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In einer Kaffeebar mit dem Manager für den Frieden in Europa

Ein Mann mit Brille sitzt an einem Tisch, auf dem ein Fähnchen mit der Aufschrift OSCE steht.
Thomas Greminger: Der 58-jährige Schweizer ist seit gut zwei Jahren Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. OSCE/Micky Kroell

Als erster Schweizer im Amt des OSZE-Generalsekretärs hat Thomas Greminger viel zu tun. Kooperation und Dialog haben schon bessere Zeiten erlebt: Der ungelöste Ukraine-Konflikt nährt die Vertrauenskrise zwischen Russland und den USA, den Schlüsselakteuren der euro-atlantischen Sicherheit.

Internationales Genf: In einer kleinen Serie stellt swissinfo.ch Schweizerinnen und Schweizer vor, die auf dem internationalen Parkett Schlüsselfunktionen innehaben.

Baulärm durchdringt den sonnigen Morgen in Berns Innenstadt. Thomas GremingerExterner Link ist bereits 40 Minuten der Aare entlang gejoggt, hat seine Emails während des Frühstücks im Hotel beantwortet und sich in der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) mit der Verantwortlichen für OstzusammenarbeitExterner Link getroffen. «Wir haben den gleichen Einsatzraum: Osteuropa, Zentralasien und den Westbalkan», sagt er nun in einem Café in der Nähe des Bundeshauses zu swissinfo.ch.

Greminger bestellt eine Cola Zero. Seine Arbeitstage sind durchgetaktet und selten geht er irgendwo hin, ohne dabei auch einen formellen Auftritt zu haben.

Der Schweizer Spitzendiplomat ist Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in EuropaExterner Link (OSZE) mit Sitz in Wien. Die weltweit grösste regionale Sicherheitsorganisation ist in erster Linie eine Dialogplattform für Sicherheitsfragen im weiten Sinne. Angesichts der aktuellen Weltlage sei sie ein «einzigartiges Forum»: In der Tat sitzen Russland, die USA und alle Länder «von Vancouver bis Wladiwostok» einmal wöchentlich an einem TischExterner Link.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist mit ihren 57 Teilnehmerstaaten in Nordamerika, Europa und Asien die weltweit grösste regionale Sicherheitsorganisation.

Ziel der OSZE ist es, als Dialogforum und Aktionsplattform Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu fördern, Differenzen zwischen Staaten zu überwinden und dank enger Zusammenarbeit Vertrauen zu schaffen. Alle Teilnehmerstaaten sind gleichberechtigt und Beschlüsse werden im Konsens gefasst.

Die Schweiz ist seit der Gründung der OSZE 1975 Mitglied. Sie präsidierte die Organisation 2014 zum zweiten Mal nach 1996.

(Quelle: OSZEExterner Link und EDAExterner Link)

Mannschaftskapitän mit politischem Instinkt

Der Einsatz für Frieden, Sicherheit, Menschenrechte und Entwicklung zieht sich wie ein roter Faden durch die bald 30-jährige Karriere des vierfachen Familienvaters. Greminger bezeichnet sich selber als offenen und neugierigen «Macher». Als oberster europäischer Friedenswächter muss er zuhören und Empathie für sein Gegenüber entwickeln können. Als Vermittler sieht sich Greminger aber nicht: «Hierzu fehlt mir die Geduld.»

Eher sei er ein Manager «mit einer gewissen politischen Sensibilität». Beides sei nötig, um eine internationale Organisation wie die OSZE mit rund 4000 Mitarbeitenden zu führen. Denn Greminger muss nicht nur möglichst gute Rahmenbedingungen beispielsweise für die 16 OSZE-FeldoperationenExterner Link schaffen, sondern auch dafür sorgen, dass die Organisation über die nötigen finanziellen Ressourcen verfügt.

Das Bild eines Fussballkapitäns umschreibe ihn und seine Tätigkeit ziemlich treffend, sagt er. «Ich bin nicht der, der die Tore schiesst, sondern der, welcher die Fäden im Hintergrund zieht und die Bedingungen dafür schafft, dass andere Tore schiessen können.» Seine unkomplizierte und umgängliche Art lässt vermuten, dass es ihm nicht schwerfällt, zu allen Spielern einen guten Draht aufzubauen – auch zu den Gegnern.

«Mein Schweizer Pass ist sicher kein Nachteil»

Als ihn die 57 Teilnehmerstaaten der OSZEExterner Link im Juli 2017 zum Generalsekretär nominierten, befand sich die Organisation in einer heiklen Lage. Querelen zwischen den Mitgliedstaaten waren an der Tagesordnung: Der anfangs 2014 ausgebrochene Ukraine-Konflikt hatte alte Ost-West-Gräben aufgerissen und eine tiefe Vertrauenskrise ausgelöst – ein Generalsekretär aus einem Land mit einer NATO- oder prorussischen-Agenda war undenkbar.

Für Gremingers Wahl sprach einerseits sein eigener Leistungsausweis. Als Botschafter hatte er bereits die Schweizer Vertretung bei der OSZE geleitet und galt als guter Kenner der Organisation. Andererseits hatte sich die Schweiz, die 2014 den OSZE-Vorsitz innehatte, während der Ukraine-Krise profilieren können. «Das war mein grosser Trumpf», sagt Greminger, der während dieser Zeit den Ständigen Rat der OSZE geleitet hatte.

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Wie wichtig ist ein Schweizer Pass für das Amt? «Die Schweiz wird nicht nur als unparteilich wahrgenommen, sondern auch als kompetente Konfliktmanagerin.» Es sei also sicher kein Nachteil, einen Schweizer Pass zu haben.

Eskalation verhindern und Signale erkennen

Auch die OSZE habe sich vor allem als gute Konfliktmanagerin einen Namen gemacht, sagt der 58-Jährige. «Wir sind gut im Verhindern, dass Konflikte aus dem Ruder laufen, dass sich lokale Zwischenfälle zu einem Flächenbrand entwickeln.» Das sei beispielsweise im Ukraine-Konflikt gelungen, wo die OSZE ihre zurzeit grösste FeldoperationExterner Link am Laufen hat.

Klar könne man sagen, das reiche nicht. «Das finde ich übrigens auch», so Greminger. Aber ohne politische Bereitschaft könne auch die OSZE nicht mehr erreichen. Denn diese verfügt über keine Zwangsmittel. Und grosse Anreize bieten kann sie auch nicht: «Wir können niemandem einen EU-Beitritt versprechen».

Was die OSZE aber versuche, sei positive Signale der Konfliktparteien früh zu erkennen und richtig zu deuten. In einem zweiten Schritt gehe es dann darum, ihnen gesichtswahrende Schritte vorwärts zu offerieren. Es sei wichtig, es allen Parteien zu ermöglichen, erhobenen Hauptes nach Hause zu gehen und sich als Sieger präsentieren zu können.

Ukraine-Konflikt: Licht am Ende des Tunnels?

Mit Blick auf den Ukraine-Konflikt spricht Greminger von einem «Licht am Ende des Tunnels». Die Signale seien im Moment eher positiv. Fortschritte in Richtung der Umsetzung der Minsker-Abkommen seien denkbar und die bilateralen Beziehungen zwischen Kiew und Moskau könnten sich verbessern. Ja, er sei etwas zuversichtlicher als noch im Mai, als Greminger während eines Referats in Bern die Situation in der Ukraine als «total blockiert» bezeichnet hatte.

«Im Moment ist die Situation sehr ernüchternd und es gilt zu machen, was möglich ist: unkontrollierte Eskalationen verhindern.»
Thomas Greminger, OSZE-Generalsekretär

Die Ukraine-Krise sei ein «Vertrauenskiller» für die Beziehungen zwischen Ost und West. Wenn es hier keine Fortschritte gebe, dann bleibe alles andere auch sehr schwierig. Greminger sagt, dass die Staaten die offiziellen Dialog-Foren der OSZE im Moment nur noch dazu nutzten, primär die andere Seite anzugreifen, als handle es sich um Plattformen der öffentlichen Diplomatie.

Mit anderen Themen Ost-West-Brille ablegen

Mit Themen, welche die Internationale Gemeinschaft mittelfristig nur durch Kooperation angehen kann, will Greminger erreichen, dass die Mitgliedstaaten ihre «Ost-West-Brille wenigstens hier ablegen und einen Schritt zurück machen können, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen». Dabei geht es beispielsweise um Terrorismus oder Cyber-Sicherheit. «Das ist eine Möglichkeit, partiell wieder etwas Vertrauen zu schaffen.»

Zweckoptimismus? Der OSZE-Generalsekretär sagt: «Im Moment ist die Situation sehr ernüchternd und es gilt zu machen, was möglich ist: unkontrollierte Eskalationen verhindern.» Droht also kein unmittelbarer Krieg in Europa? Greminger glaubt, dass kein Staat wirklich ein Interesse daran habe, dass alles ausser Kontrolle gerate.

Zudem sei es offensichtlich, dass kein Staat die aktuellen Herausforderungen alleine lösen könne. Auch die USA und Russland nicht. Die Instabilität der letzten Jahre sei der beste Beleg dafür, dass es mehr Kooperation brauche, sagt Greminger.

Runterfahren mit einem Buch im Bett

Es ist kurz vor Mittag, Thomas Greminger muss weiter. Zum Flughafen Zürich und dann Richtung Wien. Vielleicht hat er im Zug Zeit für seine Lieblingsart von Mittagspause: «Wenn ich am Mittag kein Arbeitsessen habe, dann esse ich am liebsten ein Sandwich und lese die Zeitung», sagt er.

Bereits am nächsten Tag erwartet ihn wieder der «Ernst des Wienerlebens», wie er es ausdrückt. An einem normalen Arbeitstag ist Greminger spätestens um 20 Uhr zu Hause. «Die grosse Herausforderung für mich ist es, Ruhe zu finden und gut zu schlafen.»

Hierfür liest er vor dem Einschlafen noch eine halbe Stunde in einem Buch. Sein Handy schaltet er zwar nie aus, es liegt aber nicht im Schlafzimmer. «Die OSZE ist ein grosser Apparat. Das hat den Vorteil, dass der Chef schlafen kann, ohne dass die Organisation schläft.»

Schon in der Woche nach dem Treffen in Bern wird Greminger aber wieder in Hotels schlafen und aus dem Koffer leben. Um sich für den Frieden in Europa einzusetzen, den seit dem Ende des Kalten Krieges und bis 2014 niemand mehr wirklich für gefährdet hielt.

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