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Für Millionen US-Bürger ist das Wahlrecht nur Theorie

Bei der US-Präsidentenwahl versuchen republikanisch dominierte Staaten mit verschiedenen Massahmen, Minderheiten vom Wählen abzuhalten. Hauptzielgruppe sind die Schwarzen, die traditionell die Demokraten wählen. Bild: Warteschlange vor einem Wahllokal bei den Präsidentenwahlen 2008 in Kentucky. Keystone / Joe Imel

Am 3. November steigt der Showdown um die US-Präsidentschaft. In der Ausmarchung zwischen Amtsinhaber Donald Trump und Herausforderer Joe Biden wird eine Rekord-Wahlbeteiligung erwartet. Millionen Bürgerinnen und Bürger scheitern jedoch an Hürden und Barrieren, die aufgezogen worden sind, um sie auszuschliessen.

Keine «Presidentials» ohne Ausschlüsse von eigentlich Stimmberechtigen. Für die so genannte Voter Supression kennen zahlreiche US-Bundesstaaten eigene Gesetze, die besagen, wer seine Stimme nicht abgeben darf. Aber auch Volksinitiativen können dienlich sein, auch wenn es nur um politische Stimmungsmache geht.

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Pokal mit Inschrift DD
Armer Mann beim Suppe essen

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Die Schweiz als Ausschluss-Demokratie

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Katholiken, Juden, Sittenlose, Arme, Tagelöhner – und die Frauen: Sie alle und noch viel mehr waren von der Demokratie Schweiz ausgeschlossen.

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Solche Manöver laufen auch jetzt – parallel zum Rennen um das Weisse Haus.

In den drei Bundesstaaten Florida, Colorado und Alabama finden gleichzeitig mit der Präsidentenwahl Abstimmungen über eine Verfassungsänderung Externer Linkstatt. Dabei geht es überall um nichts weniger als die Definition, wer wahlberechtigt ist und wer nicht.

Die bisherige Formulierung lautete, dass «jeder Bürger» der USA ab 18 Jahren wählen darf. Gemäss dem Vorschlag der Volksinitiative soll künftig in der Verfassung stehen, das «nur Bürger der USA» ab 18 Jahren wählen dürfen.

Sinnfreie Forderung

Nur: Seit 1996 gibt es ein Gesetz des US-Kongresses, das Ausländerinnen und Ausländer von der Teilnahme an nationalen Wahlen explizit ausschliesst. Wozu also die Abstimmung über eine Verfassungsänderung, die materiell völlig überflüssig ist?

Es geht um die Mobilisierung, wie die Sarasota Herald-Tribune aus Florida in einem LeitartikelExterner Link schrieb. Eine Sprache, die in der Frage der Staatsbürgerschaft andere ausschliesse, könne jene Wählende mobilisieren, die gegen Einwanderer sind, hiess es.

Von den 328 Mio. Menschen in den USA dürften am 3. November schätzungsweise 240 Mio. Bürgerinnen und Bürger wahl- und stimmberechtigt sein. Davon werden geschätzt 160 Millionen effektiv wählen. Bisheriger Rekord sind die 139 Mio. Wählenden von 2016.

Bedingung zur Teilnahme sind der US-Pass, Mindestalter 18 mit Wohnsitz in einem der 50 Bundesstaaten inkl. Washington Delaware. Aber auch die US-Bürger im Ausland können wählen. Ihre Stimmen werden per diplomatischen Kurier in die Heimatstaaten geschickt, die das Eintreffen quittieren.

Bereits Ende September eröffneten in den ersten Bundesstaaten die Wahllokale. Bis in dieser Woche haben bereits knapp 70 Millionen Wählerinnen und Wähler ihre Stimme abgegeben – Rekord. Viele von ihnen per Post. Bis zum kommenden Dienstag dürfte diese Zahl noch weiter steigen.

Zum Vergleich: Vor vier Jahren stimmten 47 Millionen Menschen vor dem eigentlichen Wahltag ab.

Gerade in Florida, einem der so genannten Swing States – Bundesstaaten, die zwischen Republikanern und Demokraten hin und her pendeln – ist Mobilisierung zentral. Kein Zufall also, dass die Absender der Forderung der Verfassungsänderung, eine Gruppe namens «Citizen Voters», den Republikanern nahesteht.

Die perfekt getimten Volksabstimmungen sind Teil der immer schärfer ausgetragenen Auseinandersetzung zwischen den beiden wichtigsten politischen Lagern in den USA. So sind in den letzten Jahrzehnten in den Bundesstaaten zahlreiche Entscheide gefällt worden, die Millionen von US-Bürgerinnen und Bürgern vom Wahlrecht ausschliessen.

Und für die anstehende Wahl haben führende Politiker in verschiedenen Bundesstaaten weitere Massnahmen zur Einschränkung der Wahlteilnahme ergriffen.

Für Dane WatersExterner Link, einen politischen Strategen der Republikaner aus Virginia, ist das Ziel solcher Massnahmen klar: die Beschränkung der Zahl der Wählenden der gegnerischen Partei.

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So zielten die Republikaner mit ihren Hürden insbesondere auf die Minderheiten ab, eine Gruppe, die in der Vergangenheit jeweils eher für die Demokraten gestimmt habe, so Waters, von Haus aus Jurist und ein Verfechter von direktdemokratischen Volksrechten. «Diese Gesetze werden nicht im Interesse des Volkes verabschiedet, sondern im Interesse der politischen Partei, welche die Legislative des Bundesstaats kontrolliert.»

Eine Übersicht zu Hürden und Massnahmen

(Quellen: Dane Waters, watson.ch, balotpedia, voteamerica)

● Die Registrierungshürde

Ohne Registrierung keine Wahlteilnahme. Für die Registrierung der Wählenden verlangt der Bundesstaat, in dem sie leben, oft eine Photo-ID. Doch eine solche kann bis zu 200 Dollar kosten, was sich nicht alle leisten können. Benachteiligt: vor allem Schwarze. Ihr Anteil ohne Photo-ID ist rund dreimal so hoch wie jener unter Weissen.

In Tennessee hat die Regierung angekündigt, dass Personen bestraft werden, wenn sie die Wählerregistrierung unvollständig oder fehlerhaft ausfüllten. Mehr zum Thema Abschreckung weiter unten.

● Sonderfall Uni-Ausweise

Studierende wählen traditionell eher die Demokraten. Und üblicherweise gelten Uni-Ausweise als Identitätsnachweis zur Wählerregistrierung.

Einige der republikanisch regierten Bundesstaaten suchten nach Wegen, die Wahlteilnahme für Studierende zu erschweren. In Texas gibt’s neu die Bestimmung, dass Wahllokale über die gesamte Wahldauer von elf Tagen geöffnet sein müssen. Diese Dauerbesetzung aber bedeutet für einige Unis einen kaum oder nicht zu leistenden Bürger-Service.

North Carolina anerkennt zwar den Uni-Ausweis, knüpfte ihn aber an hohe administrative Hürden, so dass die Sache vielen zu kompliziert wird.

New Hampshire registriert junge Wählende nur, wenn diese gleichzeitig auch noch Auto und Fahrausweis im Bundesstaat registriert haben. Auch dies eine hohe und kostspielige administrative Hürde.

● Das Wahlrecht von (Ex-)Häftlingen

In vielen Bundesstaaten sind Bürgerinnen und Bürger während einer Haftstrafe vom Wahlrecht ausgeschlossen. In manchen auch jene, die ein Gefängnisaufenthalt hinter sich haben. Diese Gruppe wird auf rund sechs Millionen Personen geschätzt.

In Florida erhielten Entlassene nach einem Volksentscheid vor zwei Jahren zwar das Wahlrecht. Doch erst nach einer «Regularisierung», indem sie erst sämtliche Gerichtskosten tilgen müssen.

● Diffamierung der Briefwahl

«Einfallstor für Wahlfälschung»: Die Kampagne von Amtsinhaber Trump gegen die Briefwahl ist ebenso beispiellos wie das Argument falsch, wie swissinfo.ch-Demokratiespezialist Bruno Kaufmann in seinem Beitrag mit Zahlen belegt

Problematisch sind aber Hau-Ruck-Einführungen der Briefwahl angesichts der grassierenden zweiten Coronawelle, wo Menschenansammlungen zu vermeiden sind.

Das Weisse Haus hat auch Anstrengungen unternommen, die Infrastruktur für die Wahlteilnahme zu schwächen: Im Frühling ernannte Präsident Trump einen treuen Gefolgsmann und finanziellen Unterstützer zum neuen Chef der US-Post. Dieser liess Briefkästen und Maschinen für die Briefsortierung demontieren.

Allerdings wehrten sich viele Wahlverantwortliche in den für die Abwicklung zuständigen Counties dagegen und ergriffen umfassende Massnahmen zur Stärkung der Infrastruktur.

● Die Wahllokale

Im Bundesstaat Texas dünnte Regierungschef Greg Abbott im Oktober kurzerhand das Netz der Wahllokale aus – pro Amtsbezirk (County) gibt’s noch ein Lokal zur Stimmabgabe. Das sei eine klare Unterdrückung der Wahlteilnahme, so die Zeitung The Texas Tribune in einem KommentarExterner Link.

● Die «Wahlbeobachter»

In der tumultösen TV-Debatte mit Herausforderer Joe Biden hatte Präsident Trump seine Unterstützer aufgerufen, Wahllokale im ganzen Land zu «überwachen». Dies erhöhe in «dramatischer Weise die Möglichkeiten zur Einschüchterung von Wählenden», heisst es in einem KommentarExterner Link von CNN.

Externer Inhalt

Chaos erwartet

Für den Juristen Waters steht fest, dass die Exklusionen und Einschränkungen eine Reihe von Problemen auf juristischer Ebene auslösen werden. Viele Massnahmen würden aktuell aufgrund der zweiten Welle der Covid-19-Pandemie als nicht durchsetzbar angefochten. «Das wird zu Chaos und Verwirrung führen. Einerseits bei der Frage nach der Berechtigung zur Wahl. Andererseits am Wahltag bei der Ermittlung der gültigen Stimmen und des Schlussresultats», sagt Waters.

Sieht der Experte diese Hürden und Mechanismen der Exklusion eine Gefahr für die US-Demokratie? Nicht auf nationaler Ebene, denn die USA gäben jedem Bürger und jeder Bürgerin ab 18 Jahren das Recht zu wählen. Anders beurteilt der Jurist aber die Ebene der Bundesstaaten. «Hier geraten wir als Nation mit den demokratischen Grundwerten in Konflikt. Denn die Gesetzgeber machen es denjenigen schwer, die ihre Macht bedrohen.»

Deshalb plädiert Waters für Bundesgesetze, um die Wahlgesetze der 50 Bundesstaaten zu vereinheitlichen. «Unabhängig davon, wo jemand in den USA lebt und unabhängig von der politischen Überzeugung müssen alle dieselben Wahlmöglichkeiten haben», so sein Credo.

In der Schweiz bestens bekannt

Mit ihren Ausschlusskriterien für bestimmte Gruppen sind die US-Bundesstaaten keineswegs allein. In der Schweiz, wo es im Unterschied zu den USA auch auf der Bundesebene Volksabstimmungen zu Sachthemen gibt, gab es lange Zeit auch einen breitgefächerten Katalog an Ausschlussgründen.

Genauer in den Kantonen, die in der Schweiz – wie in den USA die Bundesstaaten – primär für die Organisation der Wahlen und Abstimmungen zuständig sind.

Ausgeschlossene Gruppen waren in der Schweiz

National:

  • Juden: Sie hatten nach der Staatsgründung 1848 zwölf Jahre lang keine politischen Rechte (also bis 1866).
  • Frauen: Sie erhielten erst 1971 das Stimmrecht, 123 Jahre nach der Staatsgründung!
  • 18- und 19-Jährige (bis 1991).
  • Auslandschweizer (bis 1977).
  • Verarmte, die das eigene Vermögen leichtfertig verjubelt hatten, etwa durch Alkoholismus (bis 1971).

in den Kantonen (meist Anfang 20. Jahrhundert aufgehoben):

  • Steuerschuldner.
  • Armengenössige.
  • Bankrotteure und Gepfändete.
  • Gelegenheitsarbeiter ohne festen Wohnsitz.
  • Zechpreller und Wirtshausschläger.
  • Erbschaftsverweigerer.
  • Verurteilte Straftäter.
  • Geisteskranke, Geistesschwache und Zwangsversorgte.
  • Sittenlose.
  • Söldner.
  • Bettler und Landstreicher.

Wahlkreisgeometrie

Eine besondere Form des Wahlausschlusses ist die Wahlkreisgeometrie, in den USA unter dem Begriff Gerrymandering bekannt. Die Wahlkreise werden dabei von der dominierenden Partei so gezogen, dass die politischen Gegner keine Chancen hat, die Stimmen also verloren sind. Gerrymandering wird in den USA von beiden grossen Parteien praktiziert.

Auch in der Schweiz war Wahlkreisgeometrie lange Zeit Garantie für Wahlsiege: Ein Wahlkreis wurde so klein gehalten, dass dort nur ganz wenige Sitze oder gar nur ein Mandat verteilt wurde. Das machte es Herausforderern praktisch unmöglich, den politischen Platzhirsch im Rennen um den Sitz im Kantons- oder Schweizer Parlament zu besiegen. Das Bundesgericht hat dann dieser Praxis einen Riegel geschoben und eine Mindestgrösse der Wahlkreise festgesetzt.

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