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«Schweizer in Venezuela hatten nicht zu leiden»

Parlamentspräsident Juan Guaido erklärt sich in Caracas zum neuen Präsidenten Venezuelas
Juan Guaido, der Präsident des venezolanischen Parlaments, erklärt sich in Caracas zum neuen Präsidenten des Landes, das am Abgrund balanciert. Manaure Quintero/Reuters


Parlamentspräsident Juan Guaidó hat sich diese Woche in Venezuela selbst zum Präsidenten ernannt. Für Pierino Lardi, den Vertreter der Auslandschweizer vor Ort, ist dies Grund zur Hoffnung. Er setzt auf eine professionelle Regierung.

Wie stellt sich die Schweiz zur fragilen Situation in Venezuela? Eine offizielle Stellungnahme des Bundes steht noch aus. Am Donnerstag bezog aber der Chef der Amerikas-Abteilung im Berner Aussendepartement, Botschafter Bénédict de Cerjat, über Twitter Stellung: zugunsten des neuen Präsidenten Jan Guaidó.

Bénédict de Cerjat ist ehemaliger Schweizer Botschafter in Venezuela. 2016 hatte ihn die linksautokratische Regierung des Landes wegen eines regierungskritischen Tweets zur Persona non grata erklärt. Als unerwünschte Person musste das Land innerhalb von 24 Stunden verlassen. 

swissinfo.ch befragte Pierino Lardi zur aktuellen Situation. Lardi lebt seit zwei Jahrzehnten in Caracas und vertritt Lateinamerika in der Auslandschweizer-Organisation (ASO).

Pierino Lardi
Pierino Lardi, 70, stammt aus Poschiavo im Kanton Graubünden. Im Bankensektor war er auf der ganzen Welt tätig. Zuletzt vertrat Lardi eine Schweizer Bank in Lateinamerika. Gleichzeitig war er UEFA-Delegierter, FIFA-Kommissar und bis letztes Jahr Präsident der venezolanisch-schweizerischen Handelskammer. swissinfo.ch

swissinfo.ch: Herr Lardi, waren die Ereignisse diese Woche in Venezuela für Sie eine Überraschung?

Pierino Lardi: Nein. Das Treffen der Opposition war angekündigt. Man hoffte auf deren Mut.

swissinfo.ch: Wer hat denn nun die Macht im Land?

P.L.: Wir haben zwei Präsidenten. Die Frage ist, welchem das Militär und die Polizei gehorchen werden. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass das Militär zur neuen Regierung wechseln möchte.

Es gibt aber auch den hartnäckigen Kern der alten Regierung, der viel zu verlieren hat. Ein starkes Zeichen war, dass viele Soldaten bei den Oppositionsmärschen demonstrativ den Helm abnahmen und die Waffen zur Seite legten.

swissinfo.ch: Der Schweizer Botschafter für Lateinamerika schrieb am Donnerstag auf Twitter: «Die Schweiz erachtet die Nationalversammlung Venezuelas als legitim, sowie auch deren neugewählten Präsidenten Juan Guaidó.»

P.L.: Ob das eine offizielle Anerkennung der neuen Regierung ist, darüber kann man diskutieren, aber der Botschafter tat dies wohl nicht ohne Absprache mit Aussenminister Ignazio Cassis. Die Schweiz fügt sich damit ein in die Reaktionen der USA, Kanadas und fast aller Nachbarländer Venezuelas.

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swissinfo.ch: Sie waren bis vor kurzem Präsident der venezolanisch-schweizerischen Handelskammer. Wie waren die letzten Jahre für die Schweizer Firmen vor Ort?

P.L.: Für sie waren wir nur noch Feuerwehrmänner. Rechnungen wurden nicht bezahlt. Auch die Cadivi-Dolar, die harte Parallel-Währung der Regierung, blieben aus. Ich glaube, keine der noch aktiven Schweizer Firmen hat hier in den letzten Jahren Geld verdient, im Gegenteil.

swissinfo.ch: Gingen viele Firmen weg?

P.L.: Die grossen blieben. Nestle, Roche, Novartis, Schindler, ABB – das sind Firmen, die langfristig denken. Die wollen einen Fuss in Venezuela behalten. Immerhin gehörte Venezuela für die Schweizer Wirtschaft mit Brasilien, Argentinien und Mexico lange Zeit zu den wichtigsten Handelspartnern. Ich glaube fest daran, dass diese Zeit wieder zurückkommen wird.

swissinfo.ch: Ist dies auch der Grund, warum Sie geblieben sind?

P.L.: Ich bin pensioniert, ich mache nur noch Freiwilligenarbeit. Mit der Handelskammer betreiben wir seit 2012 eine Berufsschule für Elektriker, Mechaniker, Elektroniker und Informatiker. Das Projekt beruht auf persönlichen Spenden von uns Auslandschweizern, Schweizer Firmen und einigen Schweizer Stiftungen. 

Die Ausbildung dauert drei Jahre, wie eine Schweizer Berufslehre. Das nützt den Jungen, aber auch den Schweizer Firmen vor Ort. Früher holte man die qualifizierten Leute aus der Schweiz. Aus Sicherheits- und Kostengründen ist dies aber kaum mehr möglich.

swissinfo.ch: Hat man als Auslandschweizer in letzter Zeit überhaupt noch in der Lokalwährung Bolivares gedacht und gekauft, oder bewegte man sich eher in einem Parallelmarkt des Dollars?

P.L.: Es gibt diesen Parallelmarkt. Seit zwei bis drei Jahren sind eigentlich alle Wirtschaftszweige «verdollarisiert». Die Schweizer, die Franken oder Dollars besitzen, hatten darum nicht zu leiden. Es könnte besser gehen, doch für uns ist das Leben hier nicht teuer. 

Das Problem liegt bei der armen Bevölkerung. Alleine von Dezember bis jetzt, hatten wir wieder einen Wertverlust des Bolivars um den Faktor 10. Wie sollen die Venezolaner damit noch leben?

swissinfo.ch: Kommt jetzt Besserung?

P.L.: Venezuela ist ein enorm reiches Land. Die grössten Ölreserven der Welt, Eisen, enorm viel Gold, Diamanten, alles ist da. Die Kohle liegt unter freiem Himmel, man muss sie nur holen, einen Trax, mehr braucht es dazu nicht. Wenn nun eine Regierung professionell arbeitet, Defizite aufholt, Vertrauen in das Land zurückbringt, dann kommt der Boom.

swissinfo.ch: Braucht es dafür einen radikalen Wechsel, wie ihn Brasilien vollzogen hat?

P.L.: Es braucht Seriosität und Gemeinsinn und weniger Korruption.

swissinfo.ch: Auch mehr Demokratie?

P.L.: Auf jeden Fall, das zeigt die Geschichte. Das Mehrparteiensystem vor dem Chavismo hat das Land weitergebracht.

swissinfo.ch: Sie glauben also an Venezuela?

P.L.: Gerade jetzt. Wir haben vom Land profitiert, jetzt können wir etwas zurückgeben.

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