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UNO prüft Chinas Menschenrechtsbilanz – wie reagiert Peking?

Demonstrierende mit Transparenten in Genf
Uiguren und Tibeter demonstrieren vor den Vereinten Nationen in Genf während Chinas letzter Prüfung durch den UNO-Menschenrechtsrat im Jahr 2018. © Keystone / Salvatore Di Nolfi

Die UNO prüft in Genf gerade Chinas Menschenrechtsbilanz. Unter Beobachtung stehen dabei auch die Staaten des globalen Südens: Wie werden sie sich zum Vorwurf der Rechtsverletzungen in Chinas Region Xinjiang positionieren?

Am Dienstag wird China in Genf zum vierten Mal der sogenannten allgemeinen regelmässigen Überprüfung (Universal Periodic Review, UPR) unterzogen.

Bei dem Verfahren, das rund alle fünf Jahre stattfindet, geht es darum, dass die anderen Mitglieder des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen (UNO) über die Menschenrechtslage des Landes Bilanz ziehen.

Während der Prüfung Chinas, die vom 22. Januar bis zum 2. Februar dauert, haben alle 193 UNO-Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den chinesischen Behörden ihre Empfehlungen zur Verbesserungen der Situation mitzuteilen. Diese sind jedoch nicht bindend, und es steht Peking frei, sie zu befolgen oder nicht.

Seit Chinas letzter Menschenrechtsprüfung im Jahr 2018 hat sich viel verändert. In den vergangenen fünf Jahren wurde Peking von der UNO, von unabhängigen Expert:innen und NGOs wegen seiner repressiven Politik in Tibet, Hongkong und der Region Xinjiang im Nordwesten Chinas kritisiert.

«Die Prüfung wird ein wichtiger Test und ein Fiebermesser für die weltweite Besorgnis über Menschenrechtsfragen in China und insbesondere in der uigurischen Region sein», sagt Raphaël Viana David, Programmleiter für China und Lateinamerika beim Internationalen Dienst für Menschenrechte (ISHR), einer in Genf ansässigen NGO.

Die repressive Politik Pekings in Xinjiang wurde in einem viel beachteten UNO-Bericht hervorgehoben, der im August 2022 veröffentlicht wurde – nur wenige Minuten bevor die ehemalige UNO-Menschenrechtsbeauftragte Michelle Bachelet ihr Amt niederlegte.

Der Bericht hatte sich lange verzögert, da Bachelet unter dem Druck Chinas und weiterer Länder stand, die sich dem Bericht widersetzten, während andere seine Veröffentlichung forderten.

Der Bericht kam zu dem Schluss, dass die Behandlung der uigurischen, muslimischen Minderheit durch Peking ein «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» darstellen könnte. Die Einschätzung, die nach Ansicht chinesischer Diplomat:innen «illegal und ungültig» ist, wurde in den UNO-Gremien nie offiziell erörtert.

«Es ist wichtig, dass die UNO-Mitgliedstaaten die Empfehlungen des Berichts in der UPR aufgreifen, weil dies die internationale Gemeinschaft daran erinnert, dass der Bericht nicht nur wichtig, sondern auch legitim ist, wie jedes Dokument, das von einem UNO-Gremium herausgegeben wird», sagt Raphaël Viana David.

Vor zwei Jahren versuchte eine Gruppe von überwiegend entwickelten Demokratien, eine Debatte über den Bericht im UNO-Menschenrechtsrat zu organisieren.

Nach einer knappen Abstimmung entschied sich das 47-köpfige Gremium jedoch dagegen.

Chinas Schlagkraft

Einige Analyst:innen sind der Ansicht, dass sich der globale Kontext verändert hat und China bei seinem vierten UPR-Zyklus gerstärkt dasteht.

Dies ermöglicht es dem Land, Kritik zu unterdrücken, insbesondere von Ländern des globalen Südens, die teilweise enge wirtschaftliche Beziehungen zu China unterhalten – zum Beispiel wegen der Belt and Road Initiative – und befürchten, dass eine Konfrontation mit Peking in der UNO ihren bilateralen Beziehungen schaden würde.

«Chinas Macht und Einfluss sind in den letzten Jahren erheblich gewachsen», sagt Marc Limon, Geschäftsführer der Universal Rights Group (URG), einer Denkfabrik in Genf.

Er glaubt, dass Peking die «Herzen und Köpfe» der afrikanischen, lateinamerikanischen und westlichen Demokratien gewonnen hat, indem es von einer «sehr defensiven Strategie» abrückte und sich als ein «positiver, konstruktiver Akteur» neu positionierte.

Im UNO-Rat hat dies beispielsweise dazu geführt, dass die Mitgliedstaaten eine Resolution zum Kolonialismus, die sich gegen Länder wie Frankreich und das Vereinigte Königreich richtete, fallen liessen, um sich erfolgreich für eine weniger konfrontative Resolution zur Ungleichheit einzusetzen.

Unterdessen hat der Krieg im Nahen Osten die Doppelmoral einiger westlicher Länder in Bezug auf die Menschenrechte deutlich gemacht.

«Im Globalen Süden ist die Wut darüber gross, ebenso wie über andere Themen wie die Reaktionen auf die Koranverbrennungen in Nordeuropa», sagt Limon. Und er ergänztt, dass China im Vergleich zu seinen geopolitischen Gegnern, die «relativ schwach» erschienen, ziemlich stark in die UPR gehe.

Die Menschenrechtsorganisationen hoffen dennoch, dass die Staaten ihre Besorgnis über die wichtigsten Ergebnisse des UN-Berichts über Xinjiang zum Ausdruck bringen und entsprechende Empfehlungen abgeben werden.

«Die chinesische Regierung möchte die UPR als einen Prozess darstellen, bei dem man entweder die Regierung unterstützt oder sie angreift. Aber das ist der falsche Ansatz. Die UPR wurde im Gegenteil deshalb ins Leben gerufen, um der wahrgenommenen Polarisierung oder Politisierung entgegenzuwirken», sagt Raphaël Viana David.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am 22. Januar, dass Peking Lobbyarbeit bei nicht-westlichen Ländern betrieben habe, mit dem Ziel, die eigene Menschenrechtsbilanz positiv darzustellen. Unter anderem seien von Chinas diplomatischer Vertretung bei der UNO Memos an Diplomat:innen in Genf geschickt worden.

Kann die UPR zu Veränderungen führen?

Aber führen die Empfehlungen, die im Rahmen der UPR eines Landes ausgesprochen werden, überhaupt zu konkreten politischen Veränderungen?

«Wenn die chinesische Regierung nicht bereit ist, ein Problem anzuerkennen, wird sie kein konstruktiver Akteur sein und keine Empfehlungen umsetzen, die zu Veränderungen führen würden», sagt Raphaël Viana David.

Am Ende der UPR 2018 hat Peking 284 der 346 Empfehlungen akzeptiert. In seiner Rede vor dem Rat bezeichnete Le Yucheng, der damalige chinesische Aussenminister, den Prozess als «reibungslos und erfolgreich».

Die Empfehlungen der Mitgliedstaaten werden jedoch nicht überprüft, was bedeutet, dass es den Ländern freisteht, Massnahmen ihrer Wahl vorzuschlagen. Die UPR ist auch eine Gelegenheit für Länder, auf der internationalen Bühne zu glänzen.

So erklärte Ungarn, das Peking nahe steht, im Jahr 2018, dass China «weiterhin die Rechte gefährdeter Gruppen schützen solle», ohne zu spezifizieren, welche Gruppen gemeint sind.

Der Iran, ein weiterer Verbündeter, schlug vor, dass China «sein politisches System und den von seinem eigenen Volk gewählten Entwicklungsweg schützt», und griff damit Aussagen der regierenden Kommunistischen Partei Chinas auf.

«Die Länder sollten sich bei ihren Empfehlungen auf die zahlreichen Dokumente stützen, die die UN-Menschenrechtsgremien herausgeben», sagt Raphaël Viana David. «Aber das ist nicht immer der Fall. Einige Länder setzen ihr politisches Kapital ein, um andere Länder zu mobilisieren und sie manchmal dazu zu zwingen, freundliche Empfehlungen auszusprechen.»

Bloss politisches Theater?

Unter den richtigen Umständen allerdings, wenn China merken würde, dass die internationale Unterstützung schwindet, könnte die Regierung Druck verspüren, seine Menschenrechtspolitik zu verbessern.

Ob es dazu kommt, werde von der Intensität der Empfehlungen westlicher Regierungen abhängen, aber auch von denen der Regierungen des globalen Südens, ergänzt er.

Die Weigerung Chinas, die Empfehlungen umzusetzen, könnte auch die Vermutung untermauern, dass das Land die UN-Menschenrechtsmechanismen ablehnt.

«Entsprechende Beweise könnten wiederum die Abstimmung des UN-Menschenrechtsrats über Untersuchungen in der uigurischen Region und die Eignung Chinas für eine Mitgliedschaft beeinflussen», schreiben Renee Xia und William Nee vom Network of Chinese Human Rights Defenders (CHRD), einer in Washington DC ansässigen Nichtregierungsorganisation, in The Diplomat.

Limon räumt ein, dass es «echte Fragen darüber gibt, wie effektiv [die UPR] heute ist». Bei früheren Überprüfungen ging es bei den Empfehlungen um Massnahmen, die leichter umzusetzen waren.

Heute geht es bei den Vorschlägen eher um Änderungen, die die Länder nicht vornehmen wollen. «Die UPR ist nicht bedeutungslos», sagt Limon. «Aber wenn es um wichtige Länder wie China oder die USA geht, wird sie zunehmend zu einem politischen Theater.»

Editiert von Virginie Mangin, aus dem Englischen übertragen von Marc Leutenegger

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