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So begegnet die Schweizer Entwicklungshilfe der Migration

Eine demonstrierende Menschenmenge aus der Luft fotografiert.
Proteste gegen die Sparpolitik der Regierung in Tunesien: Die Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt sind gering, auch für gut ausgebildete Menschen. Tunesien ist aber auch Empfänger- und Transitland für Migranten und Flüchtlinge AFP

Bedingungen schaffen, damit Menschen in ihren eigenen Ländern in Frieden leben und ihre Träume verwirklichen können: Das will auch der in der Schweiz umstrittene und vorläufig auf Eis gelegte UNO-Migrationspakt. Bereits heute unterstützt die Schweiz Projekte, die diese Ziele verfolgen.

Die Schweiz hat bisher mit Bosnien und Herzegowina (2009), Serbien (2009), Kosovo (2010), Nigeria (2011), Tunesien (2012) und Sri Lanka (2018) eine Migrationspartnerschaft abgeschlossen.

Gemäss dem Staatssekretariat für Migration (SEMExterner Link) lässt sich der Inhalt dieser Partnerschaften je nach Partnerstaat, Länderkontext und den Interessen der Unterzeichner flexibel gestalten. Sie gehen weiter als die «traditionellen Themen» der Rückübernahme, Rückkehrhilfe, Visumpolitik oder Bekämpfung des Menschenhandels.

Zuständig für den Abschluss von Migrationspartnerschaften sind das SEM im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement sowie die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DezaExterner Link) und die Abteilung Menschliche Sicherheit (AMSExterner Link) im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDAExterner Link), welche die Projekte finanziell und mit Fachwissen unterstützen.

Anfangs Woche hat die internationale Staatengemeinschaft in Marrakesch den UNO-Migrationspakt offiziell angenommen. Ohne die Schweiz. Zwar steht die Regierung hinter dem Pakt. Doch hat sie sich nach dem Eingang von mehreren parlamentarischen Vorstössen dazu entschieden, den Ausgang der Debatten im Parlament abzuwarten.

Die Schweiz unterstützt bereits Projekte, in denen die Verbindung von Migration und Entwicklung und der Schutz der Menschenrechte von Migrantinnen und Migranten eine zentrale Rolle spielen. Diese Projekte entstanden unter anderem im Rahmen sogenannter Migrationspartnerschaften, einem relativ jungen Instrument der Schweizer Migrationsaussenpolitik. Eine Auswahl im Überblick:

Geopolitische Situation: Bosnien-Herzegowina ist seit dem Balkan-Krieg ein ethnisch und religiös fragmentiertes Land mit einem uneinheitlichen politischen Staatsgefüge. Die Diaspora in der Schweiz ist sehr heterogen, will sich aber für die Heimat einsetzen. Die Beziehungen zwischen ihr und ihrem Herkunftsland beruhen vor allem auf persönliche Beziehungen. Eine systematische Kommunikation und Zusammenarbeit mit den lokalen und nationalen Behörden sind im Aufbau.

Was sind die Migrationstreiber? In den 1960er- und den 1980er-Jahren kamen mehrheitlich unqualifizierte Saisonarbeiter in die Schweiz. 1991 setzte die Schweiz der Arbeitsmigration aus den Folgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens, ein Ende. Infolge des Balkan-Krieg erreichte die Zahl der Asylgesuche 1993 mit fast 7000 Personen einen Höhepunkt, worauf der Bundesrat die kollektive vorläufige Aufnahme der Kriegsflüchtlinge beschloss. Diese wird 1995 wieder aufgehoben.

Auch nach Kriegsende gestaltet sich die nationale Versöhnung in Bosnien-Herzegowina schwierig und erschwert die Rückkehr der Flüchtlinge und ihre Wiederansiedlung in ihrer Heimat. Seitdem sind Familienzusammenführungen und Härtefälle die Hauptgründe für die Einwanderung in die Schweiz.

Wie viele Migranten brechen auf, wie viele erreichen allenfalls die Schweiz? In der Schweiz leben Schätzungen zufolge um die 60‘000 aus Bosnien-Herzegowina stammende Personen. Die Mehrheit der in der Schweiz lebenden Menschen aus Bosnien-Herzegowina haben einen Ausweis B oder die Niederlassungsbewilligung C. 1998 bis 2006 stieg die Einbürgerungsrate der bosnischen Staatsangehörigen, vermindert sich aber seit 2006.

Wie reagiert die Schweiz auf die Migrationstreiber? Die «i-platformExterner Link«, die in Partnerschaft mit der Deza aufgebaut wurde, ermöglicht der Diaspora in der Schweiz einen Beitrag an die wirtschaftliche, soziale, kulturelle und demokratische Entwicklung von Bosnien-Herzegowina zu leisten. Eine ethnisch und konfessionell unabhängige Diaspora-Plattform erfüllt eine doppelte Brückenfunktion: sowohl innerhalb der Diaspora in der Schweiz als auch in der fragmentierten Gesellschaft in Bosnien-Herzegowina.

Geopolitische Situation: Seit Ende des Bürgerkrieges, bleibt die Lage in Sri Lanka instabil und wird von der gegenwärtigen politischen Krise verschärft. Die Schweiz unterstützt den Reform- und Versöhnungsprozess seit dem Bürgerkrieg. Zwischen 2005 und 2016 leistete die Schweiz zudem humanitäre Hilfe für den Wiederaufbau nach dem Krieg und nach dem Tsunami von 2004.

Was sind die Migrationstreiber? Jährlich entfliehen mehrere Hunderttausend Menschen der Armut aus Sri Lanka. Mit ihrem Gehalt im Ausland verbessern sie die Gesundheit und die Bildung ihrer zurückgebliebenen Familien. Zwischen 2009 und 2018 haben sri-lankische Arbeitsmigranten durchschnittlich mehr als 500 Millionen US-Dollar in ihre Heimat überwiesen.

Arbeitsmigranten werden aufgrund mangelnder Informationen und Kenntnisse ihrer Rechte oft Opfer von unethischen Rekrutierungspraktiken und von Ausbeutung. Insbesondere Frauen werden Opfer von sexueller Gewalt oder Menschenhandel.

Wie viele Migranten brechen auf, wie viele erreichen allenfalls die Schweiz? Rund 3 Millionen sri-lankische Bürgerinnen und Bürger leben im Ausland, davon etwa 50’000 in der Schweiz. Die meisten sind infolge des Bürgerkriegs von 1983-2009 geflüchtet oder wegen politischer Repressionen und Verfolgung. 2017 wurden in der Schweiz 840 Asylgesuche von sri-lankischen Staatsangehörigen eingereicht (rund 38% weniger als im Vorjahr).

Wie reagiert die Schweiz auf die Migrationstreiber? Im von der Deza unterstützten ILO-Projekt «Sichere ArbeitsmigrationExterner Link» werden Arbeitsmigranten beraten und über ihre Rechte informiert. Migrantinnen und Migranten sollen vor Ausbeutung geschützt werden. Das Projekt trägt auf diese Weise dazu bei, die Arbeitsmigration fair und sicher zu gestalten, die positiven Aspekte der Arbeitsmigration zu maximieren und die negativen Folgen zu minimieren.

Eine Frau schaut einem Mädchen mit Kopftuch beim Nähen zu.
Bessere Perspektiven dank Berufsbildung: Justizministerin Simonetta Sommaruga beim Besuch einer von der Schweiz mitfinanzierten Schule in Sri Lanka. KEYSTONE/PATRICK HUERLIMANN

Geopolitische Situation: Die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen in Nordafrika, inklusive Tunesien, sind seit dem «Arabischen Frühling» weiterhin gross. Tunesien ist in den letzten Jahren sowohl zu einem Herkunftsland für Migrantinnen und Migranten als auch zu einem Empfänger- und Transitland für Migranten und Flüchtlinge geworden.

Was sind die Migrationstreiber? Die Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt in Tunesien und in der Region sind gering. Selbst gut ausgebildete Menschen haben kaum Chancen eine Anstellung zu bekommen. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt rund 29% (2017). Konflikte, u.a. in Libyen und am Horn von Afrika, führen zu Instabilität und Migration nach und durch Tunesien. 

Wie viele Migranten brechen auf, wie viele erreichen allenfalls die Schweiz? Gemäss der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben zwischen 2011 und 2017 etwa 94,000 Personen Tunesien verlassen, davon 84% in Richtung Europa. 2018 wurden bis Oktober 5’000 Tunesier gezählt, welche die Küste Italiens erreicht haben. Ende Oktober 2018 waren in der Schweiz 262 Asylgesuche von tunesischen Staatsbürgern hängig.

Wie reagiert die Schweiz auf die Migrationstreiber? Mit diesen zwei Projekten sollen die Chancen von jungen Tunesiern auf dem Arbeitsmarkt gesteigert und die Arbeitsbedingungen in Tunesien verbessert werden.

Das Deza-Projekt «Tunesische Gemeinschaft mit Wohnsitz in der Schweiz» (CTRSExterner Link), das in Zusammenarbeit mit der Schweizer Botschaft in Tunis umgesetzt wird, nutzt die Fähigkeiten und das Know-How der tunesischen Diaspora in der Schweiz für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung ihres Heimatlandes. Projekte tragen zum Beispiel dazu bei, dass junge Tunesier die Kompetenzen erhalten, die auf dem dortigen Arbeitsmarkt gesucht werden.

Im Projekt «Faire und Ethische Rekrutierung» (FAIRExterner Link) geht es darum, die Ausbeutung von Arbeitsmigranten zu verhindern und die Rekrutierungsprozesse zu verbessern. Das Projekt der Internationalen Arbeitsorganisation ILO wird mit Unterstützung der Deza in drei besonders von Arbeitsmigration betroffenen Weltregionen umgesetzt.

Geopolitische Situation: Am Horn von Afrika leben 7 Millionen Menschen ausserhalb ihrer Heimat, es ist die weltweit höchste Konzentration von Binnenvertriebenen. Die Länder in dieser Region gehören zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. 13 Millionen leiden unter Nahrungsmittelknappheit. Gewaltsame Konflikte, Angriffe durch islamistische Gruppierungen wie Al-Schabaab und zyklische Dürren, destabilisieren diese Region.

Frauen und Kinder sitzen in farbigen Gewändern unter einem Baum.
In einem Lager nahe der somalischen Hauptstadt Mogadischu: Frauen und Kinder, die vor Kämpfen zwischen der Armee und der islamistischen Terrormiliz Al-Schabaab geflüchtet sind. AFP

Was sind die Migrationstreiber? Rund 70% der Landfläche am Horn von Afrika erhalten weniger als 600mm Regen pro Jahr. Zugleich erlebte diese Region 2018 verheerende Überschwemmungen. Mangelnde landwirtschaftliche Nutzflächen lösen deshalb oft Konflikte aus und sind Grund für die anhaltende Armut. Terrorattacken und die hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Jugendlichen (geschätzte 60% am Horn) sind weitere Gründe für die Suche nach Arbeit und Einkommen ausserhalb der eigenen Landesgrenzen.

Wie viele Migranten brechen auf, wie viele erreichen allenfalls die Schweiz? Gut 80% der Migranten und Flüchtlinge aus dem Horn von Afrika bleiben auf dem afrikanischen Kontinent. Somalier und Eritreer figurieren jedoch unter den Top 10 Asylgesuchsteller in der Schweiz. 2017 gingen 3375 Asylgesuche von Eritreerinnen und Eritreern ein (34,8% weniger als im Vorjahr), 843 Gesuche von Somaliern (minus 46,7%).

Wie reagiert die Schweiz auf die Migrationstreiber? Die acht Mitgliedstaaten der 1996 gegründeten «Zwischenstaatlichen Entwicklungsbehörde» (IGAD) Externer Linksind Äthiopien Dschibuti, Eritrea, Kenia, Somalia, Südsudan, Sudan und Uganda. Eritrea ist seit 2007 suspendiert. IGAD wird von der Deza der AMS und dem SEM unterstützt. Im Interesse einer geordneten Migration und dem Schutz der Migranten werden die regionale Zusammenarbeit gefördert und die nationalen Strukturen gestärkt.

Diese Zusammenarbeit dient auch der Stabilisierung der gesamten Region und soll den Gründen für die Migration entgegenwirken. Eine Wiederaufnahme von Eritrea ist bereits in Diskussion und würde es der Schweiz ermöglichen, einen Migrationsdialog mit Eritrea im Rahmen der IGAD aufzunehmen, nebst dem bereits bestehenden bilateralen Dialog.

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