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UNO holt umstrittenen Ex-Staatsanwalt ins Boot

4 personnes dont Nikhil Seth et Ali Bin Fetais Al-Marri, photographiées le jour de la signature de l accord
UNITAR, vertreten durch den UN-Untergeneralsekretär, Nikhil Seth (3. von links), und GOPAC, Vorsitzender von Ali Bin Fetais Al-Marri (4. von links), unterzeichneten Ende 2022 ein Partnerschaftsabkommen. Paula Dupraz-Dobias

Die UNO kooperiert mit dem umstrittenen Ex-Staatsanwalt Ali Bin Fetais Al-Marri in einer Initiative gegen Korruption. Der Katarer ist nun Teil einer Organisation, die gegen Verbrechen kämpft, denen er selbst beschuldigt wird.

Die Ankündigung blieb weitgehend unbemerkt: Am 4. November 2022 unterzeichnete Nikhil SethExterner Link, stellvertretender Generalsekretär der Vereinten Nationen in Genf, eine Partnerschaft mit der Global Organization of Parliamentarians Against Corruption (GOPAC), deren Vorsitzender Ali Bin Fetais Al-Marri ist.

Das Abkommen zwischen GOPAC und dem Institut der Vereinten Nationen für Ausbildung und Forschung (UNITAR) soll den Kampf gegen Korruption stärken. Das Abkommen sieht die Erarbeitung eines Handbuchs zur «Anti-Korruptions-Schulung von Parlamentarier:innen in allen Ländern der Welt» vor, steht in einer Pressemitteilung.

Die Verantwortlichen werden 2023 und 2024 Workshops und Runde Tische abhalten, um über diese «endemische Geissel vieler Staaten zu diskutieren, Erfahrungen auszutauschen und Vorschläge zu ihrer Bekämpfung zu unterbreiten».

Obwohl die Initiative hehre Ziele verfolgt, wirft die Entscheidung der UNO, mit Ali Bin Fetais Al-Marri zusammenzuarbeiten, Fragen auf.

Die Integrität des 58-jährigen Richters, der von 2002 bis 2021 Generalstaatsanwalt von Katar war, wird in zahlreichen Presseartikeln und Büchern in Frage gestellt. Gegen ihn sind oder waren diverse Klagen anhängig, unter anderem in der Schweiz, in Frankreich, Grossbritannien und den USA.

Auch die Wahl von GOPAC wirft Fragen auf. Die 2002 gegründete Organisation gibt an, 170 Parlamentarier:innen aus verschiedenen Ländern zu vereinen, um «Korruption zu bekämpfen und sich für eine gute Regierungsführung einzusetzen». Es existieren aber kaum Informationen über ihre Aktivitäten während den letzten 20 Jahren.

Die GOPAC-Website wurde seit 2011 «aufgrund fehlender Mittel» nicht mehr aktualisiert. Als dieser Artikel fertiggestellt wurde, waren auf der Startseite nur folgende Sätze zu lesen: «New website under development. Something interesting is coming!» Anfragen von SWI blieben unbeantwortet.

Screenshot der Startseite der GOPAC-Website.
Screenshot der Startseite der GOPAC-Website. GOPAC

Teure Liegenschaften in Paris und Genf

Über Al-Marri ist hingegen einiges bekannt. 2021 reichte ein entferntes Mitglied der katarischen Herrscherfamilie namens Scheich Ahmed Khalid Bin Mahammad Bin Ali At-Thani in Paris und der Schweiz Klage gegen ihn ein.

Kürzlich wurde ein Richter ernannt, der den Fall in Paris untersuchen soll, wie eine mit der Angelegenheit vertraute Person gegenüber SWI bestätigt hat. In der Klage wird Al-Marri unter anderem der Korruption und Veruntreuung öffentlicher Gelder beschuldigt.

Eine weitere Klage wurde vom Unternehmer Jean-Pierre Marongiu in Frankreich eingereicht. Er beschuldigt den Katarer, für seine Festnahme und Verurteilung unter fadenscheinigen Vorwänden verantwortlich zu sein.

Marongiu verbrachte fast fünf Jahre – zwischen 2013 und 2018 – in einem katarischen Gefängnis. Ihm wurde vorgeworfen, «ungedeckte Schecks ausgestellt und gegen ein Ausreiseverbot verstossen zu haben», was er jedoch bestreitet.

Marongiu erklärte, dass Scheich Faysal Bin Jassim Al-Thani, ein Mitglied der katarischen Königsfamilie, Mehrheitsaktionär seines Unternehmens wurde, obwohl Al-Thani keinen Cent in die Firma investiert hatte. Der Scheich soll den Franzosen betrogen und in mit Hilfe von Al-Marri hinter Gitter gebracht haben.

Marongiu beschreibt dies in zwei Büchern zum Thema. Die Kläger in beiden Fällen werden von dem Pariser Anwalt Gilles-William Goldnadel vertreten.

Im Dezember 2022 wandte sich der französische Abgeordnete Philippe Latombe an die Pariser Finanzstaatsanwaltschaft. Latombe wies auf verdächtige Geldströme von Al-Marri hin. Laut dem Abgeordneten erhielt Al-Marri als Staatsanwalt zwar nur ein monatliches Gehalt von 12’000 Euro, kaufte aber 2013 ein Stadthaus in Paris für 9,6 Millionen Euro.

Im selben Jahr kaufte er in der Schweiz, genauer in Cologny im Kanton Genf, eine Immobilie für rund 7 Millionen Franken. 2015 wurde der katarische Magistrat auch Eigentümer eines Gebäudes in Grand-Saconnex, ebenfalls im Kanton Genf, für knapp 3,7 Millionen Franken. Latombe vermutet, dass ein «korruptes System» diese Käufe ermöglicht hat.

Auch in Büchern über den Golfstaat erfährt man Interessantes über Al-Marri. In «Le vilain petit Qatar. Cet ami qui vous veut du mal» beschreiben die Autoren Nicolas Beau und Jacques-Marie Bourget Al-Marri als den Mann, der die schmutzigen Aufträge der Herrscherfamilie ausführt. «Auf Wunsch der Paläste in Doha verfolgt und verklagt er unbequeme Personen.»

Und im Buch «Qatar, les secrets d’une influence planétaire«, das im vergangenen Herbst erschienen ist, heisst es, dass Al-Marri sich in den USA für die Freilassung von zwei Familienmitgliedern eingesetzt habe, die in Afghanistan für die Al-Qaida gekämpft hatten und in Guantanamo inhaftiert waren.

Folgenlose Klage

Bislang blieb Al-Marri von der Justiz unbehelligt. Eine Untersuchung wegen des Missbrauchs von Gesellschaftsvermögen und Geldwäsche, die aufgrund einer Anzeige von Scheich Ahmed Khalid Bin Mahammad Bin Ali At-Thani in der Schweiz eingeleitet wurde, hat die Bundesanwaltschaft (BA) im April 2022 eingestellt.

Die Bundesanwaltschaft kam zum Schluss, dass die Gelder, die Al-Marri für den Erwerb verschiedener Immobilien in Genf verwendet hatte, «von Konten stammten, die auf seinen Namen eröffnet und aus seinem eigenen Vermögen in Katar gespeist wurden». Daher könne keine Absicht, die Herkunft der Gelder zu verschleiern, festgestellt werden.

In Frankreich bemühen sich die Anwälte Al-Marris um eine Erklärung. «Sowohl in Paris als auch in Genf läuft alles auf den Namen von Herrn Ali Bin Fetais Al-Marri, während sich andere hinter Firmen verstecken, welche den wahren Eigentümer verschleiern», sagten die Verteidiger während eines Interviews mit SWI in Paris.

Und sie ergänzten: «Die Einkünfte von Herrn Ali Bin Fetais Al-Marri liegen weit über der erwähnten Summe von 12’000 Euro. Sein Vermögen stammt aus verschiedenen Immobilieninvestitionen, die er in den letzten 20 Jahren in Katar getätigt hat.»

Wie die meisten Grundstückseigentümer in Katar habe Al-Marri aufgrund des Wirtschaftswachstums des Emirats und der Explosion der Immobilienpreise hohe Gewinne erzielt.

Seine Anwälte sprachen von einer «juristischen und medialen Offensive Frankreichs gegen das Emirat». Zuletzt veröffentlichte die französische Tageszeitung einen langen, mehrteiligen Bericht mit dem Titel «Soupçons d’ingérence étrangère: l’ombre du Bahreïn sur la dénonciation de corruption du Qatar en France«, der mit einem Foto von Al-Marri illustriert war.

Seine Anwälte betonen, dass Al-Marri «seit vielen Jahren Opfer einer Verleumdungskampagne ist, die sich auf keine ernsthaften Fakten stützt». Die in Grossbritannien und den USA eingereichten Klagen sind noch anhängig.

Briefkastenfirma in Genf

Trotzdem bleiben Fragen offen, zum Beispiel jene nach Al-Marris Wohnsitz, während er noch Staatsanwalt in Katar war. Das Gebäude in Grand-Saconnex wurde im Namen der Gesellschaft GSG Immobilier SA erworben, die am 26. Oktober 2015 gegründet worden war.

Gemäss Handelsregister-Eintrag gab Eigentümer Al-Marri damals an, seinen Wohnsitz in Cologny zu haben. Zur gleichen Zeit war er jedoch noch Beamter in Katar.

Ab 2017 war in diesem Gebäude das Rule of Law and Anti-Corruption Center (ROLACC) untergebracht. Diese Organisation wurde 2009 von Al-Marri in Doha gegründet und hat ebenfalls den Auftrag, Korruption zu bekämpfen.

Das ROLACC war Teil einer gross angelegten Marketingaktion, die Katar nach dem Gewinn der Ausschreibung für die Fussballweltmeisterschaft 2010 startete, um sich bei den Vereinten Nationen zu profilieren. Die Organisation arbeitete unter anderem mit dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) zusammen.

Im Jahr 2021 gab ROLACC sein internationales Zentrum an der Route de Ferney in Le Grand-Saconnex auf und beschränkt sich seither auf einen Briefkasten, der der Firma Eversheds Sutherland in der Rue du Marché in Genf gehört. Anfragen von SWI gegenüber ROLACC, das von einem Verwandten Al-Marris geleitet wird, blieben unbeantwortet.

Als Al-Marri im November 2022 von SWI zu den Anklagen gegen ihn und den Aktivitäten des ROLACC befragt wurde, antwortete er, dass das Institut nun in Katar ansässig sei. «Ich habe keine Ahnung von den Anklagen gegen mich, ich kämpfe gegen Korruption», sagte er.

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Quellen:

«Qaptif. Un Français otage du Qatar» et «Aussi noire que soit ma nuit, je reviendrai vers toi», Éditions Les Nouveaux Auteurs

«Le vilain petit Qatar. Cet ami qui vous veut du mal», Éditions Fayard, April 2013

«Le Qatar en 100 questions, les secrets s’une influence planétaire» von Christian Chesnot, Éditions Tallendier

Editiert von Virginie Mangin und Pauline Turuban, Übertragung aus dem Französischen: Christoph Kummer

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