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Syrische Opposition ringt um Einheit

Der neue syrische Nationale Rat besteht aus Gruppen, die "klar in Opposition" zum Assad-Regime stehen. Keystone

Der syrische Nationale (Übergangs-)Rat ist auch von einem in der Schweiz lebenden Syrer, dem Oppositionellen Nidal Darwish, mitbegründet worden. Dieser Rat dient als gemeinsame Plattform gegen den amtierenden Präsidenten Baschar al Assad.

Gegenüber swissinfo.ch erklärt Darwish Ziel und Zweck dieses Rates und schätzt dessen Chancen ein. Etliche Versuche, die verschiedenen Gruppierungen der syrischen Opposition unter einen Hut zu bringen, sind bislang gescheitert.

Darwish, der Anfang Oktober in Istanbul an der Gründungsversammlung des syrischen Nationalen Rats teilnahm, ist Mitglied des Politbüros der Syrian Revolution General Commission (SRGC). Sie umfasst eine Koalition von 40 syrischen Oppositionsgruppen.

Die regierungsfeindlichen Proteste in Syrien hatten nach brutalen Sanktionen durch das Regime in Damaskus im letzten März  begonnen.

swissinfo.ch: Wie schätzen Sie die Gründung des Nationalen Rates innerhalb der syrischen Revolution ein?

Nidal Darwish: Es handelt sich sicher um einen wichtigen Schritt, aber er kam spät zustande. Monate nach ihrem Ausbrechen muss die Revolution ihre Ziele nun mit einer klaren politischen Richtung versehen, sowohl innerhalb des Landes als auch gegenüber Aussen.

Die Verspätung ist darauf zurückzuführen, dass sich die Opposition im In- und Ausland viel Zeit nahm und zahlreiche Konferenzen und Initiativen lanciert wurden.

swissinfo.ch: Sie sagen, dieser Schritt sei spät erfolgt. Was war der ausschlaggebende Grund, sich zusammenzuschliessen?

N.D.: Der Hauptgrund der Verspätung liegt darin, dass man sich in den vergangenen Monaten nicht gefunden hat. Das hatte negative Auswirkungen auf die revolutionären Aktivitäten und auf den Druck auf das syrische Regime. Deshalb kam auch die arabische und internationale Reaktion so spät.

Wichtigster ausgleichender Faktor war die SRGC. Diese Kommission arbeitete auf eine Einigung der politischen Kräfte hin und verlieh ihnen somit direkte und klare Legitimität.

swissinfo.ch: Legitimität ergibt sich üblicherweise aus dem Miteinbezug aller Kräfte in den politischen Prozess. Mehr oder weniger begründete Ängste bestehen jedoch bezüglich des Ausschlusses einiger Gruppen.

N.D.: Der Schlussbericht zur Gründung des Nationalen Rates besagt klar, dass der Rat offen bleibt für Gruppen, die mitmachen wollen. Die vorbereitenden Dialoge hatten vorerst die wichtigsten Gruppierungen in- und ausserhalb Syriens umfasst.

Ich spreche dabei auch von der (verbotenen) Muslimbrüderschaft, die bei den vorbereitenden Gesprächen mit dabei war. Der Nationale Rat ist offen für alle politischen Gruppen und Ausrichtungen, die sich zur Opposition gegen das derzeitige Regime in Syrien entschlossen haben und die Grundsätze und Ziele der syrischen Revolution unterstützen.

swissinfo.ch: Es ist aber kein Geheimnis, dass es Bedenken bezüglich Vorherrschaft von Islamisten oder Fundamentalisten gibt. Inwieweit ist dies begründet?

N.D.: Erstens ist es klar, dass die syrische Revolution weder religiös noch sektiererisch noch national oder ideologisch beherrscht ist. Sie ist eine Volksrevolution und spiegelt den Wunsch der Syrer nach Freiheit gegenüber einem despotischen System, welches das Land seit mehr als einem halben Jahrhundert kontrolliert.

Zweitens handelt es sich beim Nationalen Rat um eine Plattform, die allen Strömungen, die in- und ausserhalb Syriens existieren, Raum gibt. Gemeint sind Unabhängige und Patrioten sowie die Kräfte der Damaszener Deklaration, einer demokratischen Bewegung, die 2000 und 2001 gegründet wurde und die syrische Opposition umfasst.

swissinfo.ch: Eine der ersten Forderungen, die gleich nach der Gründung des Rates aufkam, betraf den Schutz von Zivilisten. Heisst das, Sie würden auch einen ausländischen Eingriff akzeptieren?

N.D.: Die SRG-Commission sprach sich für Interventionen aus dem Ausland aus.

Das syrische Regime benutzt schwere Waffen und setzt sie gegen unbewaffnete Zivilisten im Inland ein. Syrien ist jedoch Mitglied der Vereinten Nationen und hat somit wesentliche Verpflichtungen zu erfüllen. Deshalb hat die internationale Gemeinschaft auch Verantwortung gegenüber dem syrischen Volk, das verteidigt werden muss.

Es geht um die Anwendung des siebten Kapitels der UNO-Charta, besonders des Artikels 41 bezüglich des Schutzes von Zivilpersonen und der Forderung nach einer Flugverbotszone für den Schutz von Demonstrierenden und unbewaffnete Zivilisten.

Das ist wichtig, weil das Regime jüngst auch begonnen hat, Flugzeuge und Helikopter in mehr als einer Region des Landes einzusetzen.

swissinfo.ch: Die syrische Gemeinschaft in der Schweiz hat die Schweizer Behörden dazu aufgerufen, aktiv zu werden. Hat die Schweiz darauf reagiert? Haben Sie vor, Bern zu fragen, ob es den Nationalen Rat anerkennt?

N.D.: Tatsächlich hat die Schweizer Regierung kürzlich einige Massnahmen ergriffen. Und sie erwägt, diese zu verschärfen.

Eine davon ist die Verschärfung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Syrien. Das war ein wichtiger Faktor. Eine andere betrifft die diplomatischen Beziehungen, bei denen die Schweiz auch gehandelt hat (die Schweiz hat im August den Botschafter aus Damaskus abgezogen).

Nach der Gründung des SNC hoffen wir, dass die Schweiz den Rat als politische Stimme der Revolution anerkennt, die in Zukunft darauf hinarbeitet, die Legitimität des Regimes auf internationalem Niveau aufzuheben.

Von swissinfo.ch angefragt, ob die Schweiz den neuen syrischen Nationalen Rat anerkenne, antwortete das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), die Schweiz anerkenne Staaten, nicht Regierungen.

«Die Schweiz hat mehrmals die systematische Verletzung der Menschenrechte der Zivilbevölkerung durch syrische Ordnungskräfte verurteilt» sagte eine Sprecherin.

«Die Schweiz heisst jede Initiative gut, die daraufhin zielt, die fundamentalen Rechte der syrischen Bevölkerung zu verteidigen», sagte sie weiter.

Darwish war der einzige Vertreter der syrischen Gemeinschaft in der Schweiz, der am Treffen in Istanbul teilgenommen hat, das zur Gründung des SNC führte.

Er nahm in seiner Rolle als Mitglied des Politbüros der SRGC teil.

Vor einem Monat war er von dieser Kommission beauftragt worden, Dialoge zu führen, um nach den vorangegangenen, gescheiterten Konferenzen die Opposition zu einigen.

Über 40 Gruppen, Koordinations-Komitees und Koalitionen, die revolutionär aktiv in Syrien sind, gehören zu dieser Kommission.

Sie wird als jene Organisation angesehen, welche die Mehrheit der aktiven Revolutionskräfte im Land umfasst.

Die SRGC wird drei Sitze im SNC haben.

In Syrien leben 22,5 Millionen Menschen, die Hälfte in Städten; 52% sind unter 25.
 
89% sind Araber; andere ethnische Grupen sind Kurden, Armenier, Assyrer, Tscherkessen und Turkmenen.
 
Daneben leben einige hunderttausend palästinensische und irakische Flüchtlinge im Land.
 
72% sind Moslems sunnitischen Glaubens. Daneben gibt es Schiiten und einige muslimische Sekten wie Alawiten (zu denen die Assad-Familie gehört) und Ismaeliten. Rund 10% sind Christen (Ostkirche und Katholiken, wenige Protestanten).

(Übertragen aus dem Englischen: Alexander Künzle und Christian Raaflaub)

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