Parteien sind konzeptlos gegen Islamismus
Die Angst vor islamistisch motivierten Anschlägen beschäftigt die Öffentlichkeit auch in der Schweiz seit Jahren. Trotzdem hat (noch) keine der grössten vier politischen Parteien ein Konzept, wie der Bedrohung zu begegnen ist.
Der Bieler Imam, der «seinen» Gott in der Predigt bittet, Christen, Juden und Hindus zu vernichten, hat die Schweiz aufgeschreckt. swissinfo.ch wollte von den Bundesratsparteien wissen, ob sie im Kampf gegen islamistisch motivierte Gefahr ein Konzept haben.
Die Schweizerische Volkspartei (SVP) will die Schweiz vor allem durch Ausgrenzung schützen. Ein zentraler Begriff in ihren Forderungen heisst Ausschaffung. Von Integrationsunterstützung oder öffentlich-rechtlicher Anerkennung der muslimischen Religionsgemeinschaft hält die SVP nichts.
«Wir diskutieren zurzeit die Erarbeitung eines gesamtheitlichen Konzepts zur Bekämpfung des radikalen Islams in der Schweiz», schreibt SVP-Generalsekretär Gabriel Lüchinger auf die Fragen von swissinfo.ch und verweist auf ein ReferatExterner Link des Parteipräsidenten Albert Rösti mit dem Titel «Für eine sichere Zukunft in Freiheit». Rösti hatte an der SVP-Delegiertenversammlung letzten Monat zehn Forderungen aufgelistet, insbesondere zur besseren Überwachung und schärferen Sanktionierung von verdächtigten Personen. Was der SVP-Präsident fordert, um der muslimischen Gemeinschaft den Schweizer Rechtsstaat klar zu machen, dürfte aber selber mit dem Rechtsstaat nicht in allen Belangen vereinbar sein. Rösti fordert zum Beispiel: Alle Asylbewerber, die sich «auf dem Radar» des Nachrichtendienstes befänden, sollten einen ablehnenden Entscheid erhalten und seien aus Sicherheitsgründen umgehend auszuschaffen.
In der Stellungnahme der Sozialdemokratischen Partei (SP) sind Integration, Anerkennung und Prävention zentrale Begriffe. Muslime und ihre Religionsgemeinschaft sollen integriert werden, schreibt Michael Sorg, der Medienverantwortliche der SP. Die grosse Mehrheit der Muslime lebe den Glauben in einer Art, die mit unserer Gesellschaftsordnung in keinem Widerspruch stehe. Die SP begrüsse die Initiativen in einigen Kantonen (VD, NE, BS und Zürich), um die in Dachverbänden organisierten Musliminnen und Muslimen öffentlich-rechtlich als Religionsgemeinschaft anzuerkennen.
Wichtig sei, dass Behörden, Arbeitgeber, Schulen und Familie genau hinschauten und Hilfe holten, wenn es bei jungen Menschen Anzeichen von Radikalisierung gebe. Anlaufstellen müssten überall einfach zugänglich sein. «Die erste Reaktion unserer Gesellschaft und ihrer Sicherheitsorgane sollte nicht Repression und Ausgrenzung sein (jedenfalls so lange keine reale Gefahr für andere Menschen besteht), dies beschleunigt und verstärkt die Radikalisierung eher», so der SP-Medienverantwortliche. Imame müssten zudem mit den hiesigen Verhältnissen und unserer Rechtsordnung gut vertraut sein und die vor Ort gesprochene Landessprache beherrschen.
Die christlichdemokratische Volkspartei (CVP) verweist auf ihre Resolution von 2014, mit der sie fünf Massnahmen gegen die Verbreitung von radikalem Gedankengut fordert, insbesondere gegen Dschihadreisende, sowie präventive Massnahmen zum Beispiel zur besseren Überwachung von Aktivitäten gewaltextremistischer Gruppierungen in sozialen Netzwerken. Ausserdem arbeite die CVP an einem Papier zum «Rechtsstaat und Fundamentalismus» sowie einem «Papier zu Terrorismus», schreibt Generalsekretärin Béatrice Wertli, ohne konkreter zu werden. Dann folgt eine Aufzählung dessen, was die Partei will und was sie nicht duldet: Zum Beispiel keine Hassprediger, keine Scharia, keine Kinderehen, keine religiösen Gemeinschaften, die unseren Rechtsstaat nicht anerkennen, keine Einflussnahme ausländischer Staaten und Religionsgemeinschaften durch die Finanzierung von Predigern, Vereinen, Gebetshäusern. Wer will das nicht, ist man geneigt zu fragen, aber wie soll es umgesetzt werden?
Es brauche bessere staatliche Kontrollen der Prediger sowie eine gute Zusammenarbeit der Behörden mit den jeweiligen Dachorganisationen der Muslime. Wie dies konkret zu geschehen habe, geht aus der Stellungnahme der CVP nicht hervor.
Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) hat auch kein Konzept gegen islamistisch motivierte Gewalt. Die Partei beschäftige sich im Rahmen der Sicherheitspolitik mit dem extremistischen Islam, schreibt Generalsekretär Samuel Lanz. «Die FDP-Fraktion fordert seit langem eine griffige Terrorismusstrafnorm, die ausdrücklich auch Vorbereitungs- und Unterstützungshandlungen … umfasst». Der Nachrichtendienst müsse im Kampf gegen Terrorismus mit genügend personellen und materiellen Ressourcen gestärkt werden. Ebenso das Grenzwachtkorps, «damit nicht unkontrolliert Personen mit möglicherweise terroristischen Ansinnen in die Schweiz gelangen», schreibt Lanz. Auch die FDP fordert zudem eine bessere Überwachung von religiösen Gemeinschaften.
Fazit
Die Stellungnahmen zeigen: Die Parteien ziehen nicht am gleichen Strick. Sie erkennen ähnliche Gefahren, nennen unterschiedliche Ursachen sowie zum Teil gegensätzliche Forderungen und haben viele realitätsferne Wunschvorstelllungen von dem, was zu dulden und zu unterbinden sei, und vor allem mit welchen Mitteln.
Sie verweisen auf einzelne Vorstösse ihrer eigenen Parlamentarierinnen und Parlamentarier (siehe Box), von denen sich einige als Luftschläge erweisen. Die meisten dieser Vorstösse sind in den Räten gescheitert. Die Gebote und Verbote, welche die Parteien oder einzelne ihrer Exponenten fordern, lassen keine klare Strategie dahinter erkennen. Ein ausgereiftes Konzept kann (noch) keine Partei vorlegen.
Parlamentarische Vorstösse
Drei Parteien haben in ihren Stellungnahmen explizit auf parlamentarische Vorstösse eigener Parlamentarier und Parlamentarierinnen verwiesen:
SVP
Eine parlamentarische InitiativeExterner Link der SVP-Fraktion vom Juni 2017 verlangt, dass Aktivisten des politischen Islams ausgewiesen werden und zwar sofort. Was ein Aktivist des politischen Islams ist und wer dies anhand welcher Kriterien entscheiden soll, steht nicht in der Begründung. Im Vorstoss wird lediglich mit Stichworten aufgezählt, was sich die Initianten unter solchen Aktivitäten vorstellen: Neben eindeutig kriminellen Machenschaften wie der Beschaffung von Waffen, nennt die SVP zum Beispiel die «Verbreitung von Propaganda», «Anwerben von Mitgliedern», «Auskundschaften», lauter Aktivitäten, die nach geltendem Recht je nach Sachverhalt völlig legal oder strafbar sein können. Dies zu beurteilen, liegt in unserem Rechtsstaat im Ermessen der Richter. Noch haben weder Regierung noch Räte zu dieser parlamentarischen Initiative Stellung genommen.
CVP
Die Partei verweist auf die MotionExterner Link von Ida Glanzmann-Hunkeler von 2014, die von beiden Räten angenommen wurde und dazu geführt habe, dass jetzt das «Übereinkommen des Europarates zur Verhütung des Terrorismus» ratifiziert werden soll. Beide Parlamentskammern sagten Ja. Die Ratifikation erfordert gewisse Anpassungen des Strafrechts. Das will der Bundesrat an die Hand nehmen und entsprechende Vorschläge in die Vernehmlassung schicken.
FDP
Die FDP kann auf zwei Vorstösse von Doris Fiala verweisen. EineExterner Link ihrer beiden Motionen vom Dezember 2016 verlangt mehr Transparenz und klare Kriterien bei der Beaufsichtigung von religiösen Gemeinschaften sowie Sanktionen bei Nichteinhaltung. Die Landesregierung empfiehlt die Motion zur Annahme. Die grosse Parlamentskammer hat diese inzwischen angenommen. Der Entscheid der kleinen Kammer steht noch aus.
Mit der anderen MotionExterner Link ebenfalls vom Dezember 2016 verlangt Fiala, dass Vereine mit internationalen Geldflüssen zwingend ins Handelsregister eingetragen werden müssen. Dies insbesondere mit dem Ziel, den Kampf gegen Terrorismusfinanzierung, Radikalisierung sowie Hassprediger zu stärken. Diese Motion empfiehlt die Landesregierung zur Ablehnung mit der Begründung, dass diese Fragen derzeit durch die interdepartementale Koordinationsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung (KGGT) untersucht würden. Ausserdem verweist die Landesregierung auf die Arbeiten des Sicherheitsverbunds SchweizExterner Link. Die Ergebnisse dieser Stellen gelte es abzuwarten, so die Landesregierung.
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