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Parlament gibt grünes Licht für Covid-Tracing-App

App SwissCovid
Die App "SwissCovid" befindet sich seit dem 25. Mai in einer Testphase, an der unter anderem Freiwillige aus der Bundesverwaltung, der Armee, den Spitälern und den Eidgenössischen Technischen Hochschulen teilnehmen. Keystone / Laurent Gillieron

Die Schweiz gehört zu den ersten Ländern in Europa, die bis Ende Juni eine Smartphone-App einführen werden, um enge Kontakte mit Menschen zu identifizieren, die sich mit Sars-CoV-2 infiziert haben. Das Parlament hat die gesetzlichen Grundlagen für eine App genehmigt, welche die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer gewähren soll.

Die Schweiz konnte die Coronavirus-Epidemie innerhalb weniger Monate erfolgreich eindämmen: Heute gibt es nur noch etwa zehn bis zwanzig bestätigte Neuinfektionen pro Tag. Im März waren es täglich um die tausend Personen. Die schrittweise Lockerung der Eindämmungsmassnahmen und die bevorstehende Wiederöffnung der Grenzen könnte jedoch eine erneute Ausbreitung des Virus begünstigen.

Ein wichtiges Instrument, um die Risiken einer zweiten Welle von Sars-CoV-2 zu reduzieren, könnte deshalb die App «SwissCovid» sein. Dank des Rückgangs der Infektionsfälle ist es nun leichter geworden, die Übertragungsketten zu rekonstruieren und weitere Infektionen einzugrenzen.

Nach dem Ständerat verabschiedete am Montagabend auch der Nationalrat (grosse Parlamentskammer) mit überwältigender Mehrheit die gesetzliche Grundlage für die Einführung der neuen App bis Ende Juni. Die Gesetzgebung regelt mehrere offene Fragen, angefangen beim Datenschutz und der Privatsphäre.

Wie wird die neue App benutzt?

«SwissCovid» soll als Ergänzung zur «konventionellen» Verfolgung von Ansteckungen dienen. Bereits jetzt rufen die kantonalen Behörden, wenn ein neuer Fall gemeldet wird, die infizierte Person an, um deren jüngste Kontaktdaten zu rekonstruieren. Die betroffenen Personen werden dann vor der Möglichkeit einer Ansteckung gewarnt und gebeten, isoliert zu bleiben oder im Fall von Symptomen eine medizinische Untersuchung einzuleiten.

Die Benutzung der App ist freiwillig. Damit kann allen, die sich während eines Tages mindestens 15 Minuten lang in einer Entfernung von weniger als zwei Metern von einer infizierten Person aufgehalten haben, schnell die Möglichkeit einer Infektion gemeldet werden.

Wer so alarmiert wurde, kann sich gleich an die in der App angegebene Hotline wenden, um sich informieren zu lassen, wie nun vorgegangen werden soll, um im Fall einer Ansteckung eine weitere Übertragung des Virus zu vermeiden und selber wieder gesund zu werden.

Die App biete noch einen zusätzlichen Vorteil, sagte Gesundheitsminister Alain Berset während der Debatte im Plenum: «Damit können Benutzerinnen und Benutzer auch dann gewarnt werden, wenn sie mit infizierten Personen in Kontakt gekommen sind, die sie nicht kennen. Zum Beispiel mit einer Person, die ihnen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in einem Restaurant etwas nah gekommen ist. Sie ist daher eine echte Ergänzung zur klassischen Methode, und kein Ersatz für diese.»

Wie funktioniert «SwissCovid»?

Die App funktioniert über den Datenübertragungs-Standard Bluetooth und kann damit die Anwesenheit anderer Benutzerinnen und Benutzer in der Nähe erkennen, welche die App ebenfalls auf ihrem Mobiltelefon installiert haben. Sie kann kostenlos auf die meisten Smartphones (Android und iPhone) installiert werden.

Dieses System ist in der Lage, sowohl die Entfernung als auch die Dauer von nahen Kontakten zu erfassen. Natürlich kann die App aber nicht erkennen, ob sich möglicherweise eine Trennwand zwischen den beiden Personen befand oder ob sie beide Masken trugen.

Wenn eine Person positiv auf das Coronavirus getestet wurde, wird sie künftig durch den kantonalen Sanitätsdienst kontaktiert und gefragt, ob sie «SwissCovid» benutzt. Ist dies der Fall, erhält die betroffene Person einen Aktivierungscode, mit dem sie anonym und freiwillig andere Benutzer informieren kann, die während des Infektionszeitraums in engem Kontakt mit ihr gestanden haben. Letztere werden daher nicht wissen, wer die Informationen in Gang gebracht hat. Sie werden lediglich über den Tag informiert, an dem die potenzielle Infektion aufgetreten ist (aber nicht über Ort und Zeit).

Für die Entwicklung der App verantwortlich sind das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT), die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen Zürich und Lausanne sowie die Schweizer Firma Ubique.

Ganz schweizerisch ist «SwissCovid» aber nicht: Die App nutzt die Schnittstelle von Apple oder Google, die es erlaubt, die Entfernung zwischen zwei Smartphones genauer abzuschätzen und den Energieverbrauch der Bluetooth-Verbindung zu reduzieren. Zur Bewältigung des hohen Kontaktaufkommens werden Server der Bundesrechenzentren genutzt, aber auch solche von Amazon Web Services in Deutschland.

Wie steht es um den Datenschutz?

Die Daten, welche die App sammelt, enthalten keine Informationen über die Identität der Nutzenden, deren geographischen Standort oder das verwendete Mobiltelefon. Mit der Bluetooth-Kontaktaufnahme kann nur festgestellt werden, ob sich ein Mobiltelefon in der Nähe eines anderen befindet.

Im Fall einer Annäherung tauschen die Mobiltelefone lediglich einen verschlüsselten Code innerhalb der App aus. Dieser wird lokal auf den Smartphones gespeichert und nach 21 Tagen automatisch gelöscht.

Regierung und Parlament betonen, dass die Informationen nicht zentral, sondern nur im Speicher der Mobiltelefone gespeichert werden. Dies soll dazu beitragen, Risiken im Zusammenhang mit dem Schutz persönlicher Daten und der Privatsphäre zu vermeiden. An der Entwicklung der App beteiligt waren auch der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte – der das System zudem beaufsichtigen wird – und die Nationale Ethikkommission.

In der Debatte im Nationalrat lobten mehrere Abgeordnete die von der Regierung vorgeschlagene Lösung. Sie wiesen aber auch darauf hin, dass dieses neue staatliche System zur Überwachung von Coronavirus-Fällen keinesfalls den Weg für eine künftige Einführung von Bürgerüberwachungs-Systemen ebnen dürfe.

«Das Parlament bereitet derzeit die Schaffung der rechtlichen Grundlagen für die Einrichtung eines staatlichen Informationssystems vor, das Bewegungen, Orte, Aufenthaltsdauer und Begegnungen im gesellschaftlichen Leben aufzeichnen soll», sagte Thomas de Courten, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP). «Das erinnert mich an George Orwell und ‹1984›, und das macht mir ein wenig Angst.»

Gesundheitsminister Berset beruhigte das Parlament und erinnerte unter anderem an den freiwilligen Charakter dieser App. Diesen wolle die Regierung durch die Einführung einer besonderen Strafbestimmung garantieren. Demnach soll niemand von Behörden, Arbeitgebern oder Privatpersonen diskriminiert werden, weil sie oder er die App nicht nutzen will. Auch sollen jene nicht benachteiligt werden, die sie installiert haben.

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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