Die Schweiz, eine Insel des 5G-Widerstands
Während die Werbung blüht, die Antennen spriessen und neue Telefone entstehen, wehren sich unbeugsame Schweizer und Schweizerinnen gegen die Ankunft von 5G. Ein Widerstand, wie ihn scheinbar kein anderes Land kennt.
«Wir lehnen 5G nicht grundsätzlich ab. Wir sagen, dass wir zum heutigen Zeitpunkt nicht über genügend Informationen verfügen, bezüglich möglicher Auswirkungen dieser Technologie auf die Gesundheit», sagt Alberto Mocchi, Präsident der Grünen Partei des Kantons Waadt. Seine Partei hat einen LeitfadenExterner Link (in Französisch) veröffentlicht, der Gemeinden und Einzelpersonen helfen soll, Einspruch gegen den Bau der neuen 5G-Antennen zu erheben.
Diese Aktion gegen 5G ist bei weitem nicht die einzige: Mitte April ergab eine Umfrage der französischsprachigen Zeitschrift L’Illustré, dass 65% der Westschweizer befürchten, 5G-Strahlen beeinträchtigten ihre Gesundheit. Auf nationaler Ebene liegt der Anteil bei 54%, wobei die Deutschschweizer weniger Vorbehalte zu haben scheinen.
Aber die Anti-5G-Bewegung ist gerade daran, die Sprachgrenze zu überschreiten: Nach den Kantonen Waadt, Genf, Neuenburg und Jura, die ein Moratorium prüfen oder de facto eingeführt haben, werden die Parlamente von Bern, St. Gallen und Schwyz sich demnächst mit diesem Thema auseinandersetzen.
Auch in den Städten Schaffhausen, Luzern und in mehreren Gemeinden in Graubünden werden politische Stimmen gegen die neuen Antennen laut. Opposition kommt auch aus der Zivilgesellschaft: Unter dem Motto «Stopp 5G» zirkulieren in der französischsprachigen RomandieExterner Link und der DeutschschweizExterner Link zwei Online-Petitionen, die bereits knapp 60’000 bzw. gut 20’000 Unterschriften gesammelt haben. Die Bewegung ruft zudem zu einer nationalen DemonstrationExterner Link am 10. Mai in Bern auf.
Der Bund gibt sich derweil unnachgiebig. Vergangenen Freitag veröffentlichten das Bundesamt für KommunikationExterner Link (BAKOM) und das Bundesamtes für UmweltExterner Link (BAFU) eine gemeinsame Stellungnahme. Darin stellen sie klar, dass die Moratorien rechtswidrig seien. Der Bund sei zuständig für Fragen bezüglich der Strahlung von Mobilfunk-Antennen und der Auswirkungen auf die Gesundheit.
Zu schnell?
Sind die Schweizer Weltmeister im 5G-Widerstand? «Es geht auch anderswo etwas, vergessen wir nicht die Forderung nach einem Moratorium, das 2017 von 170 WissenschaftlernExterner Link aus 37 Ländern ins Leben gerufen worden war», sagt Mocchi. «Aber das sind Bürgerbewegungen. Auf politischer Ebene geschah bisher wenig. In der Schweiz haben wir das Glück, eine direkte Demokratie zu haben. Es gibt weniger Dirigismus als in anderen Ländern, die Bürger können ihre Rechte leicht geltend machen», so der Politiker.
Auf politischer Ebene ist es vor allem seine Partei, welche die Opposition führt, zusammen mit ihren linken Verbündeten und je nach Kanton mit der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Die Hauptkritik am Bund ist, dass er die Errichtung der neuen Antennen genehmigt hat, obwohl man erst wenig über die Risiken von 5G weiss. Kurz vor ihrem Rücktritt aus der Regierung setzte Bundesrätin Doris Leuthard eine ArbeitsgruppeExterner Link ein, die sich mit diesem Thema befasst. Ihr Bericht wird im Sommer erwartet, verkauft hat das BAKOM die 5G-Konzessionen aber bereits im Februar.
380 Millionen für 3 Betreiber
Wie bereits 2012 für 4G wurden auch für 5G Konzessionen im Internet versteigert. Das BAKOM verkaufte 43 Frequenzblöcke zwischen 700 MHz und 3,5 GHz, die bis Ende 2033 entweder für die Erweiterung von 4G oder für den Einsatz von 5G genutzt werden können.
An der Auktion nahmen vier Betreiber teil: die drei, die den Schweizer Markt teilen, und die Irish Dense Air Ltd – letztere warf jedoch das Handtuch. Swisscom bezahlte 195,5 Millionen Franken, Salt 94,5 Millionen und Sunrise 89,2 Millionen (in gerundeten Zahlen). Der Verkauf brachte dem Bund also rund 380 Millionen Franken ein.
Die Schweiz ist eines der ersten Länder der Welt, das 5G-Konzessionen vergibt.
Ein politischer Fehler? Auf diese Frage antwortet Silvia Canova, Sprecherin des BAKOM, schriftlich: Der Bericht der Arbeitsgruppe sei nicht mit der Einführung von 5G verbunden. Die Installation von Antennen könne genehmigt werden, solange die Bestimmungen des Umweltgesetzes, der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung und des Baurechts eingehalten würden.
Was aber, wenn die Arbeitsgruppe zum Schluss kommt, dass tatsächlich eine Gesundheitsgefährdung vorliegt? «Der aktuelle Rechtsrahmen regelt bereits den Bau und Betrieb neuer Antennen sowie die Strahlungsgrenzwerte, er gilt auch für 5G», ergänzt das BAKOM. Sind spätere Anpassungen nötig, fallen diese in die Zuständigkeit des BAFU.
Die grosse Angst vor Strahlen
Im Oktober 2018 sorgte ein Facebook-Post für Aufregung: Etwa 100 Vögel, die in einem Park in Den Haag tot aufgefunden wurden, starben angeblich wegen eines 5G-Strahlungstests. Allerdings war in besagtem Quartier keine Test-Antenne in Betrieb, wie die zuständige niederländische Regierungsbehörde festhielt.
Ein Beispiel unter vielen, das zeigt, wie sensibel das Thema ist: Seit der ersten Stunde des Radios gibt es Personen, die vor den Ätherstrahlen warnen. Strahlen, die angeblich sogar das Gehirn von Mobilfunksüchtigen überhitzten. 5G, seine zehnfache Leistung und seine 15’000 Antennen, die zu den bereits 18’500 in der Schweiz bestehenden Antennen hinzukommen, lassen alle Ängste wiederaufleben. Und jeder hat sein eigenes Fachwissen – wie dieser 20-Minuten-Leser, der einem anderen Leser folgendes empfiehlt: «Versuche mal, ein Ei in einem 100-Watt-Backofen zu kochen, der 100 Meter entfernt steht. Da kannst du lange warten!»
Die Behörden geben sich gelassen. Die Normen für Elektrosmog sind in der Schweiz deutlich strenger als im übrigen Europa. Die Betreiber planen bereits, diesbezüglich mehr Flexibilität zu fordern, damit das Land die Vorteile von 5G voll ausschöpfen könne. Auf ihren Internetseiten findet man eine Fülle von beruhigenden wissenschaftlichen Erkenntnissen.
… und vor chinesischen Spionen
Bleibt eine weitere Befürchtung, die von 5G-Gegnern im Parlament geäussert wird, insbesondere in den Reihen der SVP: Um ihre Netze aufzubauen, verlassen sich die Betreiber auf ausländische Gruppen, namentlich die Skandinavier Ericsson und Nokia sowie die Chinesen Huawei. Besteht die Gefahr, dass letztere dies nutzen, um das Mobilfunknetz in ein Spionagewerkzeug zu verwandeln?
Diese Befürchtung scheint den Grünen Alberto Mocchi nicht weiter zu beschäftigen. Für ihn sind «der Bund und die Nachrichtendienste a priori in der Lage, wenn nötig Alarm zu schlagen». Das BAKOM fügt an, dass der Bund «keine rechtlichen Mittel hat, um Einfluss auf die Wahl der Dienstleister auszuüben», mit denen die Betreiber zusammenarbeiten. Betreiber, die überdies «für die Integrität und Sicherheit ihrer Netze verantwortlich sind und das Fernmeldegeheimnis und den Datenschutz gewährleisten müssen».
G für Generation
5G ist die fünfte Generation des Mobilfunk-Datenübertragungsstandards GSM. Diesmal geht es nicht nur um Telefone, sondern auch um verbundene Geräte und Maschinen und die zukünftige Smart CityExterner Link.
Ein Beispiel, um sich ein Bild von der Entwicklung zu machen: Wenn Sie heute mit Ihrem Handy in soziale Netzwerke und das Internet gehen und E-Mails und Nachrichten senden, produzieren Sie durchschnittlich 1,5 Gigabyte Daten pro Tag. Ein einziges völlig autonomes Auto hingegen wird 4000 produzieren. Das 4G-Netz ist dafür schlicht nicht geschaffen.
Für den durchschnittlichen Benutzer wird alles, was durch sein Handy geht, schneller. 5G wird auch die so genannte Latenzzeit reduzieren: Die gesendeten Anweisungen werden schneller ausgeführt werden.
5G wird 4G nicht sofort ersetzen, 3G gibt es auch noch. Ihr aktuelles Telefon hat noch viele weitere Jahre vor sich. Zu Beginn des Jahres sorgten die ersten Geräte der neuen Generation auf Technologiemessen für Aufsehen, darunter das berühmte faltbare Huawei-Smartphone, das bei einem Preis von über 2000 Franken weiterhin ein Luxusartikel bleiben wird. Der chinesische Hersteller sowie seine Landsleute Xiaomi und OnePlus, die Koreaner Samsung und LG und der Japaner Sony kündigen alle Modelle an, die in der zweiten Jahreshälfte erhältlich sein werden. Das erste iPhone 5G von Apple wird 2020 erwartet. Der Konzern hat eben erst einen Rechtsstreit mit seinen Chip-Lieferanten hinter sich.
(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)
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