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Tunesisches Staatsradio mausert sich zum Service Public

Refka Abidi, Lokal-Journalistin von Radio Kef in Jendouba bei einer Strassenumfrage. Benjamin Keller

Die Schweiz beteiligt sich an der Modernisierung des Radios der jungen arabischen Demokratie im Rahmen einer Partnerschaft mit der "Stiftung Hirondelle". In den Randregionen des Landes wurden zwanzig Lokal-Korrespondenten ausgebildet.

«Vor der Revolution von 2011 war das tunesische Radio ein Propaganda-Werkzeug. Wir erhielten die präsidiale Aktualität pfannenfertig zur Ausstrahlung. Die schlechten Gewohnheiten zu ändern, braucht Zeit.» Diese Feststellung macht der 40-jährige Ali Menef Jelassi, der seit August 2014 Direktor von Radio KefExterner Link ist, eine von fünf regionalen Senderketten des tunesischen Radios. Der Mann weiss, wovon er redet. Er war der Institution bereits 1998 als Journalist beigetreten. Um die «schlechten Gewohnheiten zu ändern», kann er auf helvetische Unterstützung zählen.

Stiftung Hirondelle

Die 1995 gegründete Stiftung hat ihren Sitz in Lausanne. Sie ist spezialisiert für die Errichtung und Unterstützung von Lokalradios in Krisengebieten, bildet lokale Journalisten aus und bietet in den jeweiligen Landessprachen unabhängige Informationen an.

Bisher war die Stiftung in Liberia, Nepal, Kosovo, Ruanda, der Zentralafrikanischen Republik, Südsudan, Timor, Mali und Tunesien tätig.

Die grössten Geldgeber für ihr Jahresbudget von 10 Millionen Franken sind neben der Schweiz, die rund einen Viertel beiträgt, die EU-Staaten sowie die USA.

Im Rahmen der Unterstützung des Übergangsprozesses zu einer Demokratie in Tunesien, der nach dem Sturz des Regimes von Zine e-Abidine Ben Ali im Jahr 2011 begann, finanziert die Schweiz ein Projekt mit dem Ziel, «zum Übergang von einem Staatsradio zu einem Medium im Dienst der Öffentlichkeit beizutragen», sagt Souhaib Khayati. Er ist in der Abteilung internationale Kooperation der Schweizer BotschaftExterner Link in Tunis für das Programm zuständig.

Mit der Zusammenarbeit mit dem tunesischen RadioExterner Link ist die Stiftung HirondelleExterner Link betraut worden, eine Schweizer Nicht-Regierungsorganisation, die für die Errichtung von unabhängigen Medien in Krisenregionen spezialisiert ist. «Wir wirken hier als Begleiter, was sich ein wenig von unseren traditionellen Tätigkeiten unterscheidet», sagt Marc Vuillermoz, Medienexperte der Stiftung in Tunesien, wo vier Personen tätig sind. Der 57-jährige Franzose hat während 23 Jahren bei Radio France gearbeitet, davon während 18 Jahren als Programmdirektor der regionalen Senderketten.

Auf Regionalradios ausgerichtet

Gestartet wurde das Projekt im Juli 2011. Das erste Ergebnis war die Ausbildung der Journalisten, um nach der Revolution eine unparteiische, pluralistische und ausgeglichene Berichterstattung über die Wahlen vom 23. Oktober dieses Jahres für die Nationalversammlung sicherzustellen. Seitdem konzentrieren sich die Anstrengungen vor allem auf die Modernisierung der Regionalradios, die sich im Landesinnern befinden und im Vergleich zu jenen an der Küste vernachlässigt worden waren. Die Unterstützung dieser benachteiligten Regionen gehört zu den Prioritäten der Entwicklungs- und Kooperationsstrategie der Schweiz.

Radio GafsaExterner Link (Südwesten), Radio TataouineExterner Link (Südosten) und Radio Kef Externer Link(Nordwesten) sind in Zusammenarbeit mit den Redaktionen reorganisiert worden. Um die Erwartungen der Hörer zu erfahren, wurden Umfragen durchgeführt und danach die Programme geändert. Überarbeitet wurden auch das Soundbett, der Rhythmus, die Trailer, die Präsenz am Sender, das Management, aber auch die Arbeitsweise der Journalisten. «Wir haben darauf bestanden, dass sich die Journalisten auch vor Ort ins Bild setzen, was verloren gegangen war», sagt Marc Vuillermoz.

Parallel dazu wurden zehn Korrespondenten-Büros eingerichtet und den regionalen Ketten zugeordnet, um auch die heiklen Orte abzudecken. Diese Sender werden von je zwei Journalisten belegt. Bei den meisten handelt es sich um junge Leute, die erst kürzlich diplomiert wurden und noch wenig Berufserfahrung haben. Sie wurden von Fachleuten und der Stiftung Hirondelle während mehrerer Monate an Ort und Stelle praktisch geschult.

swissinfo.ch hat – in Begleitung von Marc Vuillermoz – eines dieser lokalen Büros in Jendouba besucht. Die kleine Stadt liegt rund zweieinhalb Fahrstunden westlich von Tunis entfernt. Das 2014 eröffnete Büro gehört zu Radio Kef, das von der Stiftung Hirondelle weiterhin begleitet wird.

Refka Abidi (rechts) und Hichem Sghiri arbeiten seit Januar 2014 als Lokaljournalisten für Radio Kef in Jendouba. Benjamin Keller

Die 30-jährige Refka Abidi und der 27-jährige Hichem Sghiri empfangen uns mit einem grossen Lächeln. Das Wiedersehen mit Marc Vuillermoz ist herzlich. Das Büro befindet sich im Zentrum der Stadt. In einem Raum wurde ein Studio eingerichtet. Die Stiftung hat auch einen Computer sowie das für die Aufbereitung der Sendungen erforderliche Material zur Verfügung gestellt.

Die jungen Journalisten arbeiten an sechs Tagen pro Woche in enger Zusammenarbeit mit der Hauptniederlassung von Radio Kef in der fünfzig Kilometer entfernten, gleichnamigen Stadt. Sie werden wöchentlich in Informationszeitungen aber auch in thematischen Programmen erwähnt. Ausserdem werden sie regelmässig von einer der vier nationalen Senderketten des tunesischen Radios in Anspruch genommen. 936 Dinar, also rund 460 Franken, erhalten sie pro Monat, das entspricht dem Doppelten des Durchschnittseinkommens in Tunesien.

Das Bedürfnis, sich auszudrücken

Am Ende des Vormittags verlassen Refka Abidi und Hichem Sghiri das Büro, um mit einer Strassenumfrage die Meinung der Stadtbewohner zum Streik einzuholen, der das Land beschäftigt. In einem Seitengässchen befragen sie eine Gruppe Männer, die dort Schutz vor der Sonne gesucht haben. Passanten halten an, und es bildet sich ein Menschenauflauf. Alle wollen reden und ihre Sorgen ausdrücken, die sich nicht nur auf den Streik beziehen. Ein Greis stellt seine Rechnungen zur Schau, die ihn zu erdrücken drohen, unter den teilnahmslosen Blicken der zahlreichen Störche, die in der Stadt nisten.

«Die Leute sind unglücklich», sagt Refka Abidi zwischen zwei Aufnahmen. «Sie beklagen sich über die Korruption, über die mangelnde soziale Sicherheit, über die fehlende Wasserversorgung. Einige finden, dass die Situation unter Ben Ali besser gewesen sei.»

Tunesien, das erst seit den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Ende 2014 eine stabile Regierung hat, ist mit Herausforderungen in allen Bereichen konfrontiert. Jendouba und alle anderen Verwaltungsbezirke des Nordostens liegen in einer gebirgigen von Landwirtschaft geprägten Region. Die hohe Arbeitslosenrate – sie beträgt mehr als 25 Prozent und liegt deutlich über dem offiziellen nationalen Durchschnitt von 15 Prozent – und verbreiteter Analphabetismus – fast ein Drittel der Bevölkerung – bilden einen Nährboden für Extremismus. Zusammenstösse zwischen bewaffneten Personen und Sicherheitskräften sind keine Seltenheit.

Marc Vuillermoz ist mit den Leistungen seiner Schützlinge zufrieden: «Ich bin beeindruckt. Man spürt das Verlangen der Menschen, sich auszudrücken. Lokaljournalismus ist eine absolute Notwendigkeit.» Beim Debriefing auf der Redaktion sagt er zu den Korrespondenten: «Ihr seid die Fürsprecher dieser Region», ganz im Sinn des neuen Slogans von Radio Kef: «Die Stimme des Nordwestens.»

Wachsendes Publikum

Der Aufwand scheint sich zu lohnen: Radio Kef, Radio Tataouine und Radio Gafsa haben laut dem Umfrageinstitut Sigma Conseil die höchsten Einschaltquoten in ihrer Region. «Es gibt frischen Wind», freut sich Ali Menef Jelassi, Direktor von Radio Kef. «Die Lokalbüros haben einiges bewirkt. Vorher hatten wir die Informationen über irgendein Ereignis in Jendouba am Telefon beschafft. Die Präsenz der beiden Korrespondenten erhöht auch die Abdeckung der Regionen durch die nationalen Senderketten, weil sie über Journalisten an Ort und Stelle verfügen, die mit den Gegebenheiten ihrer Region vertraut sind.»

Bisher ist die Stiftung Hirondelle für die Löhne der zwanzig Auszubildenden aufgekommen. Später sollte das tunesische Radio diese Kosten übernehmen. Verhandelt wird derzeit auch über eine Verlängerung des Unterstützungsprojekts bis 2017 (Vgl. Infobox unten). Ali Menef Jelassi hofft, dass die Änderungen nachhaltig sein werden: «Wenn die Stiftung Hirondelle abgereist sein wird, sollte man mit der Restrukturierung des Service Public weiterfahren. Man muss auch die Gesetze verschärfen, um eine Rückkehr der Propaganda-Berichterstattung zu verhindern.»

Schweiz, einziges Geberland

Ob das Projekt zur Unterstützung des öffentlichen tunesischen Radios bis 2017 verlängert werden soll, wird derzeit geprüft. Eines der Ziele ist es – nach dem Modell dessen, was bereits bei den Radios Gafsa, Tataouine und Kef gemacht wurde – auch die Modernisierung der Regionalradios SfaxExterner Link und MonastirExterner Link zu unterstützen, die ihren Sitz an der Ostküste haben.

Die anderen geplanten Aktionen betreffen die Entsendung von Journalisten ins tunesische Parlament sowie deren Ausbildung für die Berichterstattung über die Debatten und Entscheidungen der Volksvertreter. Ausserdem sind Verbesserungen für den Internetauftritt des Radios sowie der Tonqualität der Sender, insbesondere durch die Beschaffung von geeignetem Material vorgesehen.

Die Schweiz hat seit Juli 2011 insgesamt 2,5 Mio. Franken für das Projekt ausgegeben und könnte weitere 1,5 Mio. sprechen. Das Land, das schon während der ersten Projektphase der wichtigste Spender war, ist gegenwärtig der einzige Geldgeber.

Das Programm zur Unterstützung der Demokratisierung Tunesiens umfasst Entwicklungs- und Zusammenarbeitsprojekte in den Bereichen Wirtschaft, Migration und Demokratie, mit Schwerpunkt auf die Randregionen.

Das Jahresbudget ist zwischen 2011 und 2014 von 10 auf 25 Mio. Franken angestiegen. Derzeit werden rund 70 Projekte unterstützt.

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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