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Vier gute Schweizer Ideen für die Ärmsten der Welt

Bild eines gähnenden Neugeborenen.
Mit innovativer Technologie aus der Schweiz den Bedürfnissen des Südens entgegenkommen: zum Beispiel mit billigen und robusten Brutkästen für Neugeborene. Dieser Junge braucht zum Glück keine Unterstützung. Keystone / Felicity Thompson

Vom High-Tech Labor in der Schweiz in die bedürftigsten Gegenden des Planeten: Eine Schweizer Initiative bringt innovative Technologien der ETH Lausanne mit Bedürfnissen im globalen Süden zusammen. Die ersten vier Projekte zeugen von Pioniergeist. Wir stellen sie vor.

Während akademische Forschung an Hochschulen oft mehrere Jahre dauert, müssen humanitäre Organisationen oft schnell und bescheiden gute Lösungen finden. Nun gibt es ein Projekt, dass Schweizer Forschung und die Schweizer Entwicklungshilfe zusammenbringt, konkret: Forschende der ETH Lausanne (EPFL) mit ihren innovativen Startups sowie lokale Organisationen im globalen Süden.

Das Programm heisst Tech4DevExterner Link. Es ist eine Zusammenarbeit der EPFL mit der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA.

«An der EPFL wird modernste Technologie entwickelt – und es gibt Länder, die enorm von diesem Wissen profitieren könnten», sagt Entwicklungs-Managerin Hilda Liswani.  Nun sind die ersten vier Projekte ausgewählt. Sie erhalten während zwei Jahren eine finanzielle Unterstützung von 300’000 Franken, wobei 40 Prozent davon im Projektland ausgegeben werden müssen.

Dies sind die Projekte:


«Das Problem ist ja nicht, dass es in Kenia zu wenig Brutkästen für Säuglinge gäbe, nur sind sie nicht an die Gegebenheiten vor Ort angepasst; sie sind zu teuer, zu komplex, zu fragil», sagt Projektleiterin Christine Gaulis.

Auch würden solche Inkubatoren, die die Körpertemperatur von Säuglingen stabilisieren und sie mit warmer, feuchter Luft versorgen, sehr viel Raum benötigen. «Um Platz zu sparen, werden in Kenia manchmal mehrere Babys in einen Kasten gelegt, was allerdings die Infektionsgefahr stark erhöht», sagt Gaulis.

In der Tat liegen die Gründe von Kindersterblichkeit, die in Ländern des globalen Südens viel höher ist als bei uns, hauptsächlich in Infektionen oder in den Folgen einer Frühgeburt.

An der EPFL Lausanne forscht das EssentialTech Center seit einiger Zeit an einem robusten und günstigen Inkubator. «Wir achten darauf, dass die Brutkästen viel kleiner sind, um Platz zu sparen und damit gar nicht mehr als ein Säugling Platz hat», sagt Gaulis, die zuvor lange Zeit für humanitäre Organisationen arbeitete.

Zudem käme es in Kenia oft zu Stromunterbrechungen von bis zu vier Stunden. Damit der Brutkasten trotzdem weiter funktioniert, bauen die Forschenden eine thermische Batterie ein, die diesen Ausfall überbrückt und anders als herkömmliche Batterien weniger Wartung benötigt. «Ziel ist, dass der Brutkasten vor Ort repariert werden kann, mit Ersatzteilen, die man nicht erst in Europa oder China bestellen muss», so Gaulis.

Ein Brutkasten mit einer Puppe.
An die Gegebenheiten vor Ort angepasst soll er sein: Ein Inkubator für Kenia. Herkömmliche Modelle sind unter anderem zu teuer. ZVG

Für ein weiteres Projekt nehme man: vier PET-Flaschen, einen Plastikdeckel sowie eine leere Shampooflasche. «Wir möchten aus recycliertem Plastik Prothesen und andere Hilfsgeräte für Menschen mit körperlichen Behinderungen herstellen», erklärt Véronique Michaud, Professorin für Materialwissenschaften und Leiterin des Labors für Verarbeitung fortschrittlicher Verbundwerkstoffe.

Ihre Forschungsgruppe setzt auf 3D-Drucker: «So können die Prothesen individuell angepasst und nach Mass angefertigt werden. Auch ist 3D-Drucken gar nicht mehr so teuer», sagt die Forscherin. Als Projektland wurde Kolumbien gewählt, die Heimat eines ehemaligen Studenten und Mitwirkenden am Projekt. In Kolumbien gibt es in Folge des Drogenkriegs zahlreiche Menschen mit amputierten Gliedmassen.

Ziel ist es, die Herstellung so einfach wie möglich zu handhaben – daher die Idee mit dem weggeworfenen Plastik, der überall vorhanden ist. «Das Hinzufügen fortschrittlicherer Materialien könnte die Lebensdauer der Hilfsgeräte zwar erhöhen, dies würde jedoch auch mehr Fachwissen und Ressourcen erfordern», sagt Michaud.

Auch soll so die kolumbianische Gesellschaft für Abfalltrennung sensibilisiert werden. Vor Ort wird das Projekt mit der Universität Los Andes, dem Omnis Institute und der Stiftung Todos Podemos Ayudar umgesetzt.

Ein Mann mit einem amputierten Bein beim Fussballspielen mit Krücken.
Soldaten beim Fussballspiel: In Kolumbien gibt es in Folge des Drogenkriegs zahlreiche Menschen mit amputierten Gliedmassen. Keystone / William Fernando Martinez

Gekocht wird in Kamerun in der Regel mit Holz. Doch Abholzung kann zu Erosion führen, und der Rauch zu gesundheitlichen Beschwerden. Nach einem neuen Weg für nachhaltiges Kochen suchen deshalb Sophia Haussener, Professorin und Leiterin des Labors der Wissenschaft und Technik für erneuerbare Energien der EPFL, sowie der Kameruner Fredy Nandjou, ehemaliger Postdoc am Labor; er ist inzwischen auch Gründer des kamerunischen Startup Soft Power.

Zwar gäbe es bereits Kochutensilien, die nur mit Sonnenwärme funktionierten, sagt Haussener, «allerdings ist das realitätsfern, man will ja nicht nur bei Sonnenschein kochen. Auch ist der Zeitaufwand viel höher». Das Ziel lautet darum: Einen einfachen Brennstoff herstellen, damit kochen wie bis anhin möglich ist.

Haussener erklärt den Weg dahin: «Wir möchten mit Sonnenenergie aus Wasser Wasserstoff gewinnen, den man in einer Gasflasche speichern und für den Gaskocher verwenden kann.» Weiterer Vorteil: «Es entsteht, sozusagen als Abfallprodukt, Trinkwasser. Zwar in kleinen Mengen, aber dennoch ist das gerade für Babys oder Kleinkinder praktisch», so Haussener. 

Im Labor wird nun entwickelt. Nach ein paar Monaten soll das System in Kamerun getestet werden. Damit das Resultat vor Ort brauchbar ist, dürfe die Innovation nicht zu komplex werden. Das Verfahren nennt sich Elektrolyse. «Es handelt sich nicht um eine äusserst diffizile und schwer vermittelbare Technologie», sagt Haussener, «zwei Jahre Entwicklungszeit sind in der Forschung auch relativ kurz.»

Blick in eine Küche mit einem Ofen.
Kochen mit Holz: Forscher der EPFL wollen einen einfachen Brennstoff herstellen, um der Abholzung in Kamerun entgegenzuwirken. Keystone / Schalk Van Zuydam

Andere EPFL-Wissenschaftler wollen Plastik aus Pflanzen herstellen. Denn Holz, Blätter oder Nussschalen weisen chemisch gesehen eine ähnliche Struktur wie Erdöl auf.

Das Team rund um Professor Jeremy Luterbacher vom Labor für nachhaltige und katalytische Verfahren an der EPFL arbeitet an einer Alternative für Erdöl bei der Herstellung von Kunststoff. «Bereits heute ist es möglich, aus Pflanzen zum Beispiel PET-Flaschen zu produzieren, allerdings in mehreren Schritten. Wir möchten auch aus Pflanzen Plastik herstellen, aber in nur einem Schritt», so Luterbacher.

Daraus sollen anschliessend Planen für Flüchtlingslager hergestellt werden. Die Forscher arbeiten mit der humanitären NGO Medair in Bangladesch zusammen, «also in einem Land, das in der Herstellung von Textilien führend ist. Somit könnte das pflanzliche Plastik vor Ort verarbeitet und zu Planen gewebt werden», erklärt Luterbacher.

Gänzlich nachhaltig ist ihr Kunststoff allerdings nicht: «Wir konzentrieren uns auf einen Teil der Molekülkette, den wir aus Pflanzen herstellen. Dieser muss anschliessend mit einem anderen Molekül polymerisiert werden, das wir weiterhin aus Erdöl gewinnen», sagt Luterbacher. «Wir wollen nicht das Rad neu erfinden, die Innovation befindet sich im ersten Teil der Molekülkette.» 

Aus einem Kilogramm Holz könnten ungefähr 400 Gramm Plastikplane hergestellt werden. Mit dem restlichen aus dem Holz gewonnenen Material lassen sich weitere Produkte produzieren, etwa Papier oder Riechstoffe für Parfüme. Deshalb arbeiten die Forscher mit dem Lausanner Startup Bloom Biorenewables zusammen, das ebenfalls nach nachhaltigen Alternativen zu Erdöl-basierten Produkten sucht.

Ein Knabe auf einem Weg, der durch ein Flüchtlingslager führt.
Ein Rohingya-Flüchtlingslager in Bangladesch: EPFL-Forscher wollen pflanzliche Planen für die Behausungen herstellen. Sie sollen vor Ort gewebt werden, so die Idee. Copyright 2018 The Associated Press. All Rights Reserved.

Das EPFL-Programm Tech4Dev schafft Anreize, bei innovativen Projekten auch auf die Anwendung zu achten.

In der Regel geht es Forschenden nicht darum, ob aus ihrem natürlichen Plastik eine Plane für ein Flüchtlingscamp oder etwas anderes entsteht – sie sind an der Innovation der Forschung interessiert. «Neu ist für uns, dass wir uns mit diesem Projekt auf den Endverbraucher fokussieren. Mit der konkreten Anwendung befasst man sich in der Forschung seltener», sagt Haussener.

Genau hier ist das Projekt Tech4Dev interessant, denn ohne die Finanzierung wären diese Projekte mehrheitlich wohl kaum weitergeführt worden.

Auch werden die Forscher dazu gebracht, Synergien mit externen Partnern wie NGO oder lokalen Startups zu suchen. Das benötigt eine andere Herangehensweise: «Die Forschung versucht, Rezepte zu verbessern, etwa, um das steifste Material zu erhalten. Wir versuchen hier nun, Rezepte so einfach wie möglich zu gestalten, um diese effizient und nachhaltig vor Ort umzusetzen», erklärt Michaud.

Gaulis sieht darin einen grossen Vorteil für die Entwicklungszusammenarbeit: «Humanitäre Hilfe ist Soforthilfe, die abhängig macht. Entwicklung ist langfristige Hilfe, und soll unabhängig machen.»

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