder andere hohe Posten besetzen würden.
Jenseits des Teichs
Anlässlich der 5. Präsidentschafts-Debatte der Demokratischen Partei der USA im Februar 2016 schrieb die Kommunikations-Forscherin Nina M. Lozano-Reich in der Huffington PostExterner Link: «Was auch immer Sie von Hillary und ihren Positionen halten. Es ist unbestritten, dass in dieser Wahl, wie bereits 2008, die öffentliche Wahrnehmung ihrer politischen Person durch die Rolle der Medien bei der Bewahrung von Doppelmoral und unverhohlenem Sexismus besudelt wird.»
Andere Experten sehen dies allerdings ziemlich anders. In einem Artikel der Washington PostExterner Link vom Mai 2016 schrieben die Polit-Experten und Autoren Danny Hayes und Jennifer Lawless, die Geschlechterfrage werde in der Berichterstattung zur Präsidentschaftskampagne weit überbewertet.
«Gemäss unserer Untersuchung sind 60% der Amerikaner der Ansicht, dass die Medien Frauen sexistisch behandeln….Aber sie liegen falsch…Die grosse Mehrheit der Frauen, die kandidieren, werden sowohl von den Medien wie auch vom Stimmvolk nicht anders behandelt als Männer. Frauen sind nicht untervertreten wegen dem, was während der Kampagne passiert, sondern weil sie weniger dazu geeignet sind zu gewinnen.»
Haben Sie in der Polit-Berichterstattung in Ihrem Land auch schon Geschlechterklischees beobachtet? Diskutieren Sie mit!
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)
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