Unternehmen in Konfliktzonen: Fluch oder Segen?
Unternehmerische Tätigkeiten in Krisengebieten können Gewaltkonflikte verschärfen und so den Firmenerfolg gefährden. Konzerne können mit verantwortlichem Handeln aber auch aktiv zur Friedensförderung beitragen. Das gilt auch für Schweizer Firmen.
Das ist das Fazit einer Diskussion unter internationalen und Schweizer Persönlichkeiten aus Privatwirtschaft, Verwaltung und Nichtregierungs-Organisationen anlässlich der Jahreskonferenz der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace in Bern.
Zum Thema «Money Makers as Peace Makers?» war man sich einig, dass Gewaltkonflikte in der Regel schlecht für das Geschäft sind. Direkte Gewalt gegen Mitarbeitende und Einrichtungen, höhere Kosten und mangelnde Planungssicherheit beeinträchtigen das Umfeld für Unternehmen.
Zudem sind sie in Konfliktgebieten oft einer akuten Reputationsgefährdung ausgesetzt: Wenn zum Beispiel Rohstoffunternehmen durch ihre Aktivitäten Spannungen und Gewalt nähren, rücken sie ins Scheinwerferlicht der Kritik.
Falsche Akteure am falschen Platz
«Grundsätzlich können in Konfliktregionen tätige Unternehmen zu einer friedlichen Entwicklung beitragen», sagt Andreas Missbach von der Entwicklungsorganisation Erklärung von Bern (EvB) gegenüber swsissinfo.ch. «Man muss aber klar sehen, wo die Grenzen sind. Es gibt Situationen, da ist kein Geld zu machen. In einem Umfeld von Unkalkulierbarkeit und unklaren Rahmenbedingungen kann ein normales Unternehmen nicht funktionieren – zum Beispiel im Osten Kongos.»
Es gäbe aber Unternehmen, die dennoch dorthin gingen. «Die erkaufen sich dann diese Kalkulierbarkeiten, diese Sicherheit, indem sie mit Milizen, mit Warlords zusammenarbeiten. Solche Firmen sind ganz klar Teil des Problems. Wir haben an Orten, wo die Konflikte ganz heiss sind, oft die falschen wirtschaftlichen Akteure. Jene, die verantwortungsvoll sind und etwas tun könnten, sind gar nicht erst da, und die, welche dort sind, sind verantwortungslos», so Missbach.
Weisse und schwarze Schweizer Schafe
Auf die Frage, ob er positive Schweizer Beispiele kenne, wo «Money Makers» als «Peace Makers» wirkten, erwähnt der EvB-Experte die Rolle des Elektrokonzerns ABB im bürgerkriegsgeplagten Sudan. «ABB ist nicht blind in den Sudan reingegangen, der Konzern hat dem Druck widerstanden, das Sudan-Geschäft wegzuwerfen, was wahrscheinlich einfacher gewesen wäre.»
Das habe mit der Tätigkeit der ABB in diesem Land zu tun: dem Aufbau der Energieversorgung für die Bevölkerung. Es sei wichtig, dass beim Aufbau von Infrastruktur verantwortungsvolle Firmen tätig seien, die durch die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft möglichst wenig in Komplizenschaft mit dem Regime in Khartum gerieten.
Ganz anders sieht Missbach die Rolle des Rohstoffkonzerns Glencore, «der nur an den billigen Ressourcen des Sudans interessiert ist». Damit wiederholt der EvB-Experte den bereits schon vorher von verschiedener Seite erhobenen Vorwurf an den Konzern. Grundsätzlich könne man sagen, dass Schweizer Firmen, die im Rohstoffhandel tätig seien wie zum Beispiel eben Glencore oder Ölhandelsfirmen in Genf wie Trafigura oder Gunvor, «eindeutig auf der Seite jener stehen, die Konflikte anheizen.»
Die Verteilung des Ressourcenreichtums sei heute völlig aus dem Gleichgewicht geraten. «Es bleibt viel zu wenig bei der lokalen Bevölkerung, auch bei den Förderländern. Der Grossteil der Gewinne fällt bei den Händlern und bei den Bergbaukonzernen an. Und das ist eine strukturelle Konfliktquelle», so der EvB-Experte.
Naher Osten: Schweizer Vorteile
Schweizer «Money Makers» kann sich der Palästinenser Iyad Joudeh, Gründer und CEO der privaten Consultingfirma Solutions, gut als «Peace Makers» in seiner Region vorstellen. «Die Schweiz hat verglichen mit anderen Ländern einen Vorteil, weil sie als neutrales Land bei beiden Konfliktparteien, Palästinensern und Israelis, gut ankommt», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Die Schweiz besitze ausgezeichnete Unternehmen und Produkte. Und die Schweiz habe nicht nur ein geschäftliches, sondern auch ein entwicklungspolitisches Engagement, das sei ein Plus. «Wir haben enge Beziehungen zur Direktion für Zusammenarbeit und Entwicklung (Deza), die in Palästina aktiv ist», sagt Joudeh.
«Wir schätzen die Aktivitäten der Schweizer Firmen in Palästina», betont der Ökonom. «Nestle ist in der Westbank präsent, seine Produkte verkauft der Schweizer Konzern auch in Gaza via einen palästinensischen Agenten.» Er sei in Palästina schon mehrmals mit Nestle-Vertretern zusammengetroffen, «die hierher kamen, um zu schauen, wie man die palästinensische Wirtschaft unterstützen könnte», so Joudeh.
«In Sachen Exportwirtschaft sind wir an der Öffnung neuer Märkte für unsere Stein- und Marmor-Industrie interessiert. Kürzlich haben einige von unseren Pharmaprodukteherstellern ein EU-Qualitätszertifikat erhalten. Und weil es bei uns viele gute Ingenieure gibt, haben ausländische Firmen begonnen, gewisse Aufträge nach Palästina auszulagern. Es gibt also viele Bereiche bei uns, wo Schweizer Unternehmen gute Partner werden könnten.»
Unabhängige Wirtschaft nur in unabhängigem Staat
Iyad Joudeh betont gegenüber swissinfo.ch, dass eine entwickelte, unabhängige palästinensische Wirtschaft nur in einem unabhängigen palästinensischen Staat möglich sein werde.
«Zuerst muss die israelische Besetzung aufhören. Erst dann können Unternehmen und ausländische Firmen in Palästina frei investieren.» Deshalb setze man sich jetzt bei der UNO für die Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates ein, auch wenn es da grosse Schwierigkeiten gebe.
«Es ist wichtig, der Welt zu zeigen, dass wir auf Gewalt verzichten und ausschliesslich auf friedlichem Weg unseren Staat wollen», sagt Joudeh. «Ich glaube, eine Zweistaatenlösung ist für unsere Region und die ganze Welt besser. Wenn wir aber weiter warten, bis die richtige israelische oder amerikanische Regierung kommt und Israel weiterhin Land konfisziert und neue Siedlungen baut, stehen wir vor Fakten, die eine Zweistaatenlösung verunmöglichen und nur noch eine Lösung zulassen, die aber den Israelis nicht gefallen wird: eine Einstaatenlösung.»
Freiwillige Standards für wirtschaftliche Tätigkeiten in Konfliktzonen wecken in der Schweiz bei den vielen Grosskonzernen und den zunehmend auch in Krisengebieten tätigen KMU (kleine und mittlere Unternehmen) ein grosses Interesse. So haben verschiedene Wirtschaftssektoren in den vergangenen Jahren Richtlinien erarbeitet, die für Aktivitäten in Entwicklungsländern höhere Anforderungen vorsehen als die lokal geltenden Standards.
Die Jahreskonferenz von Swisspeace zeigte, dass solche aus freien Stücken eingegangenen Verpflichtungen vor allem dann respektiert werden, wenn in einem Wirtschaftsbereich einige Unternehmen mit gutem Beispiel vorangehen und so andere unter Druck setzen.
Ohne Business funktioniert die Umsetzung der Verpflichtungen nicht. Nur das konstruktive Zusammenspiel zwischen Firmeninitiativen, staatlichen Bemühungen und NGO (Nichtregierungs-Organisationen) ermöglicht deshalb ein Engagement für verantwortungsvolles Wirtschaften in Konfliktzonen.
Die Schweizerische Friedensstiftung Swisspeace ist ein praxisorientiertes Friedensforschungsinstitut mit Sitz in Bern. Das Ziel ihrer Tätigkeit ist der nachhaltige Abbau organisierter Gewalt im gesellschaftlichen und staatlichen Zusammenleben.
Swisspeace wurde 1988 als «Schweizerische Friedensstiftung» mit der Absicht gegründet, die unabhängige Friedensforschung in der Schweiz zu fördern. Die Friedensstiftung hat sich in den vergangenen Jahren zu einer international renommierten und anerkannten Einrichtung in der Friedens- und Konfliktforschung entwickelt.
Swisspeace beschäftigt heute rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zu den wichtigsten Auftraggebern gehören das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und der Schweizerische Nationalfonds.
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