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Todesstrafe-Initiative zurückgezogen

Töten statt wegsperren. Die Initianten forderten eine schärfere Gangart gegen Sexualmörder. Keystone

Aufmerksamkeit erregen und die Bevölkerung auf die Missstände aufmerksam machen: Dies wollten die Initianten offenbar mit ihrer Initiative für die Wiedereinführung der Todesstrafe.

Gefordert wurde die Todesstrafe für Personen, die «in Kombination mit einer sexuellen Handlung mit einem Kind, sexueller Nötigung oder Vergewaltigung eine vorsätzliche Tötung oder einen Mord begehen».

Hinter dem siebenköpfige Komitee soll keine politische Gruppierung stehen. Die Initianten stammen aus dem Umfeld eines Opfers. Sie sehen das Hauptproblem im Schweizer Rechtssystem. Dieses stehe total auf der Täterseite – statt auf jener des Opfers.

Der Täter müsse bestraft werden, nicht die Hinterbliebenen, die zudem keine Möglichkeit hätten, sich zu wehren, führen Initiativsprecher Marcel Graf und seine Mitstreiter an. Kritisiert wird auch, dass die «Nichtanwendung der Verwahrungs-Initiative eine Volksverarschung» sei.

Dass der Täter im Gefängnis Unterkunft, warmes Essen, Unterhaltung und mehr Beschäftigungsmöglichkeiten als mancher Obdachloser bekomme, ist dem Komitee ein weiterer Dorn im Auge.

«Keine Frage, für uns wäre die Todesstrafe, wie in der Initiative beschrieben, die Lösung vieler Punkte», schreibt das Komitee. Das Verfahren ziehe sich seit eineinhalb Jahren ohne Ergebnis hin.

Noch vor Kurzem hatte das Komitee argumentiert, wenn die Todesstrafe nur ein einziges Opfer verhindern könne, würde sich die Initiative lohnen.

Ziel erreicht

Die Initianten haben tatsächlich Aufmerksam erregt: Das Thema wirft seit dem Bekanntwerden der Initiative in der letzten Woche nicht nur in der Schweiz hohe Wellen. So schreibt etwa die österreichische Zeitung Der Standard: «Wenn die Initiative für zulässig erklärt wird, wird die Schweiz mehr als in der Minarett-Debatte am Pranger stehen.»

Das umstrittene Volksbegehren hatte die formale Prüfung der Bundeskanzlei bestanden, wie am Dienstag im Bundesblatt mitgeteilt worden war. Die Initianten hätten bis zum 24. Februar 2012 Zeit gehabt, um die notwendigen 100’000 Unterschriften zu sammeln.

In der Politik war die Initiative auf breite Ablehnung gestossen. Die Sozialdemokratische Partei (SP), die Freisinnigen (FDP) und die Chrstlichdemokraten (CVP) bezogen deutlich Stellung gegen die Todesstrafe.

Die rechtsnationale Schweizerische Volkspartei (SVP) zeigte hingegen Sympathien für die Idee, das Stimmvolk darüber entscheiden zu lassen.

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Demokratie-würdig?

«Todesstrafe oder nicht – diese Diskussion darf im Europa des 21. Jahrhunderts schlicht nicht mehr geführt werden. Um die wichtigsten Grundrechte zu wahren, muss es deshalb auch in einer direkten Demokratie Mechanismen geben, die solche Initiativen von vornherein ausschliessen», schreibt Der Standard.

Dies ist in der Schweiz nicht der Fall. Erst nach der Sammlung von 100’000 Unterschriften entscheidet das Parlament, ob eine Initiative rechtlich zulässig ist.

Laut Rechtsexperten muss eine Initiative nicht für unzulässig erklärt werden, wenn sie gegen von der Schweiz unterzeichnete Protokolle der Menschenrechts-Konvention verstösst.

Dieses Problem will die freisinnige Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret mit einer parlamentarischen Initiative lösen. Diese verlangt eine Änderung der Bundesverfassung, «dass in Fällen, in denen sich die Frage stellt, ob eine Volksinitiative für ungültig erklärt werden soll, eine richterliche Instanz (z. B. eine für Verfassungsfragen zuständige Abteilung oder das Gesamtgericht des Bundesgerichtes) auf Ersuchen und vor Beginn der Unterschriftensammlung über diese Frage entscheidet.»

Moret hatte ihre Initiative im Dezember 2009 eingereicht. Diese wurde bislang im Plenum noch nicht behandelt.

Auf internationaler Ebene hat sich die Schweiz verpflichtet, auf die Todesstrafe zu verzichten. So ratifizierte sie 1987 und 2002 die Protokolle Nr. 6 und 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), welche die Todesstrafe in Friedenszeiten untersagen.

Initiative «still einschlafen lassen»

Mit dem Rückzug hat sich die Initiative zur Wiedereinführung der Todesstrafe erledigt. Trotz der Publikation im Bundesblatt brauchen sich weder Bundeskanzlei noch Initianten weiter damit zu beschäftigen, verlautet aus der Bundeskanzlei.

Die Initianten müssten nichts unternehmen, um die Initiative zu löschen. Sollten sie sich schriftlich bei der Bundeskanzlei melden, würde das Dossier gestrichen.

Andernfalls laufe die 18-monatige Frist zur Unterschriftensammlung einfach weiter. Danach würde die Bundeskanzlei in einer Notiz im Bundesblatt mitteilen, dass die Initiative nicht in der vorgeschriebenen Frist mit der notwendigen Anzahl Unterschriften eingereicht wurde.

swissinfo.ch und Agenturen

Die Initiative verlangt die folgenden Änderungen der Bundesverfassung:

Art. 10 Abs.1 und 3

1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Wer in Kombination mit einer sexuellen Handlung mit einem Kind, sexueller Nötigung oder Vergewaltigung eine vorsätzliche Tötung oder einen Mord begeht, verliert sein Recht auf Leben und wird mit dem Tod bestraft. In allen anderen Fällen ist die Todesstrafe verboten.

3 Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten. Ausgenommen ist die Todesstrafe.

Art. 123a Abs. 4 (neu)

4 Wer in Kombination mit einer sexuellen Handlung mit einem Kind, sexueller Nötigung oder Vergewaltigung eine vorsätzliche Tötung oder einen Mord begeht, wird hingerichtet, unabhängig von Gutachten oder wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der Bund vollzieht die Hinrichtung. Die Hinrichtung wird innerhalb von drei Monaten, nachdem die Verurteilung rechtskräftig geworden ist, vollzogen. Das Gericht legt das Hinrichtungsdatum und die Hinrichtungsmethode fest.

Überdies verlangt die Initiative, dass die genannten Verbrechen auch rückwirkend mit dem Tod bestraft werden.

In der Schweiz ist die Todesstrafe seit 1942 im zivilen Strafgesetzbuch abgeschafft.

Im Kriegsfall blieb sie bis 1992 bestehen – für Delikte wie Landesverrat, Feind-Begünstigung, Mord und Plünderung.

Die letzte Hinrichtung erfolgte 1944.

In Europa praktiziert heute nur noch Weissrussland die Todesstrafe.

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