«Switzerland first»: Cassis bricht mit seinen Vorgängern
Der neue Schweizer Aussenminister hält seine erste internationale Rede in Genf vor dem UNO-MenschenrechtsratExterner Link. Ignazio Cassis unterstreicht dabei das Interesse der Regierung an der Verteidigung der Menschenrechte – die damit verbundenen Werte erwähnt er nicht: Ein pragmatischer, gar kalter Ansatz, der mit dem seiner Vorgänger bricht.
Unmittelbar nach der emotionalen RedeExterner Link des UNO-Hochkommissars für Menschenrechte, Zeid Raad al-Hussein, zu den zahlreichen Krisen und Gräueltaten, welche die Welt bluten lassen, ergriff Aussenminister Cassis das Wort. In einem Saal voller Diplomaten und hochrangigen Beamten aus der ganzen Welt hielt er eine äusserst bodenständige Rede zur Verteidigung der Menschenrechte.
Cassis begann mit dem Jubiläum, das die 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedete Menschenrechtserklärung in diesem Jahr feiert. Er erinnerte sodann an seine Aufgabe als Schweizer Aussenminister: die Interessen seines Landes und der Schweizer und Schweizerinnen zu verteidigen, «die nach Frieden und Wohlstand streben».
«Wir alleine [die Schweizer und Schweizerinnen] können den Frieden nicht garantieren. Und um Wohlstand aufzubauen, brauchen wir stabile Handelssysteme und Exportmöglichkeiten (…). Der Schlüssel hierfür ist die Rechtsstaatlichkeit, ein System, das auf Gesetzen basiert und nicht auf dem Recht des Stärkeren. Kriege sind unnötig [kostspielig, wird er später sagen]. Stabilität und Rechtssicherheit fördern die Wirtschaft und bringen uns Wohlstand. Durch die Formulierung allgemein anerkannter Rechte trägt die Menschenrechtserklärung zur Stärkung dieser Rechtsstaatlichkeit bei. Einige dieser Rechte schaffen direkt die Voraussetzungen für Wohlstand: Insbesondere die freie Meinungsäusserung, die Versammlungsfreiheit sowie die wirtschaftliche Freiheit und die Garantie des Privateigentums sind Grundlagen jeder innovativen und wohlhabenden Gesellschaft.»
Die Schweiz, die Schweiz, die Schweiz
Ein paar Worte verlor Cassis auch über den Rest der Welt: Er sprach vom Schweizer Engagement zur «Linderung des Leids von Menschen in Not und zur Bekämpfung der Armut sowie zur Förderung der Achtung der Menschenrechte». Danach aber bekräftigte er nochmals: Die Schweiz unterstütze die UNO-Menschenrechtserklärung vor allem, weil dies im Interesse des Landes liege. «Eine starke und funktionierende internationale Ordnung ist wichtig, um die Interessen der Schweizer und Schweizerinnen zu wahren, damit sie in Frieden und Wohlstand leben können. Hierfür brauchen wir die Erklärung von 1948.»
Nur Worte? Ja, aber Worte haben Gewicht in der Diplomatie. Ignazio Cassis erweckte den Eindruck, als wende er sich mit seiner Rede in erster Linie an seine Mitbürger und Mitbürgerinnen.
Es stimmt: Das Schweizer Stimmvolk wird über eine InitiativeExterner Link der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) entscheiden, die den Vorrang von nationalem Recht gegenüber internationalen Konventionen und Verträgen in der Verfassung verankern möchte. Seine Rede gibt einen Einblick in die Argumente, mit denen die Schweizer Regierung gegen die Annahme der Initiative kämpfen könnte.
Aber ist die Eröffnung der 37. Sitzung des UNO-Menschenrechtsrats in Genf der richtige Ort, für eine RedeExterner Link pro domo? Cassis Worte erinnern in merkwürdiger Weise an die Rede des US-Präsidenten Donald Trump am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. Trump sprach sich dort im Januar für «Amerika zuerst, aber nicht allein» aus. Cassis Worte bestätigen auf jeden Fall die Richtung nach rechts, die der neue Aussenminister im Vergleich zu seinen Vorgängern eingeschlagen hat.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs strebt die Schweizer Diplomatie das Wohlwollen der Internationalen Gemeinschaft sowie die Stärkung der Menschenrechte an. Ob die spärliche Empathie für den Rest der Welt in der Rede Cassis das beste Mittel dafür ist, wird sich zeigen.
(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)
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