TAP: 800 Kilometer Gas und Risiken
Gemeinsam mit zwei anderen Unternehmen kann der Schweizer Energiekonzern Axpo eine Pipeline erstellen, die Erdgas aus dem Kaspischen Meer nach Zentraleuropa bringen soll. Das für die geostrategische Energiepolitik der EU wichtige Projekt bietet zahlreiche Möglichkeiten, birgt aber auch viele Risiken.
«Dieses Projekt ist wichtig für die Schweiz. Wir sind abhängig von Öl und Gas. Die neue Pipeline gibt zusätzliche Versorgungssicherheit und dies erst noch mit Einflussnahme eines Schweizer Unternehmens.»
Dies sagte ein erfreuter Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann am 28. Juni nach der Ankündigung des Gasförderkonsortiums Shah Deniz II, dass die Trans Adriatic Pipeline (TAP) Gas aus dem Gasfeld Shah Deniz II durch die Türkei nach Europa transportieren darf.
Besonders gefreut über diese Ankündigung haben sich die drei Promotoren des Projekts TAP: der Schweizer Energiekonzern Axpo, die norwegische Statoil (beide zu je 42,5% am Projekt beteiligt) und die deutsche E.ON (15%).
Nach intensiven Verhandlungen mit dem Gasförderkonsortium und der aserbaidschanischen Regierung über mehrere Jahre haben diese drei Unternehmen schliesslich das Konkurrenzprodukt «Nabucco» ausgestochen.
Die neue Gaspipeline, die bis 2019 fertiggestellt werden und rund 5 Milliarden Franken kosten soll, wird es erlauben, pro Jahr zwischen 10 und 20 Milliarden Kubikmeter Erdgas über 800 Kilometer von der Türkei nach Italien zu transportieren, von wo dieses in weitere europäische Länder gelangen wird. Für Italien, aber auch für Griechenland und Albanien, durch welche die Gaspipeline gebaut wird, eröffnen sich zahlreiche Investitionsmöglichkeiten und können tausende neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Für die Europäische Union (EU) ist der Bau einer Pipeline vom Kaspischen Meer bis nach Zentraleuropa ein Projekt «von gemeinsamem Interesse», um die Lieferwege von Erdgas zu diversifizieren.
Das Erdgas stammt aus dem Gasfeld Shah Deniz II im Kaspischen Meer und wird vom gleichnamigen Konsortium gefördert, zu dem 7 Öl- und Gasförderfirmen gehören, darunter die britische BP, die norwegische Statoil, die aserbaidschanische SOCAR und die französische Total.
Aserbaidschan und die Türkei haben 2012 ein Abkommen zum Bau der Trans Anatolian Pipeline (TANAP) bis 2018 unterzeichnet, durch die das Erdgas von Aserbaidschan in die Türkei transportiert werden soll.
Letzte Woche hat das Konsortium Shah Deniz II das Projekt Trans Adriatic Pipeline (TAP) ausgewählt, um den Transport des Gases von der türkisch-griechischen Grenze bis nach Zentraleuropa zu garantieren. Dem Konkurrenzprojekt Nabucco erteilte es eine Absage.
Die TAP wird getragen von einem Joint Venture des Schweizer Energiekonzerns Axpo, der norwegischen Statoil (beide je zu einem Anteil von 42,5%) und der deutschen E.ON Ruhrgas (15%).
Die Gaspipeline soll bis 2019 fertiggestellt sein und rund 5 Mrd. Fr. kosten. Sie führt von Griechenland durch Albanien und das adriatische Meer nach Italien (Region Apulien).
«Meilenstein»
Zufrieden zeigte sich auch der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso. Für diesen ist die Realisierung dieses Projekts ein «Meilenstein», der die Energie-Versorgungssicherheit in Europa sicherstellen werde.
Die EU befürwortete bereits Ende der 1990er-Jahre die Eröffnung eines neuen Korridors im Süden des Kontinents, um die Abhängigkeit vieler ihrer Mitgliedsländer von russischem Erdgas zu vermindern.
«Die neue Pipeline bietet die Möglichkeit, die Erdgas-Transportrouten zu diversifizieren. Und in diesem Sinn ist sie sicher ein Gewinn für die Versorgungsicherheit in Europa», sagt Jonas Grätz, Forscher am Center for Security Studies (CSS) der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH).
Eine Sicherheit, die allerdings auf wackligen Füssen steht, wenn man bedenkt, dass das Erdgas aus dem Kaspischen Meer eine der instabileren Regionen der Welt durchqueren muss, bevor es in die TAP gelangt.
«Das Erdgas aus dem Kaspischen Meer durchquert eine Region, in der es diverse Konfliktlinien gibt. Denken wir etwa an die Kurden-Aufstände in der Türkei oder an die Spannungen zwischen Aserbaidschan und Armenien seit dem Krieg um Bergkarabach vor etwa 20 Jahren», so Grätz.
«Die konkreteste Bedrohung für die Energie-Infrastruktur geht von der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) aus. Mit dem Beginn des Friedensprozesses zwischen Ankara und der PKK kann diese Bedrohung jedoch abnehmen. Gegenwärtig scheint die Situation in der Türkei und im Südkaukasus viel stabiler zu sein, und sie ist nicht und war auch nie vergleichbar mit jener in anderen Ländern im Nahen Osten, von wo aus Europa Öl und Gas importiert», sagt der Forscher.
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«Gasfieber»
Neben Sicherheitsfragen stellen sich aber um das Projekt herum auch Fragen nach der Rentabilität. «Momentan sind die Rahmenbedingungen für die Stromerzeugung mit Gas nicht günstig. Braunkohle ist viel billiger. In Italien, wo die TAP-Pipeline ankommen soll, gibt es Gaskraftwerke, die nicht in Betrieb genommen werden, weil sie nicht rentabel sind», sagt Daniel Bächtold, Sprecher des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie (VSG).
«Zudem gibt es weitere Projekte für Gaspipelines in Europa, um Erdgas aus Russland herzuholen, darunter die neue Pipeline South Stream und die Erweiterung von Nord Stream von zwei auf vier Röhren», so Bächtold.
«Wir sind heute Zeugen eines neuen ‹Gasfiebers›. Man muss sich jedoch fragen, ob all diese Pipelines voll ausgelastet werden können und ob es genug Abnehmer geben wird.»
Skeptisch zeigt sich auch Urs Meister, Spezialist für Energiefragen bei der «Denkfabrik» Avenir Suisse. «Das Projekt TAP wurde vor rund zehn Jahren gestartet, in einem anderen Umfeld als wir es heute haben, sei es in konjunktureller Hinsicht oder was die Energiepolitik angeht. Die neue Pipeline könnte profitabel sein, sie birgt aber viele Risiken, da der künftige Bedarf in Europa schwer abzuschätzen ist.»
Natürliche Gasvorkommen tragen 20% zum weltweiten Energiemix bei. Laut der Internationalen Energieagentur könnte dieser Anteil in den nächsten 20 Jahren auf 25% ansteigen.
In der Schweiz deckt Erdgas etwas mehr als 12% des Energiebedarfs. Das in der Schweiz eingesetzte Gas stammt grösstenteils aus Norwegen, Russland, Deutschland und Algerien.
Unsichere Aussichten
Die Hoffnungen auf Rentabilität der neuen Pipeline stützen sich jedoch auf die neuen Energiestrategien der europäischen Länder. Verschiedene – darunter die Schweiz – wollen von der Kernenergie wegkommen. Da dies noch für einige Jahrzehnte nicht ohne die Nutzung von fossilen Brennstoffen möglich sein wird, ist Erdgas gegenüber Erdöl und Braunkohle wohl die sinnvollere Lösung, glauben Experten.
«In vielen europäischen Szenarien wird Erdgas als der beste Partner der erneuerbaren Energien für die zukünftige Versorgungsicherheit eingeschätzt. Gaskraftwerke können in der Tat dazu genutzt werden, den Strombedarf in jenen Momenten zu decken, in denen Sonne oder Wind fehlen», sagt Jonas Grätz.
«Heute setzen viele Länder, wie etwa Deutschland, zu diesem Zweck eher Braunkohle ein, weil diese weniger kostet. Doch Erdgas könnte die Kohle immer mehr ersetzen, weil es die Luft weniger verpestet und weniger CO2-Emissionen verursacht.»
Es gebe tatsächlich verschiedene Projektionen, nach denen Erdgas in den nächsten 20 Jahren eine wichtige Rolle im globalen Energiemix übernehmen könnte, «mit einem Anstieg der Importe von anderen Kontinenten», sagt auch Urs Meister. «Diese Projektionen bleiben aber unsicher, weil sie von zahlreichen Faktoren abhängen, darunter auch der wirtschaftlichen Entwicklung.»
Eine Ungewissheit, die auch die Axpo beschäftigt: In diesen Tagen hat der Direktor des Schweizer Energiekonzerns, Heinz Karrer, angekündigt, Axpo wolle in den nächsten Jahren seinen Anteil am Projekt TAP von 42,5% auf unter 10% reduzieren. Mit dem Verkauf dieser Anteile will Axpo die 80 Millionen ins Projekt investierten Franken grösstenteils wieder hereinholen.
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