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UNO-Sonderberichterstatter kritisiert Menschenrechtsrat

Geheimgefängisse sind laut UNO-Bericht weit verbreitet. Keystone

Folter- und Geheimgefängnisse seien ein "weltweites Phänomen", das vom UNO-Menschenrechtsrat in Genf nicht ernst genug genommen werde, sagt der UNO-Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak im Gespräch mit swissinfo.ch.

swissinfo.ch: Die Debatte über den Bericht über Geheimgefängnisse, für den Sie als Mitautor zeichnen, wurde vom UNO-Menschenrechtsrat auf Juni vertagt. Wie reagieren Sie darauf?

Manfred Nowak: Ich bedaure dies sehr. Dieser Bericht sollte ernst genommen werden.

Die Begründung, wir hätten den Verhaltenskodex missachtet und unser Mandat überschritten, war völlig politisch.

Wir sind unabhängige Experten, die Augen und die Ohren des Menschenrechtsrats. Wir verfassten diesen Bericht, dem viel Arbeit zu Grunde liegt, um die Aufmerksamkeit auf ein sehr gravierendes Problem zu legen.

Geheimgefängnisse sind nicht einfach eine kleinere Menschenrechtsverletzung. Es geht dabei um eine schwere Menschenrechtsverletzung, um ein Verbrechen.

swissinfo.ch: Wie verbreitet ist die Folter laut dem Fünfjahresbericht?

M.N.: Folter ist leider ein weltweites Phänomen. Seit ich der UNO Bericht erstatte, fand ich einzig in Dänemark keine ernsthaften Anzeichen von Folter. In Ländern wie China, der Mongolei und Indonesien ist die Folter verbreitet, in Äquatorialguinea oder in Nepal wird sie systematisch angewendet.

Die verbreitete Anwendung von Foltermethoden überrascht. Noch mehr überrascht haben mich die Bedingungen in Polizeistationen, Untersuchungsgefängnissen, Gefängnissen, Psychiatrischen Kliniken und Zentren für illegale Einwanderer in zahlreichen Ländern.

swissinfo.ch: Weshalb ist Folter so verbreitet?

M.N.: In vielen Ländern funktionieren die Strafverfolgungsbehörden schlecht. Es stehen zu wenig finanzielle Mittel zur Verfügung. Richter sind nicht unabhängig und Politiker wollen hart gegen Kriminalität vorgehen. Auf der Polizei lastet ein grosser Druck.

Der Kampf gegen das organisierte Verbrechen sowie der globale Kampf gegen den Terrorismus seit dem 11. September 2001 haben das absolute Verbot von Folter und Misshandlung unterminiert.

Die häufigsten Opfer von Folter sind jedoch nicht politische Gefangene oder Menschen, die eines politischen Vergehens verdächtigt werden, sondern Menschen unter Verdacht einer kriminellen Tat.

swissinfo.ch: Die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey verteidigte kürzlich in Genf die Arbeit der UNO-Sonderberichterstatter. Sie sagte, deren Arbeit würde nicht wahr genommen und sie würden «immer häufiger Opfer heftiger Attacken».

M.N.: Ich bin sehr beunruhigt über den Umgang der Staaten im Menschenrechtsrat mit ihren eigenen unabhängigen Experten.

Der Rat sollte aufhören, seine Sonderberichterstatter zu kritisieren. Er sollte vielmehr die Menschenrechte ernst nehmen und mit den Experten zusammen arbeiten.

Es ist der einfachste Weg, uns vorzuwerfen, wir hätten den Verhaltenskodex verletzt.

swissinfo.ch: 2011 sollte eine Reform des Menschenrchtsrats in Kraft treten.

M.N.: Die Situation im Rat ist heute schlechter als zu Zeiten der UNO-Menschenrechtskommission. Der Nord-Süd-Konflikt ist stark politisiert.

Wir müssen die politischen Spannungen überwinden und Regierungen in allen Teilen der Welt finden, die sich den Menschenrechten und nicht nur der politischen Agenda verpflichten.

Die laufende Berichterstattung über die Menschenrechtssituation in den verschiedenen Ländern ist grundsätzlich nicht selektiv und entwickelt sich positiv. Doch viele der Diskussionen sind äusserst politisch. Es ist nicht an den Staaten, die Menschenrechtslage anderer Länder zu beurteilen, das ist Aufgabe der Sonderberichterstatter.

Im Rat nimmt die Tendenz zu, Druck auf die NGOs auszuüben.

Der Graben zwischen den hohen Ansprüchen an die bindenden Menschenrechtsgesetze und der Realität wird immer grösser. Dieser Graben muss namentlich durch stärkere Kontrollmechanismen zur Einhaltung der Menschenrechte in den verschiedenen Ländern überwunden werden.

Es bestehen zurzeit Vorschläge für die Schaffung eines Weltgerichts für Menschenrechte oder eines Fonds zur Unterstützung der Regierungen beim Schutz der Menschenrechte.

Was im Moment fehlt, ist jedoch der politische Wille, die Menschenrechte ernst zu nehmen.

Simon Bradley, Genf, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Corinne Buchser)

Der UNO-Menschenrechtsrat hat kürzlich eine Debatte über Geheimgefängnisse verschoben. Mehrere Staaten hatten kritisiert, die unabhängigen UNO-Berichterstatter und Autoren des Berichts hätten ihr Mandat überschritten.

Die Debatte über den Bericht werde auf die Juni-Session verschoben, sagte der belgische Botschafter und Präsident des Menschenrechtsrats, Alex van Meeuwen. Die Verschiebung war von den islamischen und afrikanischen Staaten gefordert worden.

Laut dem am 27. Januar veröffentlichten Bericht mit 220 Seiten haben 66 Länder seit 2001 Terrorverdächtige in geheimer Haft gehalten. Unter den UNO-Experten, die den Bericht schrieben, waren neben dem Berichterstatter für Folter Manfred Nowak auch Martin Scheinin, Berichterstatter über Menschenrechte und Bekämpfung von Terrorismus.

Scheinin wurde vorgeworfen, einen Bericht über positive Massnahmen bei der Bekämpfung von Terrorismus nicht geschrieben zu haben, mit dem ihn der Menschenrechstrat beauftragt hatte. Dieser Bericht müsse geschrieben und im Rat zuerst behandelt werden, erklärten Delegierte der islamischen und afrikanischen Staaten.

Menschenrechtsorganisationen erklärten, Staaten mit Geheimgefängnissen wollten nicht kritisiert werden. Unter ihnen sind Sri Lanka, Pakistan, China, Algerien, Ägypten, Iran, Russland und die USA.

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