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Tamil Tigers erneut im Fokus der Schweizer Justiz

Offenes Geheimnis: Tamil Tigers haben in der Schweiz Landsleute erpresst. Keystone

Eineinhalb Jahre nach Ende des Bürgerkriegs in Sri Lanka haben die Schweizer Behörden zehn Mitglieder der Tamil Tigers verhaftet. Das ihnen vorgeworfene Delikt der Gelderpressung gilt als erwiesen. Der Zeitpunkt der Aktion sorgt aber für Fragezeichen.

Es war eine konzertierte Aktion: Die Bundeskriminalpolizei (BKP) nahm am Dienstag in zehn Kantonen zehn Mitglieder der Tamil Tigers fest und durchsuchte 23 Räumlichkeiten.

Die Bundesanwaltschaft, in deren Auftrag die BKP handelte, wirft den Festgenommenen Drohung, Erpressung, Urkundenfälschung, Geldwäscherei sowie Zugehörigkeit und Unterstützung einer kriminellen Organisation vor.

Dass Tamil Tigers in der Schweiz von ihren Landsleuten Gelder für den Kampf der Rebellenarmee erpressten, ist seit Jahren ein offenes Geheimnis. Bereits Mitte der 1990er-Jahre hatten die Bundesbehörden in der Sache ermittelt.

Die Verfahren verliefen aber im Sande, weil Zeugen aus Angst vor Repressalien stets angegeben haben, freiwillig bezahlt zu haben.

Untersuchung seit 2009

Bei ihren Verhaftungen stützte sich die Bundesanwaltschaft auf die Strafuntersuchung, die sie im Mai 2009 gegen mehrere Personen tamilischer Herkunft eröffnet hatte.

Im Verlauf dieser Ermittlungen habe sich der Verdacht erhärtet, dass die beschuldigten Personen Landsleute der tamilischen Diaspora über Jahre gezwungen hätten, die Tamil Tigers als Organisation finanziell zu unterstützen, schrieb die Behörde in einer Mitteilung. Dabei seien die Opfer in der Schweiz massiv unter Druck gesetzt, bedroht worden oder Erpressungsversuchen ausgesetzt gewesen.

Unbestritten

Dass die tamilische Diaspora in der Schweiz von Exponenten der Tamil Tigers zu Geldzahlungen gezwungen wurde, ist nicht nur den Strafverfolgungsbehörden, sondern auch Fachleuten im Integrationsbereich bekannt.

So auch der Bernerin Damaris Lüthi. Die Ethnologin leitete 2001 bis 2003 die Studie «Sozialer Wandel bei tamilischen Flüchtlingen aus Sri Lanka in der Schweiz», die vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert wurde.

«Bei meinen Untersuchungen hatte ich das Thema der Gelderpressungen ausgeklammert. Aber informell wurde gesagt, dass gegen Ende des Bürgerkriegs der Druck auf die Mitglieder der tamilischen Gemeinde für Geldzahlungen enorm zugenommen habe», sagt Lüthi gegenüber swissinfo.ch. Auch sei jetzt offenbar noch Geld vorhanden, das nach Ende der Kämpfe nicht mehr verwendet worden sei.

Auch Barbara Frei, seit mehr als 20 Jahren Leiterin der Freiplatzaktion, die in Basel tamilische Migranten berät und betreut, ist das Phänomen bekannt, wie sie am Schweizer Radio sagte.

Einfluss der Tigers schwindet

Obwohl die Strukturen der Tamil Tigers in der Schweiz auch nach der militärischen Niederlage intakt geblieben sind, so scheint ihr Einfluss auf ihre Landsleute zu bröckeln.

Gemäss allgemeiner Erkenntnis hatten praktisch alle in der Schweiz lebenden tamilischen Familien Geld zugunsten der Tamil Tigers bezahlt, in der Regel 50 bis 100 Franken monatlich. Insbesondere aus der letzten Phase des Kampfes sind auch Fälle bekannt, wo sich Tamilen mit der Aufnahme hoher Kredite verschuldet haben.

Zufall?

Hans Peter Roth, der aufgrund seiner 15-jährigen Praxis als Rechtsberater von Migranten über ausgezeichnete Kontakte zur tamilischen Diaspora in der Schweiz verfügt, ist über den Zeitpunkt der Verhaftungen erstaunt.

Er geht von einem Zusammenhang der Aktion der Schweizer Bundesanwaltschaft mit der Verhaftung eines Tamilen vor zwei Monaten in Sri Lanka aus. «Es ist anzunehmen, dass der Mann, der in Bern eine Wechselstube leitete, im Gefängnis gefoltert wurde und die Behörden Sri Lankas die so erhaltenen Informationen an die Schweiz weiter gaben», sagt Roth gegenüber swissinfo.ch.

Ein solcher Hintergrund sei plausibel, weil die Regierung Sri Lankas auch in anderen Ländern versucht habe, Vertreter der tamilischen Diaspora zu diskreditieren. «Dies gilt insbesondere für tamilische Aktivisten, die eine Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen in ihrer Heimat fordern», so Roth.

Verbotener Nachrichtendienst?

Ihm lägen auch Informationen vor, dass Agenten der Behörden Sri Lankas die tamilische Diaspora in der Schweiz ausspionierten, hier also verbotene nachrichtendienstliche Tätigkeit betreiben würden.

«So sollen beispielsweise verdächtige Personen auf den Passagierlisten der Air Lanka, mit der Tamilen in ihre Heimat fliegen, bereits in der Schweiz markiert werden», sagt Hans Peter Roth und schiebt nach, dass es tatsächlich zu Verhaftungen von Tamilen bei ihrer Ankunft in Sri Lanka gekommen sei.

Bern: Kein Kommentar

Angesichts der Vermutung Hans Peter Roths über eine Zusammenarbeit mit den Behörden in Colombo gibt sich die Bundesanwaltschaft zugeknöpft. «Die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden untersteht dem Untersuchungsgeheimnis», erklärte Sprecherin Walburga Bur auf Anfrage.

Sie will auch über eine angebliche nachrichtendienstliche Tätigkeit sri lankischer Agenten in der Schweiz nichts sagen. Die Beantwortung dieser Frage liege nicht im Kompetenzbereich der Bundesanwaltschaft, so Bur.

Fleissig, aber abgeschottet

Die Tamilen in der Schweiz sind bei Schweizer Arbeitgebern wegen ihres Fleisses und ihrer zurückhaltenden Art hoch im Kurs. Doch vor allem die erste Generation pflegt ausserhalb der Arbeitswelt kaum Kontakte zu anderen Menschen.

Die Ethnologin Damaris Lüthi sieht aber kaum einen Zusammenhang zwischen den besonderen sozialen Strukturen der tamilischen Gemeinde in der Schweiz und den Gelderpressungen. «Die erste Generation ist ökonomisch gut integriert, wenn auch auf unterster Stufe. Aber sozial und religiös sind diese Menschen nicht integriert, sie haben alle ihre Traditionen und Gewohnheiten beibehalten», sagt sie.

Im Gegensatz dazu würde die zweite Generation den Vorgaben ihrer Eltern nur noch teilweise oder nicht mehr nachleben, was zu sehr starken Spannungen innerhalb der Familien führen könne.

Starke Verbindung zur Heimat

Lüthi hält das Thema Integration generell für überbewertet, sei doch die Schweizer Bevölkerung oftmals gar nicht dazu bereit, Fremde sozial zu integrieren. «Die erste Generation der Flüchtlinge blieb sehr Sri-Lanka-orientiert, spendete für den Traum eines unabhängigen Tamil Elam freiwillig Geld und strebte auch immer die Rückkehr an», sagt Lüthi.

Heute allerdings müssten sich diese Menschen darauf einstellen, dass eine Rückkehr angesichts der zerrütteten Situation in der Heimat und den Bedürfnissen der zweiten Generation im Exil schwieriger sei.

Schweiz. Die tamilische Gemeinde in der Schweiz zählt über 40’000 Menschen.

Naturalisierte. Fast 15’000 von ihnen haben die Schweizer Staatsbürgerschaft erlangt.

Bern. Die Mehrheit der Tamilen lebt in der Deutschschweiz, hauptsächlich im Kanton Bern.

Waadt. In der Westschweiz leben rund 8000 Tamilen, 3000 davon im Kanton Waadt.

Die ersten tamilischen Flüchtlinge kamen in den 1980er-Jahren in die Schweiz. Sie waren die ersten dunkelhäutigen Flüchtlinge, die in grösserer Zahl in die Schweiz kamen. Es kam gar zu rassistischen Äusserungen oder Übergriffen.

Zuerst wurden die meist jungen Männer von vielen Schweizern verdächtigt, mit Drogen zu handeln, Polizeikontrollen kamen häufig vor. Heute ist es die Gruppe der Nigerianer, die diesen schlechten Ruf «geerbt» hat.

Es dauerte sehr lange, bis die Mehrheit der Schweizer die Tamilen akzeptierten. Allmählich wurden sie als sehr fleissige Arbeiter anerkannt, die sich nie beschwerten. Das machte sie auch zu Opfern von skrupellosen Arbeitgebern.

Respekt erhalten Tamilen heute auch wegen des starken familiären Zusammenhalts, den sie pflegen. Heute erregen Zusammenkünfte von Tamilen an Wochenenden kein Aufsehen mehr.

Zu direkten sozialen Kontakten zwischen Schweizern und Tamilen kommt es aber immer noch sehr selten. Einerseits sind sie Teil der Schweizerischen Öffentlichkeit geworden, bleiben aber andererseits immer noch ein Rätsel.

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