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Ukraine-Krieg: «Wenn wir nicht über das Verbrechen der Aggression urteilen, machen wir nur die halbe Arbeit»

Damien Cottier brandit la Convention de Genève au Conseil de l Europe
Der Schweizer Damien Cottier bei einer Dringlichkeitsdebatte über die russische Aggression gegen die Ukraine in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 26. Januar. Copyright 2023 The Associated Press. All Rights Reserved.

Der Europarat fordert die Einrichtung eines internationalen Sondertribunals für die Ukraine. Hinter dem Plan steckt ein Schweizer: der Neuenburger Nationalrat Damien Cottier. Gegenüber dem französischsprachigen Radio und Fernsehen RTS sagte er, dass nur Gerechtigkeit einen "dauerhaften Frieden" ermöglichen könne.

Ist eine Art «neuer Nürnberger Prozess» für die Verbrechen gegenüber der Ukraine möglich? Der Europarat forderte am Donnerstag in Strassburg einstimmig die Einrichtung eines internationalen Sondergerichtshofs. Damit sollen die für den Krieg in der Ukraine verantwortlichen russischen und weissrussischen Kader strafrechtlich verfolgt werden.

Eigentlich wäre der Internationale Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression zuständig. Doch der Gerichtshof kann in diesem Fall nicht aktiv werden, weil weder Russland, die Ukraine noch Weissrussland den Vertrag zur Gründung des Gerichtshofs unterzeichnet haben.

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Der Schweizer Parlamentarier Damien Cottier ist Präsident der Kommission für Rechtsfragen und Menschenrechte des Europarats. In ihrem Auftrag hat er einen Bericht zur Ukraine verfasst. Darin fordert er die Schaffung eines internationalen Sondergerichts zur Aburteilung von Putin und seiner Entourage.

Doch was ist der Straftatbestand der Aggression? «Wer illegal einen internationalen bewaffneten Konflikt beginnt, begeht das Verbrechen der Aggression», erklärte Cottier am Freitag gegenüber RTS. «Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist Kriegsführung verboten. Sie ist keine legitime Verlängerung von Politik und Diplomatie.»

Die Sendung bei RTS (auf Französisch):

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Im Nürnberger Urteil stehe geschrieben, dass das Verbrechen der Aggression das schlimmste Verbrechen sei, weil es alle anderen Verbrechen ermögliche. «Wenn man nicht über das Verbrechen der Aggression urteilt, hat man nur die Hälfte der Arbeit getan. Es ist, als würde man nur die Hälfte der Verbrecher verurteilen», so Cottier.

«Kein Frieden ohne Gerechtigkeit»

Für Cottier ist dieses Sondergericht entscheidend für das Signal, dass die Verletzung des Völkerrechts nicht ohne Konsequenzen bleibt. «Man muss den Opfern, die sehr zahlreich sind, Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ohne Gerechtigkeit wird es keinen dauerhaften Frieden geben.»

Der Europarat ruft daher seine Mitgliedstaaten auf, dieses Sondergericht einzurichten. Dem Europarat gehören mehr Länder an als der Europäischen Union, auch die Schweiz ist Mitglied. Der Europarat hofft auf Unterstützung und Beteiligung möglichst vieler Staaten und internationaler Organisationen, insbesondere der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Er erwartet vom Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs des Europarates im Mai in Reykjavik «politische Unterstützung» für dieses Projekt.

Die Zustimmung der Welt gewinnen

Damien Cottier räumt ein, dass «viel Überzeugungsarbeit» geleistet werden müsse, um eine möglichst breite Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu erreichen.

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Der Sondergerichtshof sollte nicht in der Ukraine eingerichtet werden, da dort «der Eindruck der Voreingenommenheit» entstehen würde. Auch könne die Immunität von Staatschefs nur von der internationalen Gemeinschaft aufgehoben werden, sagte Cottier und nannte das Beispiel des ehemaligen kosovarischen Präsidenten, Hashim Thaçi (2016-2020), der in Den Haag vor Gericht gestellt werden sollte.

«Werden die Verantwortlichen eines Tages vor einem Gericht stehen? Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber eines ist sicher: Wenn wir kein Sondertribunal einrichten, werden sie das nie.» Cottier erinnerte auch daran, dass diese Verbrechen unverjährbar sind.

Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi

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