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«Schweiz nimmt zum inneren Konflikt Venezuelas nicht Stellung»

Demonstranten mit Wasserbehältern demonstrieren gegen Wasserknappheit in Caracas.
Demonstranten protestieren gegen die Wasserknappheit in Venezuelas Hauptstadt Caracas. Copyright 2019 The Associated Press. All Rights Reserved.

Ob die Schweiz künftig die Interessen der USA in Venezuela vertreten wird, hängt noch von Nicolas Maduro ab. Washington und Bern unterzeichneten bereits letzte Woche eine Vereinbarung über ein Schutzmacht-Mandat. Dass sich Venezuelas Machthaber gegen dieses Mandat stellen wird, kann sich Ex-Spitzendiplomat Tim Guldimann nicht vorstellen.

Washington unterstützt im inneren venezolanischen Konflikt nicht Machthaber Nicolas Maduro, sondern dessen Widersacher Juan Guaidó, der sich zum Interimspräsidenten erklärte. Ausserdem drohten die USA wiederholt mit einer bewaffneten Intervention, worauf Venezuela im Januar die diplomatischen Beziehungen mit Washington abbrach.

Tim Guldimann
Ex-Spitzendiplomat Tim Guldimann hat langjährige Erfahrung mit einem Schutzmachtmandat. Keystone / Alessandro Della Valle

Der ehemalige Spitzendiplomat Tim Guldimann, der von 1999 bis 2004 als damaliger Schweizer Botschafter in Iran dort auch die amerikanischen Interessen vertrat, begrüsst die Übernahme des neuen Mandats durch die Schweiz, die Interessen der USA in Venezuela zu vertreten. Mit einer Vermittlerrolle habe dies aber nichts zu tun, sagt er im Interview.

swissinfo.ch: Was halten Sie von diesem Mandat?

Tim Guldimann: Das ist gut. Es geht um die Wahrung der Interessen durch die Schweiz, d.h. wenn zwei Staaten keine diplomatischen Beziehungen mehr haben, dient die Schweiz als Kommunikationskanal, sozusagen als Briefträgerin offizieller Informationen von einer Regierung, die uns damit beauftragt, zur anderen.

swissinfo.ch: Was bedeutet das im konkreten Fall?

T.G.: Wenn die Schweiz die Interessen der USA in Caracas vertritt, wird der schweizerische Kanal von den USA benutzt, um offiziell der Regierung von Nicolas Maduro etwas mitzuteilen.

Schweizer Schutzmacht-Mandate

Das Mandat, die Interessen der USA in Venezuela zu vertreten, biete der Schweiz die Chance, zur Deeskalation der Spannungen zwischen den beiden Ländern beizutragen und damit für die regionale Stabilität eine konstruktive Rolle zu spielen, erklärt das EDA.

«Wenn Venezuela zu diesem Schutzmacht-Mandat sein Einverständnis gibt, wird die Schweizer Botschaft in Caracas die Mittel haben, um dieses Mandat zu realisieren.»

Offen ist auch noch, ob Venezuela seine Interessen durch die Schweiz in den USA vertreten lassen will.

Derzeit hat die Schweiz sechs weitere Schutzmacht-Mandate inne: Sie vertritt die Interessen der USA in Iran, von Russland in Georgien, von Georgien in Russland, von Iran in Saudi-Arabien, von Saudi-Arabien in Iran und von Iran in Ägypten.

swissinfo.ch: Sie sagen, es gehe primär um die Rolle der Postbotin. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) begründete die Übernahme des Mandats unter anderem auch damit, dass es eine Gelegenheit sei für die Schweiz, zur Deeskalation zwischen beiden Ländern beizutragen.

T.G.: Ganz klar ist, dass es sich nicht um eine Vermittlung handelt. Vielleicht entsteht der Eindruck, wenn man einen Kanal zur Verfügung stellt, über den die beiden Regierungen miteinander sprechen, dass dies vielleicht zur Deeskalation beiträgt. Aber man darf das nicht überschätzen.

swissinfo.ch: Letztlich geht es in diesem Konflikt darum, ob Nicolas Maduro an der Macht bleibt, oder ob der oppositionelle Juan Guaidó die Macht übernimmt. Davon auszugehen, dass nun die Schweiz einen von beiden zum Einlenken bewegen sollte, wäre Ihres Erachtens also unrealistisch? Soweit ginge das Mandat nicht?

T.G.: Überhaupt nicht. Es geht nicht um den inneren Konflikt Venezuelas. Die Schweiz nimmt dazu keine Stellung, wenn sie traditionsgemäss nur den Staat anerkennt, aber nicht die Regierung. Die Frage der offiziellen oder nicht-offiziellen Beziehung zu Guaidó stellt sich damit nicht.

Die Schweiz anerkennt den Staat Venezuela. Dessen Regierung ist für sie jene, mit der sie offizielle Beziehungen pflegt, und das ist die Regierung Maduro.

swissinfo.ch: Gilt das auch für Staaten, in denen eine neue Regierung durch einen Putsch oder eine Revolution an die Macht kommt?

T.G.: Wenn zum Beispiel wie im Fall von China über die Revolution von Mao Tse-tung eine neue Regierung an die Macht kommt, führt die Schweiz mit dem anerkannten Staat automatisch Beziehungen über jene Regierung, die de facto an der Macht ist.

Damals interpretierte dies China so, als hätte die Schweiz als eines der ersten Länder die kommunistische Regierung anerkannt. Das war für uns politisch nützlich, aber genau genommen stimmte das nicht. Die Schweiz hat lediglich die Beziehungen zum Staat China über diese neue Regierung aufgenommen.

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swissinfo.ch: Zurück nach Venezuela: Die Schweiz und die USA sind sich bereits einig geworden, nun sollte aber auch Venezuelas Regierung Ja sagen zum Mandat. Ist denn die Schweiz in den Augen Maduros unparteiisch genug?

T.G.: Warum sollte sie es nicht sein?

swissinfo.ch: Vor einem Jahr hatte der venezolanische Botschafter der Schweiz vorgeworfen, sie beuge sich dem Druck der USA und der EU, indem sie für bestimmte Staatsbürger Venezuelas Finanz- und Reisesanktionen verhängt und ein Embargo für Rüstungs- und Repressionsgüter erlassen habe.

T.G.: Der Entscheid gegen Rüstungsexporte in dieses Krisenland entspricht unserer Praxis. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Venezuela gegen dieses von den USA der Schweiz angetragene Mandat stellt.

Externer Inhalt
SRF News vom 5.4.2019: Neues Schutzmacht-Mandat für die Schweiz

Schweiz – Venezuela

Im März 2018 schloss sich die Schweiz den EU-Sanktionsmassnahmen gegen Venezuela an. «Diese Sanktionen wurden aufgrund der Verletzungen von Menschenrechten sowie der Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Institutionen erlassen», erklärt das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDAExterner Link).

Venezuela warf der Schweiz danach vor, sie beuge sich dem Druck der USA und der EU.

Auch wirtschaftlich sind die Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht sehr intensiv. 2017 importierte die Schweiz Güter für 3,9 Mio. Franken, vor allem landwirtschaftliche Produkte. Die Exporte (vor allem Pharma-Produkte, Maschinen und Präzisionsinstrumente) betrugen 76,3 Mio.

2017 lebten rund 1200 Schweizer Staatsangehörige in Venezuela. Bis 2015 hatte die Schweiz in ihrer Vertretung in Caracas einen Botschafter. Nach der letzten Schweizer Botschafterin in Venezuela (Sabine Ulmann, die 2015 aus Venezuela in den Ruhestand ging und 2016 von Bern «wegen beruflichen Fehlverhaltens» entlassen wurde) wurde Bénédict De Cerjat, derzeitiger Leiter der Abteilung Amerika im EDA, zum Leiter der Schweizer Botschaft in Venezuela ernannt.

Im Februar 2016 wurde er wegen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes als «persona non grata» aus Venezuela ausgewiesen. Er hatte kritische Kommentare gegen Venezuelas Regierung veröffentlicht.

Seit August 2016 ist Didier Chassot als «Chargé d’affaires» akkreditiert. Warum die Schweiz in Venezuela seit 2015 keinen offiziellen Botschafter mehr hat, will das EDA nicht begründen.

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