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Schweizer Datenmodelle sagen Sieg für Trump voraus

US-Wähler in Ravenna, Ohio, am 29. Oktober 2020.
US-Wähler in Ravenna, Ohio, am 29. Oktober 2020. Keystone / David Maxwell

Die Datenmodelle zweier Forscherteams in der Schweiz prognostizieren einen Sieg des republikanischen Präsidenten Donald Trump bei den US-Wahlen. Beide sagten bereits vor vier Jahren Trumps Sieg voraus. Was steckt hinter ihren Ansätzen?

Sieg für Trump, sagen zwei Hochrechnungen aus der Schweiz. Die Prognosen der Schweizer Forscher für die US-Wahlen 2020 stehen damit im Widerspruch zu den meisten Umfragen, die den demokratischen Herausforderer Joe Biden mit deutlichem Abstand an die Spitze stellen. Ein Team wertete dafür Internet- und Social-Media-Suchen aus, um das Interesse an den Kandidaten abzuschätzen. Das andere Team justierte ein etabliertes Prognosesystem, das auf Wirtschaftsdaten und Amtszeiten basiert, indem es zusätzlich das Charisma eines Kandidaten bewertete.

«Ich fühlte mich wie ein Idiot. Neben mir glaubten vielleicht ein oder zwei weitere Forschungsteams, Trump werde [2016] gewinnen», sagt John Antonakis, Professor für Organisationsverhalten an der Universität Lausanne. Antonakis sagte zusammen mit Philippe Jacquart, Professor an der Emlyon Business School in Frankreich, den Wahlausgang aufgrund des Charismas des Kandidaten korrekt voraus. «Ich dachte wirklich, dass wir etwas grundlegend falsch gemacht hätten.»

Das Problem mit den Umfragen

Gemäss den Forschergruppen stösst das Polling, die traditionelle Befragung von Wählern, auf mehrere Hürden – etwa die Schwierigkeit, eine repräsentative Stichprobe von Wählern zu kontaktieren, weil viele vom Festnetz auf Mobiltelefone umgestiegen sind. Oder die Tatsache, dass die Befragten möglicherweise nicht wahrheitsgemäss antworten. Sowie die Tatsache, dass die Befragten möglicherweise gar nicht wählen gehen.

Manchmal können die Bürgerinnen und Bürger aber gar nicht wählen gehen, wie sie in unserer Recherche lesen können:

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«Das sind seriöse Statistiker», sagt Antonakis über die Meinungsforscher, «aber sie haben ein verzwicktes Problem zu lösen.»

Der Medien- und Politikwissenschaftler Christoph Glauser beschäftigt sich seit Jahren damit, verlässliche Umfragedaten zu erkennen. Er ist Gründer des Instituts für Angewandte Argumentenforschung IFAAExterner Link, einer privaten Forschungseinrichtung in Bern, die computergestützte Systeme zur Analyse digitaler Medien und Online-Inhalte entwickelt.

Gemeinsam mit einem Team von Wissenschaftlern, Ökonomen, IT- und Datenspezialisten und Psychologen hat Glauser eine Methode der Kandidatenevaluation entwickelt, die auf Internetrecherchen und der Reichweite sozialer Medien basiert.

Unzuverlässige Umfragen «sind der Grund, warum wir Tools entwickelten, um zu analysieren was Internet-Nutzer in Bezug auf Suchanfragen tun», sagt er. «Dabei handelt es sich um kleine Softwarepakete, die zum Beispiel nachweisen, was Menschen auf Google, Twitter und Facebook wirklich suchen.»

Recherchen erzählen die Geschichte

Die Server der Forscher durchforsten das Internet und sammeln unzählige Daten von 247 Millionen aktiven Internetnutzern in den Vereinigten Staaten zu Internetsuche, E-Commerce und sozialen Medien. Sie sammeln auch Daten über die Kandidaten weltweit.

Die Daten für die Wahlanalyse stammen laut Glauser von 367 amerikanischen Kanälen, sowie von über 14’000 Kanälen von ausserhalb des Landes. Neben der Suche nach beiden Kandidaten verfolgte das Team mehr als 2500 relevante Themen, wie zum Beispiel Waffenkontrolle, Black Lives Matter, Oberster Gerichtshof und Coronavirus.

«Das Suchvolumen für einen Kandidaten gibt eine Vorstellung darüber, wie stark die Kampagne ist», sagt Glauser. «Wir leben in einer Art Aufmerksamkeitsökonomie. Wenn Sie die Aufmerksamkeit haben und auch das aktive Feedback der Benutzer erhalten, sind Sie wahrscheinlich in den Köpfen der Wähler präsenter.»

Das hat Donald Trump bereits innert kurzer Zeit innerhalb seiner Partei geschafft, wie Sie hier lesen können:

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Die Recherchen geben keinen direkten Aufschluss darüber, ob die Informationen für oder gegen einen Kandidaten sind. Auch nicht, ob sie eher zu Forschungszwecken oder aus reinem Interesse verwendet werden. Aber für Glauser liegt die Korrelation mit der Gunst der Wähler im Suchvolumen.

«Wenn man grosse, umfangreiche Datensätze aus relevanten Kanälen hat, dann kann man Trends erkennen. Und das macht es einfacher, Vorhersagen zu treffen», sagt er.

Trump bekommt die meisten Suchanfragen

Das Team mass das durchschnittliche monatliche Suchvolumen über alle US-Kanäle und stellte fest, dass Trump während des grössten Teils der Kampagne mit rund 70 Millionen Suchanfragen führte. Er erreichte mehr als 100 Millionen mit seinem Tweet, dass er positiv auf das Coronavirus getestet wurde.

Das Spitzenvolumen von Biden hingegen erreichte im September nur 26,6 Millionen. Fünf Tage vor der Wahl haben beide Kampagnen ihr Suchvolumen erhöht. Aber nicht so stark, dass er seine Prognose über einen Trump-Sieg ändern würde, sagt Glauser.

Das Projekt evaluierte auch das Twitter-Engagement. Dafür zuständig war vor allem Glausers Forschungspartner, Jacques Savoy. Der Forschungsschwerpunkt des Professors für Informatik an der Universität Neuchâtel liegt auf Linguistik und politischen Reden – insbesondere in den Vereinigten Staaten.

Normalerweise analysiert Savoyen schriftliche und mündliche politische Reden, aber Twitter stellt uns vor neue Herausforderungen. «Es ist eigentlich keine schriftliche Form, sie ist weniger formell», sagt Savoy. «Aber es ist auch keine mündliche. Es ist etwas dazwischen.»

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Trump und sein Team waren in der Lage 43 Tweets pro Tag zu senden, verglichen mit 11 Tweets täglich für Biden. Trump übertrifft ihn auch bei den Anhängern deutlich, mit 87 Millionen Anhängern im Vergleich zu 11 Millionen bei Biden.

«Wenn Donald Trump einen Tweet sendet, ist er deutlich sichtbarer», sagt Savoy. «Das ist neben der Internetsuche die zweite Quelle, die bestätigt, dass in sozialen Netzwerk Donald Trump häufiger zu sehen ist. Ob dies auch dem Wählerwillen entspricht? Das ist eine offene Frage.»

Glauser arbeitet seit 20 Jahren an seiner Methode und hat damit bisher weltweit rund 50 Wahlen ausgewertet. Vor drei Jahren begann er mit Prognosen und hat seither 10 Wahlen beobachtet. Seine Prognosen wichen in der Regel nur geringfügig vom tatsächlichen Ergebnis ab, normalerweise etwa 1 bis 5 Prozent, sagt er. Während herkömmliche Umfragen manchmal bis zu 40 Prozent daneben lägen.

Charisma zählt

Das zweite Schweizer Forschungsteam, Antonakis und Jacquart, entwickelte ein Computerprogramm um das Charisma eines Kandidaten zu bewerten – also wie attraktiv eine Person für Wähler auf der persönlichen Ebene ist.

Während seiner Zeit an der Yale-Universität lernte Antonakis ein vom Ökonomen Ray Fair entwickelte Vorhersagemodell kennen. Das sogenannte Fair-Modell zur Vorhersage von US-Präsidentschaftswahlen besagt, dass Amtsinhaber einen Vorteil haben. Zudem, dass die Wähler nach zwei vierjährigen Amtszeiten von einer Partei genug haben und dass ein Amtsinhaber nach der Stärke oder Schwäche der Wirtschaft beurteilt wird.

Aber es habe etwas gefehlt, sagt Antonakis. «Dieses Modell ignoriert die Unterschiede zwischen den beiden Kandidaten», sagt er. «Es wird davon ausgegangen, dass jede Partei die kompetenteste Person vorgeschlagen hat.»

Untersuchungen haben ergeben, dass Wähler die Kompetenz eines Kandidaten anhand seines Gesichts beurteilen. Aber Antonakis konnte nicht akzeptieren, dass die Regierungsführung vom Aussehen einer Person abhängt. Also untersuchte er die Idee des Charismas und entwickelte ein Charismometer: ein objektives Mittel, um Reden von Kandidaten auf eine Reihe charismatischer Züge hin zu analysieren. Mehr dazu später.

Charisma sei wichtig, weil es potenziellen Anhängern Werte und Stärken und der Gegenseite eine mögliche Bedrohung signalisiere. Im Modell von Antonakis wird das traditionelle Fair-Modell um die Bewertung des Charismas ergänzt.

Wer hat den Vorteil?

Laut Antonakis hat Trump zwar den Vorteil des Amtsinhabers, aber die Corona-bedingten düsteren Wirtschaftsaussichten verschaffen Biden einen leichten Vorteil im Fair-Modell. Nach Antonakis› Modell hat Trump aber mehr Charisma und geht dort als Favorit hervor.

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Das Charismometer sagte die Wahlen 2012 und 2016 korrekt voraus. Und als die Forscher die Methode auf vergangene Wahlen anwandten, lag das Modell bei 20 von 24 Wahlen richtig. Das Einzige, das seine Vorhersage eines Trump-Sieges beeinflussen würde, so Antonakis, wäre die Publikation besonders schlechter Wirtschaftszahlen unmittelbar vor der Wahl. Am 29. Oktober entsprachen die Konjunkturzahlen aber den Erwartungen.

Antonakis weist darauf hin, dass Charisma subjektiv und relativ zum Publikum des Redners ist. Beispielsweise würde der ehemalige Präsident Barack Obama von Mitgliedern der Demokratischen Partei eher als charismatisch angesehen, nicht aber von Mitgliedern der Republikanischen Partei. Das liegt daran, dass eine Person oft als charismatisch beurteilt wird, wenn ihre Werte mit denen des Publikums übereinstimmen.

Das Charismometer versucht, dieses Werturteil aufzuheben und das Charisma nach Antonakis› Definition zu bestimmen: symbolische, emotionale und wertebasierte Führungssignale. «Ich möchte, dass die Maschine mir sagt ob diese Person – unabhängig von meinen Werten – charismatisch ist oder nicht», sagt Antonakis.

Wie das Charismometer funktioniert

Das Charismometer bewertet Reden anhand von neun Elementen, darunter das Definieren und Verfolgen von Zielen, die Verwendung von Metaphern und Geschichten und den Einsatz rhetorischer Fragen.

Für die bekannte Rede, die Abraham Lincoln 1863 auf dem Schlachtfeld von Gettysburg gehalten hatte, gab das Programm beispielsweise eine Wahrscheinlichkeit von 80% an, dass Lincoln charismatisch war. In den Reden zur Annahme der Präsidentschaftskandidatur zwischen 1916 und 2016 errechnete das Modell im Durchschnitt eine Wahrscheinlichkeit von 30%, dass der Kandidat charismatisch war. Trumps war mit seiner Dankesrede zu 55,6% charismatisch, Biden mit seiner zu 52%.

Antonakis sagt jedoch, dass es am 3. November einen entscheidenden Faktor geben werde. «Die Frage ist, ob die Kandidaten ihre Parteibasis dazu bringen, abstimmen zu gehen.»

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